„Zum
Ausgraben der Räder, wenn sie im Matsch stecken bleiben, wenn das, was sich da im
Westen zusammenbraut als Regen herunterkommt!“
Die Worte
das alten Hobbits sollten prophetischen Charakter annehmen. Bereits am Morgen
des nächsten Tages setzte der Regen ein. Der Staub wurde zum Morast und die
Weiterfahrt zur Kraftprobe. Herbstliche Gewitterstürme bliesen den Reisenden
mit wachsendem Zorn entgegen. Immer stärker wurde das Gefühl, gegen eine
unsichtbare Wand anzurennen, und die Ochsengespanne kamen wenn überhaupt nur
noch langsam voran. Die eingetauschten Spaten und Hacken machten ihren
überhöhten Preis wieder wett, als die schweren Holzräder sich ein um das andere
Mal in der Mischung aus Schlamm und Geröll festfuhren.
Im Heulen
des Sturmes wurde es beinahe unmöglich sich zu verständigen, und so sahen sich
die kleinen Leute gezwungen ihre gebrüllten Anweisungen beim Herausstemmen der
Räder mit weitausladenden Gesten zu untermalen, was die Angelegenheit ungeheuer
in die Länge zog, weil irgendwann jeder mit seinen Armen in der Luft
herumwirbelte und keiner mehr arbeitete.
Dennoch
war die Stimmung im Treck außerordentlich heiter. Selbst Taleras’ Eröffnung,
daß ihre Vorräte als Viehfutter dienen sollten sobald sie das Grasland hinter
sich gelassen hatten, konnte dem ungeheuren Enthusiasmus des Völkchens nichts
anhaben. Nicht einmal als das Gebirge näherrückte, verstummte die gute Laute im
Zug.
Hatte die
Bergkette im Sonnenlicht so freundlich aus der Ferne gelockt, so wirkte sie nun
bei dem trüben Wetter düster und bedrohlich. Immer gewaltiger erhob sich das
Massiv und streckte seine kahlen, glatten Wände weit in die niedrig hängenden
düsteren Wolkenschwaden hinein, die einen Blick auf die Gipfel verwehrten.
Der Regen
hatte die schweren Wagenplanen niedergedrückt und aufgefüllt wie ein leeres
Flußbett. Als Fredoc den triefenden Stoff beiseite hielt um erst seinen Kopf
dann sich selbst durch die Öffnung zu schieben, entleerte sich rauschend ein
Teil des Wassers über den einsteigenden Hobbit. Er brach in eine bildreiche
Schimpftirade aus, zog den Verschlag so schnell wie möglich hinter sich zu und
schüttelte sich prustend.
„Bitte um
Entschuldigung!“ murmelte er verlegen als ihm bewußt wurde, daß er einen
leichten Nieselregen durch das Innere des Fuhrwerks geschickt hatte. Er hob zur
Verdeutlichung bedauernd die Hand, da seine Worte ungehört im Poltern des
Karrens und Donnern des Gewitters verhallt waren.
Das junge
Mädchen winkte müde ab und trocknete sich mit einer fahrigen Handbewegung Stirn
und Wangen.
„Wie geht
es ihm?“ brüllte Fredoc, um den Lärm zu übertönen.
„Unverändert“,
schrie Rosilot zurück. Sie hob die kleine Flasche in Höhe der bedenklich
schaukelnden und unruhig flackernden Windlaterne und ließ mit einem
unzufriedenen Laut die Hand wieder sinken, als diese nicht genug Licht abgab,
das trübe Behältnis zu durchleuchten. Prüfend schüttelte sie es. Noch halbvoll.
Sie
seufzte kraftlos und widmete ihre Aufmerksamkeit erneut ihrem bewußtlosen
Patienten, der blaß und hochfiebrig auf den sorgfältig gerichteten Decken lag.
Der dunkle Vollbart bildete einen scharfen Kontrast zu seiner bleichen Haut.
Fredoc
hockte sich an die andere Seite des Freundes und starrte auf das wächserne
Gesicht. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Von Zeit zu Zeit wischte
Rosilot sie mit einem feuchten Tuch fort und verharrte ansonsten in vollkommener
Reglosigkeit. Über ihnen senkte sich die Plane unter dem Gewicht des Wassers
herab und Fredoc erhob sich, um sie mit beiden Händen nach oben zu drücken. Ein
kurzes Rauschen und Gluckern waren zu hören, dann ein zorniger Ausruf.
„Ähm...
T’schuldigung!“
„Fredoc
Gerstenkorn! Entleere deine Plane wohin du willst, aber gefälligst nicht über
meinen Kopf! Das ist doch unerhört! Als ob es hier draußen nicht schon naß
genug wäre! Da mußt du nicht auch noch ein ganzes Faß Wasser über mich
ausschütten!“
Lobelia
Haferstroh... Die Deutlichkeit, mit der Fredoc jedes einzelne Wort im Inneren
des Wagens verstehen konnte, sprach für ihr enormes Stimmorgan. Der junge Mann
zog den Kopf immer tiefer zwischen seine Schultern je länger der Wutausbruch
anhielt und hoffte, daß Lobelia nicht hereinsteigen würde, um ihre Worte auch
noch schlagkräftig zu unterstützen.
Das
Gezeter hielt eine Weile an und ging dann allmählich, als der größte Ärger
verraucht war, im Sturmesbrausen unter.
Inzwischen
senkte sich die Plane erneut auf die drei im Fuhrwerk herab. Fredoc beäugte sie
kritisch, hütete sich aber wohl, diesmal seine Hände nach ihr auszustrecken.
Dafür ertönte vom hinteren Wagen das mittlerweile vertraute Rauschen und wurde
ebenso von ärgerlichen Ausrufen beantwortet. Dabei machte es eigentlich keinen
Unterschied mehr. Naß war schließlich naß. Aber dennoch sträubte sich etwas im
Inneren eines jeden aufrechten Halblings gegen diese Extradusche.
„Hilfst
du mir?“
Fredoc
wurde aus seiner Beobachtung gerissen. Behutsam hob er auf Rosilots Zeichen
Orgonas’ Arm ein kleines Stück an, damit das Mädchen den Verband besser
abwickeln konnte. Die Verletzung war nur noch ein dünner Schnitt, von dem sich
der Schorf schon zu lösen begann. Rosilot wusch die Stelle ab, mehr um den Schweiß
und die Salbenreste zu entfernen, weniger um die Wunde auszuwaschen, die dessen
eigentlich nicht mehr bedurfte. Trotzdem strich sie eine neue Lage Kräuterpaste
auf und fixierte ein Stück sauberes Linnen mit einem frischen Stoffstreifen. Im
Fieberschlaf stöhnte Orgonas auf und seine Augenlider zitterten, ohne daß er zu
Bewußtsein kam.
„Schhht...
ganz ruhig, Orgo!“ Während seiner Krankheit hatte sie sich die Kurzform seines
Namens angeeignet und auch ein paar nette Koseformen erdacht. Fredoc schmunzelte
wehmütig und blinzelte eine Träne weg.
„Hmpf!“
Die tiefersinkende Plane berührte seinen Kopf und ohne nachzudenken schob er
sie mit der Hand nach oben.
„Fredoc
Gerstenkorn! Ich sagte doch du sollst das Wasser sonstwohin entleeren...“,
erhob sich sogleich erneut die keifende Stimme der ältlichen Frau, nur um im
nächsten Moment von einem begeisterten Ausruf unterbrochen zu werden.
„Lobelia,
du bist großartig!“ Wie ein Wirbelwind, der in Konkurrenz mit dem herrschenden
Sturm zu treten gedachte, stürzte der kleine Mann hinaus und kam mit beiden
Füßen gleichzeitig und bis zu den Knöcheln im Matsch zu stehen. Aufgeregt sah
er sich um und strahlte die exzentrische Hobbitfrau an, die erbost zu dem
bärtigen Mann aufsah und sich von seiner größeren und breiteren Statur so gar
nicht einschüchtern ließ. Noch während sie tief einatmete um zu einem
ausgesuchten Donnerwetter anzuheben, drückte er der verdutzten Frau einen
schallenden Kuß auf die Stirn und sauste davon.
Verblüfft
und ein wenig enttäuscht ob des verpaßten Streites schüttelte Lobelia den Kopf.
„Ich sag’s ja, der Junge ist nicht ganz richtig im Kopf!“ Sie wedelte mit einer
Hand bezeichnend vor ihren Augen herum. „Aber wen wundert’s, wenn er ständig
mit diesem jungen Gerstenbräu zusammensteckt! Zu meiner Zeit...“ Sie nahm ihren
Gehstock auf, den sie wie ein Kind in den verschränkten Armen gehalten hatte,
zog die wärmende Decke enger um ihre Schultern und kämpfte sich, halblaut vor
sich hin sinnierend, tapfer Sturm und Regen entgegen.
Bald
darauf versuchte Fredoc heftig gestikulierend dem Dorfoberhaupt etwas zu
erklären. Taleras hielt den Kopf nachdenklich zu einer Seite geneigt und folgte
skeptisch den leidenschaftlichen Ausführungen. Erst ganz allmählich klärten
sich seine zusammengekniffenen Züge. Er grunzte zustimmend und fuhr sich über
das triefend nasse Gesicht; ein kleiner See sammelte sich in seiner Handfläche
und lief in einem fingerdicken Rinnsal den Ärmel entlang bis zum Ellenbogen, wo
er sich mit dem niederströmenden Regen vereinte.
Taleras winkte
zwei andere Männer herbei und nun wurde Fredocs Plan mit lautem Geschrei, unter
den erschwerenden Umständen des herrschenden Gewitters, aber mit großem Eifer
in die Tat umgesetzt.
Im Grunde
war die Konstruktion, die Fredoc sich erdacht hatte, eine ganz simple. Sonst
wäre sie auch kaum auf soviel Zuspruch gestoßen. Hobbits waren einfache Leute.
Alles was zu kompliziert war, war ihnen ein Greuel.
Um das
unkontrollierte Herausschwappen der Fluten beim Anheben der vollgelaufenen
Wagenplanen zu verhindern und gleichzeitig ihre Fässer aufzufüllen,
verschafften sie dem Wasser am hinteren Ende der Decken einen Ablauf, indem sie
sie an dieser Stelle ein wenig tiefer eindrückten und die Ränder von unten mit
Latten abstützten, so daß ein kleiner Kanal gebildet wurde. Dahinter
befestigten sie jeweils ein leeres Faß. Wenn nun einer der Insassen die sich
herunterbiegende Decke anhob, konnte das Regenwasser ganz bequem aufgefangen
werden.
Zwar
stellte sich recht bald heraus, daß die Behältnisse keineswegs ausreichend
waren, diese Unmengen zu erfassen, doch auch dies brachte die Leutchen nicht in
Verlegenheit. Es bedurfte nur der geringsten Anstiftung und die Kinder fanden
sich zu einem übermütigen Spiel zusammen: Einer der Knirpse huschte immer dann
unter ein Faß, wenn es randvoll gelaufen war und in der kurzen Zeit bevor ein
neuer Wasserschwall durch den Kanal geschossen kam, zog er den Pfropfen am
Boden heraus. Wer nicht flink und geschickt genug war, den fest schließenden
Korken rechtzeitig zu ziehen, über den ergoß sich ein kreisförmiger Sturzbach,
was natürlich auch einige Male vorkam und von besonders lautem Gelächter der
Kameraden belohnt wurde.
Der
gutmütige Fredoc lief von Wagen zu Wagen und stopfte die Pfropfen dann wieder
in die ausgelaufenen Fässer. Zur Zeit herrschte im Wagentreck nur wenig
Bedürfnis nach Trinkwasser und so wurden sie so lange immer wieder geleert, bis
die prallgefüllten Wolken sich endlich ausgeregnet hatten.
Zunächst
jedoch war ein Ende des Unwetters nicht in Sicht. Nach drei weiteren Tagen
wurde der Weg immer felsiger. Die Wagen, die zuvor wahllos nebeneinander
gefahren waren, bildeten nun eine lange Reihe, da die befahrbare Spur immer
schmaler wurde. Kaum hatten sie den Sumpf hinter sich gelassen und freuten sich
des festen Untergrundes, brach ein Wagenrad samt Achse, und sie mußten einen
weiteren Karren zurücklassen. Und noch immer prasselte der Regen auf sie herab.
~*~
Die
Nächte waren naß, kalt und ungemütlich. Mit dem langanhaltenden Regen waren die
Temperaturen rapide gesunken und niemand erinnerte sich mehr wirklich daran,
wie sehr die Spätsommersonne ihnen noch vor zwei Wochen den Schweiß auf die
Stirn getrieben hatte.
Die
Halblinge hatten längst ihre dicken Wintersachen hervorgeholt. Das Vieh war
unruhig und drängte sich während der Nächte dicht zusammen, um die Körperwärme
zu teilen. Am Tage waren die Tiere kaum noch zu bändigen. Rastlos strebten sie
voran, immer in der Hoffnung das Ende der Reise und einen Hort der Zuflucht zu
finden. Sie ließen sich kaum noch führen und nur der enge, von rauhen
Felswänden eingesäumte Pfad verhinderte, daß sie kopflos auseinander rannten
und vom Weg abkamen.
Fredoc
verbrachte mehr Zeit an der Seite seines kranken Freundes. Er und Rosilot
sprachen sich gegenseitig Mut und Trost zu. Menegilda hatte ihn bereits
aufgegeben. Zumindest schienen dies ihre Blicke zu sagen, mit denen sie die
beiden jungen Leute bedachte, wenn sie einmal hereinsah und ohne ein Wort das
Wageninnere wieder verließ.
„Gibst du
mir die Salbe?“
Fredoc
drehte das eckige Behältnis eine Weile unschlüssig in seinen Händen und reichte
es zögerlich an Rosilot weiter. „Die Wunde ist verheilt...“ Er ließ den Satz
unkommentiert im Raum stehen.
„Ich
weiß...“ Ihren Worten zum Trotz entfernte sie den Deckel und trug eine besonders
dicke Schicht der grünlichen Paste auf den Oberarm ihres Patienten auf. Dabei
mied sie bewußt Fredocs Blick, verschloß dann das Kästchen wieder und legte es
beiseite. Als sie den Verband geschickt verknotet hatte, hob sich zitternd ihre
Brust und ein verzweifelter Seufzer kam über ihre Lippen. „Es ist alles, was
ich tun kann“, flüsterte sie in dem Bemühen, das Beben ihrer Stimme zu
verbergen.
Sanft,
beinahe scheu, legte Fredoc seine Hand auf ihre und drückte sie leicht. Gerade wollte
er etwas erwidern, als Menegilda zur Öffnung hereinblickte.
„Wir
könnten euch hier draußen gebrauchen!“ verkündete sie bestimmt und winkte
gebieterisch mit der freien Hand. „Auf, auf, jetzt muß jeder mit anpacken!“
Rosilot
schob bereits trotzig die Unterlippe vor, doch Fredoc verstärkte den Druck
seiner Hand. „Komm!“ forderte er sie auf, half ihr auf die Füße und von dem
langsam fahrenden Karren herab.
„Fahrt
die Wagen nicht zu dicht heran!“ tönte Taleras’ sachliche Stimme über den
Platz. „Ihr da vorne, haltet das Vieh auf! Hier herüber, dort stehen sie uns
nur im Weg!“
Fredoc
und Rosilot blinzelten in das grelle Licht. Es hatte endlich aufgehört zu
regnen. Dicke Wolken hingen am Himmel, und die Strahlen der tiefstehenden Sonne
drangen vorwitzig durch den schmalen Spalt zwischen zwei hochragenden Gipfeln.
„Wir
werden heute noch einen Teil der Steine beseitigen“, organisierte das
Dorfoberhaupt weiter und erst langsam vermochten die beiden Neuankömmlinge sich
zu orientieren.
Sie waren
am Nebelgebirge angelangt. Gigantisch erhob es sich vor ihren Augen. Düster,
grau und gnadenlos majestätisch blickte es auf die Winzlinge herab, die sich zu
seinen Füßen versammelt hatten und es in ihrem Wahnwitz mit plumpen, hölzernen
Karren, primitiven Werkzeugen und vollkommener Unkenntnis der ihnen drohenden
Gefahren bezwingen wollten.
Fredoc
schluckte unbehaglich. Die Paßstraße stieg sogleich enorm steil bergan. An den
schmaleren Stellen war sie kaum breiter als eine Wagenachse und sie war ganz
offensichtlich nicht dazu gedacht, auf vier Rädern überquert zu werden. Genau
am Aufstiegspunkt versperrte ein mannshoher Felsbrocken den Weg und was der
Thain so respektlos >Steine< genannt hatte, zog sich in Abständen von
etwa 10 Metern und in nur geringfügig kleinerer Ausführung den gesamten Pfad
entlang, soweit das Auge reichte.
„Rosi
komm her und hilf mir mit dem Nachtmahl!“ erklang Lobelias knatternde Stimme
von der Seite, und schon bald war das Mädchen in den mittlerweile gut
koordinierten Wirkungskreis aus einem halben duzend Köchinnen und doppelt so
vielen Handlangern eingebunden. Die leitende Stellung, die ihr übertragen wurde
und die damit verbundene Verantwortung und Einteilung ihrer Gruppe, ließen ihr
keine Zeit für Grübeleien und Traurigkeit.
Fredoc
sah ihr schmollend hinterher. „Müßt ihr das arme Ding jetzt so mit Arbeit
überschütten?“ zankte er.
„Es tut
ihr vielleicht ganz gut, auf andere Gedanken zu kommen.“
Er fuhr
herum und sah sich Albadoc gegenüber, der ihn vom Kopf bis zu den Füßen
musterte.
„Dir
würde es auch gut tun, mein Junge. Du siehst ein wenig übernächtigt aus.
Körperliche Arbeit hat noch niemandem geschadet, und der Lohn dafür ist ein
tiefer Schlaf und ein ruhiges Gewissen.“ Er bohrte seinen Zeigefinger bei den
Worten schmerzhaft in Fredocs Brust. „Worauf wartest du also? Da hinten wird
deine Hilfe benötigt.“
„Seit
wann bist du so versessen auf körperliche Arbeit?“ Fredoc schürzte
widerstrebend die Lippen, ließ sich aber dennoch von dem Alten in Richtung der
schlaffördenden Aufgabe schieben.
„Immer,
mein Junge, immer. Immer dann, wenn ich selbst nicht mit anpacken muß.“ Er
kicherte leise und ließ von Fredoc ab, um den Arm gebieterisch nach vorne
auszustrecken. „Der Stein muß weg“, sagte er in einem Tonfall als ob es gelte,
ein herumliegendes Spielzeug zu verräumen.
Fredoc
seufzte, erkannte aber zu seiner Erleichterung, daß er nicht der einzige
kräftige Kerl war, der den Brocken mit unverhohlener Hochachtung und ohne
Tatendrang begaffte. Noch bestand vielleicht die Möglichkeit, daß jemand einen
zündenden Gedanken hatte, wie man diese Schwerarbeit umgehen konnte. Ein Blick
in die stumpfsinnigen Gesichter machte diese Hoffnung jedoch zunichte.
Unbehaglich
sah er sich um. Die achtzehn verbliebenen Ochsenkarren standen in einer langen
Reihe das Tal entlang. Jener Gebirgsausläufer, den sie nicht hatten überqueren
können, und der seither ihr ständiger Begleiter gewesen war, strebte vom Rand
der befahrbaren Spur beinahe lotrecht in eine Höhe, die der des Nebelgebirges
entsprach. Auch im Süden wurde der Pfad von einem Felsenarm begrenzt, der
allmählicher anstieg und nicht so weit hinauf reichte. Sie waren in dieser
Schlucht eingeschlossen, die den Blick nach Osten in einer Biegung gleich nach
dem hintersten Fuhrwerk abschnitt. Um diese trotteten soeben die letzten Kühe
und Ziegen und gesellten sich ihren Artgenossen zu. Die noch von diesigen
Wolken verhangene Sonne hüllte das Tal in ein blasses, graues Licht.
Zwischen
den Wagen drängte sich das Vieh auf engstem Raum und vereinzelt quetschten sich
einige Halblinge an ihnen vorbei, um nach vorne aufzuschließen, wohin sich auch
die kraftstrotzenden Bullen schoben, unbeeindruckt in ihrem gleichmäßigen
Trott.
Noch
immer tönte Taleras’ Stimme über den Platz. Ungefähr zehn Männer bildeten auf sein
Geheiß eine Kette über den Weg, an der die Tiere aufgehalten wurden, was genau
so lange gut ging, bis die Bullen einfach durch sie hindurch stampften. Das
Gezeter und Geschrei, das daraufhin folgte, waren einfach unbeschreiblich. Die
Kette wurde gesprengt, die übrigen Tiere brachen ebenfalls nach vorne durch und
ehe man sich versah löste sich die gut organisierte Gesellschaft in pures Chaos
auf. Wenigstens befanden sich die Kochstellen in einer geräumigen Felsnische
ein Stück seitlich des allgemeinen Tumults und wurden somit von dem
umhertrampelnden Vieh verschont.
Fredoc
stand untätig an seinem Platz und sein Verstand erfaßte das Schauspiel nur am
Rande. Als das freche Ziegenböcklein auf ihn zusprang und meckernd Schutz
hinter seinem massigen Körper suchte, erwachte er aus seinem Tagtraum, ruckte
hoch und blickte um sich. Anstatt nun die Hände ob des Desasters zu ringen,
schlug er sie freudig aufeinander. Albadoc, der sich gemütlich auf einem
Felsbrocken niedergelassen hatte und die kurzweilige Vorstellung mit beinahe
kindlicher Begeisterung verfolgte, wandte seine Aufmerksamkeit dem jungen
Hobbit zu.
„Hast du
das gesehen?“ Fredoc hüpfte hingerissen auf und ab.
Einer der
aufgebrachten Bullen glaubte in dem schweren Felsblock, der den Aufstieg
versperrte, einen Feind erkannt zu haben. Mit tief gesenktem Kopf rannte er
gegen ihn an und stieß die harten, gebogenen Hörner krachend in seine Seite.
Der mächtige Block hob sich knirschend einen Fingerbreit auf der attackierten
Seite und fiel mit dumpfem Schlag zurück in sein angestammtes Bett. Ein zweiter
Zusammenstoß löste bereits die Hälfte der Basis von ihrem Grund. Gespannt
erwarteten die beiden Männer den dritten Anlauf. Dieser blieb aber leider aus.
Gelangweilt beschnüffelte der Bulle seinen Feind, befand, daß er ihn besiegt
haben mußte, da er sich nicht mehr regte, drehte sich erhobenen Hauptes herum
und blickte hochmütig und siegesgewiß zu der Schar seiner Rivalen.
Enttäuscht
setzte Fredoc sich hoch auf den Felsensims neben den Greis und gemeinsam betrachteten
sie ihre baumelnden Füße.
~*~
„Du
kannst keinen Bullen in ein Joch spannen! Das würde er niemals dulden!“
„Wer
spricht denn von Bullen? Unsere Ochsen sind genügsam und ebenso stark, auch
wenn sie nicht so sehr damit protzen. Das solltest du eigentlich wissen, junger
Mann.“ Schelmisch zwinkerte der Alte ihm zu. „Es wundert mich, daß wir nicht
schon früher auf diesen Gedanken gekommen sind, wo es doch stets von Vorteil
ist, andere für sich arbeiten zu lassen.“
Fredoc
fuhr sich nachdenklich mit der Hand durch den Bart. Es dauerte eine Weile, bis
die Botschaft zu ihm durchgedrungen war. Endlich nickte er verstehend, seine
Äuglein begannen zu glänzen und die Mundwinkel fanden erstaunlich schnell den
Weg zu seinen Ohren. Das Nicken wurde intensiver und plötzlich war die
Lethargie wie fortgeblasen.
Mit einem
Satz hüpfte er von dem Felsensims herunter und sauste über den Platz, laut den
Namen des Thains rufend. Dieser hatte es endlich geschafft, Ruhe in den aufgewühlten
Haufen zu bringen und gönnte sich soeben ein wenig Erholung und ein
aromatisches Pfeifchen, als Fredoc über einen Geröllhaufen angestolpert kam.
„Wir
können die Ochsen die Felsbrocken wegziehen lassen“, platzte er heraus, noch
ehe er ganz heran war, und machte eine vage Handbewegung nach hinten. „Alles
was wir tun müssen ist, das Geschirr der Karren um die Steine schnallen. Die
Tiere sind an das Joch gewöhnt und werden keine Schwierigkeiten machen, wenn
sie statt eines Wagens oder eines Pfluges etwas ziehen sollen, von dem sie
nicht wirklich wissen, was es ist und wozu es dient.“ Er hiel überlegend inne.
„Wahrscheinlich wissen sie das ohnehin nie“, gestand er verlegen und als er
sah, daß Taleras von dem Gedanken angetan war, fügte er wahrheitsgemäß hinzu:
„Die Idee stammt von Albadoc.“
„Aber der
Anstoß kam von dir, mein Junge!“
„Wohl
eher von dem Bullen.“ Fredoc grinste den Alten, der ihm langsamer gefolgt war
zufrieden an.
„Also
dann, laßt uns die Ochsen einspannen!“ beendete Taleras den freundschaftlichen
Wettstreit und erhob sich, um seine Anweisungen zu geben, ohne dabei seine
Pfeife wegzulegen.
Mit
diesem Ziel vor Augen kam wieder Leben in die zögerliche Schar. Für den großen
Brocken am Paßeingang wurden zwei Ochsen und viel gutes Zureden benötigt, doch
am Ende wich er der rohen Gewalt.
Die
Felsblöcke am Hang waren zwar kleiner, aber wegen der starken Neigung durften
sie nicht einfach bergabwärts gezogen werden. Einmal aus ihrer Lage gelöst und
in Bewegung gekommen, wären sie sonst über das Zugtier und seinen Führer
hinweggerollt und als Steinschlag auf das Tal niedergegangen. Also wurden sie
seitlich oder gar den Berg hinauf gezogen, bis eine breitere Stelle erlaubte,
sie dort zur Seite zu schieben.
Trotz der
muskulösen Ochsen mußten die Halblinge selbst kräftig mit anpacken, und einmal
mehr zeigte es sich, daß sie Arbeit und Mühen nicht scheuten, wenn sie erst
damit begonnen hatten. Mit unbeugsamem Tatendrang schufteten sie, bis die Sonne
unterging und selbst die letzten Lichtschimmer der Dämmerung nutzten sie noch
aus. Beinahe schien es, als wollten sie an diesem Tag gar kein Ende finden. Das
arbeitsame Bild wurde jedoch augenblicklich zerstört, als Menegilda mit lauter
Stimme zum Essen rief.
Albadoc,
der ungeachtet seines hohen Alters und der eingestanden Abneigung gegen
körperliche Arbeit, energisch zugepackt hatte, wischte sich mit dem Ärmel den
Schweiß von der Stirn. Noch immer war der Aufstieg des Passes nicht von allen
hinderlichen Steinen gesäubert. Nicht einmal so weit, wie man vom Talgrund
hinaufsehen konnte.
„Das wird
uns einige Tage in Verzug bringen. Was meinst du?“ wandte er sich an Taleras.
„Ist vielleicht besser wir lassen die Wagen hier unten, bis die Steigung
freigeräumt ist. Die Weiterfahrt käme sonst immer wieder ins Stocken.“
„Und wir
müßten jedes Mal das Vieh davon abhalten weiterzustürmen“, stimmte Taleras zu
und klopfte sich einen Klumpen Lehm von der Hose. „Doch jetzt laß uns erst
einmal sehen, was unsere Frauen uns Schmackhaftes gekocht haben. Der Berg läuft
uns nicht weg.“
„Wie
schön, ich dachte schon ich müßte mir deshalb Sorgen machen“, grummelte Albadoc
sarkastisch und schnüffelte neugierig. „Hm... du hast recht, es riecht wirklich
außerordentlich einladend!“
~*~
Als die Dunkelheit
sich über das Lager legte, wurde sie von lodernden Wachtfeuern am Ein- und
Ausgang des Tales erhellt. Verwundert bemerkte Fredoc, daß sie sich an beiden
Standorten länglich wie ein Zaun über den Zugang legten und ein duzend Männer
damit beschäftig waren, sie zu nähren. Er hob seine Pfeife zum Mund und
grübelte darüber nach, wozu dies dienen sollte und versuchte gleichzeitig
herauszufinden, wann er das letzte Mal nach Einbruch der Nacht im Freien
gewesen war. Es dauerte nicht lange, da wurde ihm zumindest die erste Frage
beantwortet.
Das Vieh
bemerkte es zuerst. Ein ängstliches Schnauben ging durch die Reihen und
schutzsuchend drängte es zusammen. Kreischend stob der dicke Kater an Fredoc
vorbei, diesmal ohne die gewohnte Hundemeute auf den Fersen, die sich längst
irgendwo ein sicheres Plätzchen gesucht hatte. Von irgendwo her erklangen
panisches Gackern und die beruhigende Stimme Lobelias. Irritiert schüttelte
Fredoc den Kopf und lauschte hinaus in die Finsternis.
Die
Felswände warfen sonst jeden Laut als Echo zurück, doch dieser hier war zu
leise dazu, zu kurz und noch zu entfernt. Nie zuvor in seinem Leben hatte
Fredoc ihn gehört. Dennoch erkannte er ihn sofort, als der Wind die zerrissenen
Fetzen an sein Ohr trug. Die folgende Stille zerrte mit ihrer Ungewißheit an
den Nerven und Fredoc erwischte sich dabei, wie er den Atem anhielt.
Als er
schon glaubte sich geirrt zu haben, erklang wieder der langgezogene, klagende
Ton und nun stimmte das ganze Rudel mit ein. Wölfe! Alarmiert fuhr er herum und
rannte beinahe gegen Taleras, der lautlos hinter ihn getreten war.
„Sie
folgen uns schon seit zwei Tagen.“ Wie ein vernünftiger Hobbit in einer solchen
Situation so ruhig sein konnte, war Fredoc ein Rätsel. „Es wundert mich, daß es
dir erst jetzt auffällt. Das heißt... nein“, korrigierte er sich selbst,
„eigentlich nicht.“
Gespenstisch
klang das Geheul das Tal entlang und einige Halblinge redeten besänftigend auf
das Vieh ein. Die Anspannung war deutlich zu spüren, doch wenigstens blieb der
drohende Durchbruch der Herde aus.
„Heute
sind sie näher. Der Schutz der Felsen gibt ihnen Sicherheit“, erklärte Taleras
im selben sachlichen Ton. „Aber sie sind noch nicht so hungrig, daß sie sich an
einen Überfall wagen würden.“
„Und wann
glaubst du, werden sie hungrig genug dazu sein?“ Fredoc schauderte es. Mit
beiden Händen griff er nach der Krempe seines Hutes und zog ihn fester
herunter.
„Wer kann
das wissen?“ Taleras zuckte die Schultern. „Eine zeitlang dachten wir daran,
ihnen etwas Fleisch hinzuwerfen, damit sie uns in Ruhe lassen. Doch wer weiß,
ob sie dann nicht erst richtig auf den Geschmack kommen.“
„Außerdem
haben wir nun wirklich nicht genug davon, um ein paar heruntergekommene Wölfe
damit zu füttern!“ polterte es hinter ihnen und beider Blicke schwenkten herum
zu dem Sprecher, der mit trotzig verschränkten Armen und unwillig
aufeinandergepreßten Lippen dort stand.
„Nun, ich
denke nicht, daß wir die Situation so leicht nehmen sollten“, erwiderte Taleras
ernst und erstmalig lag Besorgnis in seiner Stimme.
„Wer
sagt, daß ich das tue?“ winkte Boldegrin beleidigt ab. „Mir paßt bloß der
Gedanke nicht, diese Biester dafür zu belohnen, daß sie uns ans Leben wollen.“
„Das kann
ich gut verstehen“, murmelte Fredoc und betrachtete erneut die riesigen Wachtfeuer.
„Wo habt ihr all das Brennholz her?“
„Gesammelt.“
Taleras zuckte müßig die Schultern, als sei dies das Selbstverständlichste auf
der Welt. „Ich glaube im Umkreis von zwei Meilen wächst auch nicht mehr ein
einziger Grashalm.“
Fredoc erschauderte.
„Sagtest du nicht, daß wir einige Tage hier verweilen werden?“
Das
Dorfoberhaupt nickte stumm und Boldegrin brach in derbes Schimpfen aus.
„Na
großartig! Wirklich großartig!“
~*~
„Es ist
erstaunlich wie lange so ein Ochsenkarren brennt.“
„Mhm.
Eine ganze Nacht.“ Eine kurze Pause entstand. „Die Berge werden sie nicht davon
abhalten uns zu folgen.“
„Wir
haben immer noch sechzehn Karren.“
Taleras
warf dem Alten einen empörten Blick zu. „Das ist nicht dein Ernst!“
„Doch,
ist es. Lieber die Karren als wir.“
„Kannst
du etwas auf der Karte erkennen?“ wandte Sederic sich übertrieben laut an den
jungen Fredoc, der tief über das Dokument gebeugt geflissentlich die
unangenehme Unterhaltung ignorierte.
„Das
sieht irgendwie überall gleich aus... abgesehen davon, daß der Pfad auf der
einen Seite hinaufsteigt und auf der anderen wieder herunter.“
„Vielleicht
kannst du etwas erkennen, wenn du’s anders herum hältst“, riet Gambold mit
leicht dümmlichem Gesichtsausdruck.
„Unsinn!“
bellte Boldegrin. „Wieso sollte er die Karte umdrehen. Dann marschieren wir
doch in die falsche Richtung!“
„Ich
dachte auch nur...!“ Beschämt senkte Gambold den Kopf und starrte auf das
kunstvolle Werk, das vor ihnen ausgebreitet lag.
„Sagt mal,
was sucht ihr vier da eigentlich?“ wurde Taleras nun aufmerksam.
„Einen
Wald.“
„Ah,
verstehe.“
„Ich mag
Karrenholz-Feuer.“
„Albadoc!“
Fünf kreischende Stimmen und ebenso viele empörte Augenbrauenpaare fuhren in
die Höhe.
„Ist ja
schon gut, schon gut!“ Kichernd rieb der Alte sich die Hände. „Diese jungen
Leute haben etwas dünne Nerven, wie mir scheint.“
Kann sein
es lag an der bedrohlichen Nähe der Wölfe, daß die Säuberungsarbeiten so
schnell voranschritten. Jedenfalls konnten bereits am darauffolgenden Tag die
ersten Ochsenkarren den Berg hinauf geschafft werden, was eine langwierige und
schweißtreibende, aber auch nicht ganz ungefährliche Angelegenheit war.
In
Abständen, die der Länge der vorhandenen Taue entsprachen, hatten die Halblinge
sogenannte Zwischenstationen eingerichtet. Dort befand sich jeweils ein solider
Felsbrocken, der als Winde diente. Das Seil wurde fest an die Vorderachse des
zu verladenen Karrens geknotet, um den Steinblock gelegt und dort an dem
Geschirr zweier Ochsen verschnürt. Diese zogen nun sich bergabwärts bewegend
den Wagen um die Winde herum nach oben und unterstützten auf diese Weise die
Zugtiere am Fuhrwerk.
Kam nun
der Wagen an der Zwischenstation an, so mußte zur nächsten Winde gewechselt
werden. Dazu befestigten die Halblinge ein neues Seil an der Achse bevor die
ersten Hilfsochsen entlastet wurden. Neben den Tieren unterstützten eine große
Anzahl stämmiger Männer den gefährlich steil hängenden Karren und trotz einiger
unschöner Zwischenfälle und obwohl kaum einer der Helfer ohne zumindest ein
paar schmerzende Schnitte und Prellungen davon kam, verlief die Aktion ohne
größere Unglücksfälle.
Das Ziel
dieser ersten Steigung war ein fast ebenmäßiges kleines Plateau, auf dem es
zwar keine Trümmer, dafür aber glattgeschliffenen Felsboden gab, auf dem die
Füße der Tiere und das Holz der Karrenräder nur schwer Halt fanden, so daß die
Halblinge die abgestellten Wagen zunächst einmal mit Keilen absichern mußten,
bis nach zwei weiteren Tagen endlich der letzte heraufgebracht und daraufhin
das Vieh ebenfalls herangetrieben wurde.
Zur
Verwunderung aller waren die Wölfe plötzlich abgezogen. Taleras war so weit
gegangen, einige Späher ins Tal zurück zu schicken, doch außer einigen
Fellbüscheln und übelriechenden Ausscheidungen fanden sie keine Spuren.
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