Kapitel 5: Fredoc Gerstenkorn

 

 

 

Die Luft ist klar und kühl. Ich wickle mich aus meiner Decke. Sie ist völlig durchnäßt, so wie alles andere an mir und den Wagen und jedem. Ich strecke mich müde und gähne. Lautstark. Ebenso wie einige andere erwachende Schläfer zu meiner Rechten und Linken. Ich muß blinzeln bevor ich die Augen öffnen kann, denn es ist schon hell. Die Sonne steht eine handbreit über dem Horizont wie ich feststelle, als ich meinen Arm, um vor ihrem Licht zu schützen, vor die Augen halte.

 

Ein weiteres Gähnen kämpft sich ohne mein Zutun den Weg aus meinem Mund, und ich strecke mich und richte meinen Oberkörper auf. Blicke über das Lager. Die meisten schlafen noch. Ein paar kämpfen ebenso halbherzig gegen den Schlummer wie ich. Ich schließe die Augen noch einmal um tief und genüßlich die Luft einzuatmen. Den würzigen Duft. Die klare Frische. Das belebende Etwas, mit dem sie nach diesem fürchterlichen Gewitter letzte Nacht geschwängert ist. Ach! Das tut gut! Keine Spur mehr von jener niederdrückenden Schwüle. Nur reine, klare Luft.

 

Ein Zaunkönig stimmt sein melodisches Lied in dem Busch neben mir an, ebenso hell und klar wie die Luft, und er begrüßt freudig den neuen Tag. Auch in das Vieh kommt langsam Leben. Vereinzeltes Blöken und Meckern ist zu vernehmen. Die Rinder schweigen still. Ob sie noch schlafen? Oder bereits genüßlich weiden? Ich bin zu müde, um mich umzuwenden und nachzusehen. Mit einem leisen Seufzer werfe ich die Decke völlig von mir und stehe auf.

 

„Hmpf!“ Mein linker Fuß landet mitten in einer der zahllosen Pfützen. Ein Überbleibsel der Gewitternacht. Reflexartig ziehe ich das Bein zurück und schüttle den Fuß aus wie ein nasser Hund.

 

Wenn ich schon gerade von Hunden rede: Da rennt dieser fette Kater haarscharf an mir vorbei – was weiter nicht schlimm wäre, wenn ihm nicht die ganze Hundemeute auf dem Fuß folgen würde. Natürlich genau durch die Pfütze neben mir! Naja, egal. Ich bin ja ohnehin schon naß. Wenigstens haben sie mich nicht wieder umgerannt.

 

Orgo schläft noch auf dem Platz neben mir und murmelt dabei unverständliche Worte. Ob er von Rosi träumt? Ich grinse, erinnere mich dann aber daran, daß ich eigentlich noch viel zu müde bin, um ihn zu wecken und damit aufzuziehen. Muß ich mir für später merken.

 

Während ich zum Fluß schlurfe gähne ich schon wieder herzhaft und räkele mich. Diesmal energischer. Das tut gut! So langsam spüre ich wie neue Energie durch meinen Körper fließt.

 

Plitsch! Platsch! Je weiter ich zum Fluß komme, desto zahlreicher sind die Pfützen, weil Ufer und Wiesen leicht abschüssig sind und hier alles zusammenläuft. Plitsch! Platsch!

 

Da ist die große Bresche, die Fluß und Wagen gestern gerissen haben als... Nein, daran möchte ich jetzt nicht denken. Es ist alles gut ausgegangen. Nein, jetzt möchte ich an etwas Schönes denken. Der Morgen hat so herrlich begonnen. Das Wasser schmeckt wunderbar. Ich trinke mehrere Handvoll davon und wasche mir dann flüchtig das Gesicht. Wieso weiß ich selbst nicht, denn schließlich bin ich sowieso schon völlig naß. Aber irgendwie ist es angenehm. Und die Sonne wird die Kleider bald wieder trocknen.

 

Hoffentlich auch die Wagenplanen, denke ich, als ich sehe wie trostlos diese um die Gestelle hängen. Einige von ihnen sind vom Sturm zerfetzt. Aber das ist nicht so schlimm. Die Frauen haben ihr Nähzeug mitgenommen und werden sie rasch flicken und ausbessern können. Wenn nur die Vorräte darunter nicht naß geworden sind. Einigen schadet es ja nichts. Das Gemüse werden wir trocknen können, damit es nicht fault. Aber wenn das Mehl Wasser abbekommen hat, ist es verdorben, überlege ich und lasse meinen Blick weiterwandern.

 

Da ist das Gestell mit Lobelias wohlbehüteten Hühnern. Sie liegt gleich daneben und hat ihren Arm beschützend daraufgelegt. Ein glucksender Laut arbeitet sich meine Kehle herauf. Nun, jeder hat seine Eigenarten und Schrullen. Irgendwie möchte ich gar nicht wissen, was die Leute so über mich denken. Das Glucksen wird zu einem ausgewachsenen Kichern.

 

Mir fällt auf, daß der Hahn heute Morgen gar nicht gekräht hat. Vielleicht habe ich es auch nur nicht gehört, denn er macht einen ganz gesunden Eindruck. Wieder atme ich die reine Luft ein, an deren Duft ich mich gar nicht sattriechen kann.

 

Aha! Jetzt meldet sich die erste Kuh mit einem langgezogenen, trägen Brüllen. Andere stimmen ein. Dürfte allmählich Zeit zum Melken sein. Und als hätten sie meine Gedanken gelesen, springen plötzlich überall Leute auf, von denen ich eben noch dachte, sie schlafen fest, greifen zielsicher einen der herumtrollenden Eimer und begeben sich zu den ungeduldiger werdenden Milchkühen und –ziegen. Als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Nun, eigentlich ist es das doch auch. Verwirrt über meine eigenen Gedanken schüttle ich den Kopf. Naja, wenn man einmal davon absieht, daß in unserem Lager ein heilloses Chaos herrscht und nichts mehr annähernd so aufgeräumt ist, wie wir es gestern hergerichtet hatten.

 

Jetzt werde ich Orgo wecken. Muß ihn doch fragen, wovon er geträumt hat. Leise schleiche ich mich heran, rufe ihm ein „Buh!“ ins Ohr und gehe sofort in Deckung, um der erwarteten Ohrfeige auszuweichen. Eines muß man Orgo lassen: Er hat großartige Reflexe; sogar im Halbschlaf.

 

„Mmm-morgen!“ nuschelt er und ich kann es mir natürlich nicht nehmen lassen, sofort frontal anzugreifen. Der direkte Weg ist oft der einfachste, pflegte mein Vater stets zu sagen. Außerdem kann Orgo gleich nach dem Aufwachen noch nicht so schnell denken. Ich grinse boshaft.

 

„Na, hast du von Rosi geträumt?“ säusele ich zuckersüß und mit dem Blick eines unschuldigen Kindes.

 

Orgo gähnt einen langgezogenen Vokal aus, der irgendwie nach „Das geht dich gar nichts an!“ klingt.

 

„Du hast im Schlaf geredet!“ kontere ich sofort frech und muß mir das Lachen verkneifen, als Orgo die Augen aufreißt als wolle ihm jemand ans Leben und mich anstarrt wie ein lebendig gewordenes Lebkuchenpferd.

 

Ich gucke wichtig. Wissend. Das macht ihn nervös. Er wendet sich um und zieht die schwere Decke von den Beinen.

 

„Alles naß!“ mault er, um vom Thema abzulenken. Doch so schnell lasse ich nicht locker.

 

„Höchst interessant!“ nicke ich ernsthaft und beiße mir auf die Zunge... Das hätte ich nicht tun sollen. Orgo hat es gemerkt und verdreht die Augen. Schnauft beleidigt aus. Schade. Wieder eine verpaßte Gelegenheit. Vielleicht sollte ich es ihm gerade auf den Kopf zusagen, anstatt mir Hoffnung zu machen, daß er endlich von selbst draufkommt – mit ein bißchen Hilfe sozusagen. Oder sollte ich mich doch besser ganz heraushalten? Ich schüttle energisch den Kopf und Orgo sieht mich fragend an.

 

„Dann kann ich lange warten!“ sage ich zu mir selbst und wende mich ab, um mich nicht erklären zu müssen.

 

„Wollen wir uns unser Frühstück angeln?“ Orgo steht mit ein paar flinken Sprüngen neben mir und sieht bereits äußerst unternehmungslustig aus. Ich frage mich, wie ein Mann so schnell munter werden kann. Ich selbst gähne gerade schon wieder, räkele mich und seufze zufrieden, was Orgo zu einem breiten Grinsen veranlaßt.

 

Er stülpt sich den Hut auf den Kopf – dieses seltsame, übergroße Ding, von dem er behauptet, er habe es von seinem Urahnen geerbt. Von Hamfast, dem Abenteurer. Nun, alt genug und mitgenommen sieht er wirklich aus. Wahrscheinlich wird er nur noch von dem Dreck zusammengehalten, der ihn so dick überzieht, daß ich beim besten Willen nicht sagen kann aus welchem Material er ist. Vielleicht wäscht Orgo ihn deshalb nie... Ich setze meinen eigenen Filzhut auf, der dagegen wie ein Kinderspielzeug wirkt und grinse mindestens ebenso breit.

 

„Von mir aus gerne, mein Herr!“ Ich mache eine weitausholende Verbeugung, wie wir sie einmal bei einem Händler gesehen haben. Irgend so eine eigenartige Verrenkung. Sehr ulkig anzuschauen. Doch weil Orgo gerade zur selben Zeit die gleiche Idee hat, stoßen wir hart mit den Köpfen zusammen und weil der Boden so glitschig ist, rutschen wir mit den Füßen nach vorne aus und setzen uns ziemlich unsanft auf den Körperteil, der zwar genau dazu geschaffen ist, aber eine sanftere Behandlung bevorzugt.

 

„Hmpf!“ Von den Hunden verschont und vom besten Freund geschlagen! Ich muß diese Gedanken laut ausgesprochen haben, denn Orgo bricht in schallendes Gelächter aus.

 

„Oh, ist es nicht noch ein wenig kalt zum Baden?“ erklingt eine glockenklare Stimme neben uns. Orgo wird auf der Stelle knallrot; verbirgt dies unter der breiten Hutkrempe. Jetzt bin ich derjenige, der lacht.

 

„Guten Morgen, Rosi!“ flöte ich. „Ich würde dir gerne einen Platz anbieten...“

 

„Nein, danke!“ kichert sie und winkt mit den Händen ab. „Guten Morgen, Orgonas!“

 

...hach, dieser sanfte Ton, dieses leise aufgeregte Vibrieren in der Stimme, der zaghafte Blick...

 

Mir hat sie keinen guten Morgen gewünscht! Demonstrativ verschränke ich die Arme vor der Brust und ziehe einen Schmollmund. Sinnlos. Keiner von beiden bemerkt es. Orgo lüftet artig seinen Hut zum Gruße – erstaunlich wie schnell die Röte verschwunden ist – und Rosi hat ohnehin nur Augen für ihn.

 

Na dann... Ich stehe auf und mache Orgo mit einem Räuspern darauf aufmerksam, daß er sie anstarrt. Er schluckt einen Kloß herunter, wie ich deutlich sehen und hören kann. „Guten Morgen, Rosilot!“ kommt es dann reichlich verspätet.

 

Ich verdrehe die Augen zum Himmel, seufze hilflos. Mal ehrlich: Da möchte man doch mit dem Hammer dreinschlagen! Doch bevor ich mich daran erinnern kann, daß ich gar keinen dabei habe, wird Rosis Name gerufen. Es ist ihre Mutter. Die Frau hat vielleicht ein Talent immer im falschen Moment zu erscheinen! Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, daß Orgo ihr als Freier für ihre Tochter nicht wirklich willkommen ist... Nach einem anmutigen Knicks – natürlich zu Orgo und nicht zu mir – ist das Mädchen auch schon verwunden.

 

„Angeln?“

 

Orgonas sieht ihr geistesabwesend nach.

 

Lange halte ich das nicht mehr aus! Ich packe ihn am Arm und ziehe ihn einfach auf und hinter mir her. Am Ufer angekommen schimpfe ich halblaut vor mich hin. Hätte mir vorhin schon auffallen können, daß der Fluß noch viel zu unruhig ist. Trotzdem. Wo wir schonmal hier sind setzen wir uns auf ein nicht überflutetes Fleckchen Erde und beobachten den Sonnenlauf über den dunklen Wipfeln des Grünwaldes. Er sieht recht nahe aus. So, als könnte man ihn in einem kurzen Fußmarsch erreichen. Aber wahrscheinlich täuscht die flache Ebene, die sich hinter dem breiten Fluß erstreckt.

 

Während wir so dasitzen, kommt das Vieh nach und nach zum Saufen. Die Tiere haben das Unwetter gut überstanden. Vielleicht besser als wir. Auch wenn es in der Nacht einige Mühe gekostet hat, sie zu beruhigen. Vor allem die Bullen hatten, durch die hell zuckenden Blitze und das laute Donnergrollen gereizt, beinahe die ganze Herde zum Durchgehen gebracht. Doch gerade als es kritisch wurde, war das Gewitter mit einem Mal verstummt, und die Heftigkeit des Regens hatte nachgelassen.

 

Verträumt werfe ich einen faustgroßen Stein ins Wasser und beobachte wie es aufspritzt und er langsam in der Tiefe verschwindet. Orgo beginnt leise vor sich hinzusummen und an einem Grashalm zu zupfen.

 

Ich weiß nicht wie lange wir so schweigend jeder seinen eigenen Gedanken nachgehangen haben. Irgendwann kommt Boldegrin von flußabwärts ins Lager gelaufen und berichtet, daß der fortgespülte Wagen sich nur wenig unterhalb zwischen einigen hervorragenden Felsen und angeschwemmten Baumstämmen festgeklemmt hat. Das ist der Wagen, der... nein, daran wollte ich heute doch nicht denken. Er sei so stark beschädigt, sagt er, daß es wohl wenig Sinn mache, ihn zu bergen. Die Vorräte darinnen sind alle verloren. Taleras nickt bedächtig und würdevoll. Manches Mal denke ich, ihn kann rein gar nichts aus der Ruhe bringen.

 

„Laßt ihn, wo er ist“, höre ich ihn sagen. „Wir werden die Alten auf die restlichen Ochsenkarren verteilen. Wir haben mittlerweile genug Platz darauf...“

 

Ja, weil ein Gutteil der Lebensmittel schon verbraucht ist. Er sagt es nicht. Ist ja auch überflüssig, weil es ohnehin jeder weiß. Wird Zeit, daß wir wieder etwas jagen können und es wäre gut, wenn wir einen Teil der Vorräte für den Übergang über das Gebirge aufsparen würden. Ob ich ihm das sagen soll? Nein, das weiß er sicher besser als ich.

 

Jetzt beginnen langsam die Aufräumarbeiten und Orgo und ich verlassen unseren Platz, um mit anzupacken. Der Schaden ist zum Glück geringer als befürchtet. Die Planen werden wieder zurechtgezogen. Zum Flicken ist später Zeit. Heute ist nicht mit Regen zu rechnen. Der Himmel ist strahlend blau. Und rein. Wie die Luft. Einige herumliegende Gegenstände werden eingesammelt. Irgendwie hat sich einiges über den Frühstücksvorbereitungen von selbst aufgeräumt.

 

Oh, das Mehl ist übrigens wie durch ein Wunder trocken geblieben. Gerade als wir Männer ein bißchen Ordnung geschaffen haben, lockt uns ein verführerischer Duft zu dem Fleckchen, wo emsige Frauenhände Haferkornfladen gebacken und frische Marmelade gekocht haben.

 

Mit Kennerblick hält Orgo neben mir die Nase in den Wind und schnüffelt genießerisch. Dann rückt er mit beiden Händen seinen Hut in Kampfstellung, wirft mir einen herausfordernden Blick zu und strebt mit großen Schritten der Quelle dieser Wohlgerüche zu. Ich schüttle lachend den Kopf und folge ihm, verzichte allerdings darauf, irgendwelche Kleidungsstücke zurechtzuziehen und bemühe mich statt dessen lieber, meinen Freund unauffällig zu jenem Ende der Anstehenden zu drängen, an dem Rosi die Leckereien verteilt.

 

Orgo bemerkt es zu spät und sieht mich mit hochgezogener Augenbraue an, als ich vergnügt über das Gelingen meines Planes vor mich hinkichere und die Handflächen gegeneinander reibe. Wie erwartet bekommt er natürlich kein Wort des Lobes heraus und so bin ich derjenige, der das Mädchen mit Schmeicheleien überhäuft. Nun gut. Vielleicht habe ich es ein wenig übertrieben. Rosi bekommt ganz heiße Ohren und Orgonas nickt nur verschämt, zustimmend. Ich seufze und zucke die Schultern. Da huscht ein schelmisches Grinsen über das Gesicht meines schweigsamen Gefährten.

 

„Also, auch wenn die Wortwahl ein wenig rüde ist...“ - Hat er ihr gerade zugezwinkert? - „... wo er recht hat, hat er recht.“ Er schenkt Rosi ein Lächeln, bei dem selbst die bissige Lobelia dahingeschmolzen wäre. Ich staune ihn überrascht an. Na also! Geht doch!

 

Jetzt müssen wir leider den Platz räumen, da die nächsten von hinten drängeln. Wir suchen uns ein nettes Plätzchen, an dem wir unser Frühstück genießen können. Es schmeckt wirklich genauso fabelhaft, wie es riecht! Und weil ich aufgrund des kleinen Erfolges bei der Essensvergabe so außerordentlich gut gelaunt bin, verzichte ich fürs Erste auf weitere Sticheleien. Sagte ich bereits, daß heute ein wundervoller Tag ist?

 

Nach dem Mahl läuft alles wieder in geordneten Bahnen. Das Geschirr wird gespült, die Wagen verladen, die Ochsen eingespannt. Wir haben inzwischen schon soviel Übung darin, daß dies reibungslos vonstatten geht und jeder weiß, wo sein Platz ist. Selbst die Kinder packen schon sicher mit an und sind richtig stolz auf die neuen Aufgaben, die ihnen immer selbständiger überlassen werden.

 

Dann geht es weiter. Beim Losfahren gibt es noch ein wenig Probleme, da die Räder der Karren tief in den Matsch eingesunken sind und zunächst einmal feststecken. Aber nach dem Sandmeer des gestrigen Tages kann uns das nicht mehr beeindrucken. Als wir dann erst einmal unterwegs sind, ist die Grasfläche noch unberührter als an unserem Lagerplatz, und es gibt weniger wassergefüllte Senken. Der Regen konnte besser ablaufen, und die Sonne hat bereits begonnen, den Boden zu trocknen. Wir kommen gut voran. Ohne schwülwarme Luft, ohne Staub und ohne Sandlöcher, und vor allem mit genügend Wasser und Weidegras für das Vieh.

 

Wir haben die Ponys wieder den Kindern überlassen, die sich allmählich zu richtig verwegenen Reitern entwickeln und gehen neben den gleichmäßig dahinrumpelnden Ochsengespannen her.

 

Über die nächsten drei Tage ist nicht viel zu berichten. Unser Weg verläuft stetig südwärts, immer am Ufer des Großen Flusses entlang. Der Sommer scheint sich mit diesem letzten Hitzeausbruch endgültig verabschiedet zu haben. Auch wenn die Sonne uns weiterhin einen wolkenlosen Himmel beschert, so besitzen ihre Strahlen doch nicht mehr die Intensität wie zuvor, und die Nächte werden merklich kühler.

 

Am Mittag des neunten Tages nach unserem Aufbruch aus der Heimat passieren wir jenen Bach, den wir auf der anderen Seite des Gebirgsausläufers angestrebt hatten, bevor wir nach Osten abgebogen sind. Am Abend des gleichen Tages erreichen wir die Waldstraße. Nun, zumindest muß sie das sein, wenn nicht alle die Lenker der Wagengespanne, deren Spuren einen gut sichtbaren Pfad ausgefahren haben, noch schlechtere Kartenleser sind als wir.

 

Dieser Straße werden wir nach Westen folgen. Danach geht unser Weg hinauf ins Gebirge. Ich erschaudere, als ich in der Ferne undeutlich die hohen, langgestreckten Felsmassen erblicke. Doch als ich mich umwende, erscheinen sie mir mit einem Mal freundlich und einladend.

 

Der Große Fluß ist hier sehr breit aber flach. Nach dem heißen Sommer führt er trotz jenes Unwetters vor drei Tagen so wenig Wasser, daß man, hüpft man von Stein zu Stein, trockenen Fußes hinübergelangen kann. Gleich dahinter schließt der Grünwald an. Seine äußersten Bäume strecken ihre Zweige weit über das Ufer.

 

Unbehaglich ziehe ich den Kragen meiner Jacke dichter um den Hals. Es wäre mir lieber, wenn wir nicht ausgerechnet hier nächtigen würden. Hier im Schatten des Waldes.

 

 

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