Ættryne

 

 

 

Früh am nächsten Morgen trafen sich die beiden Freunde wie verabredet in der alten Scheune am Ende der Straße. Gylthain trug bereits seine Reisekleider. Um die Hüfte hatte er ein Schwert geschnallt. Keines von den großen Schwertern, wie die erwachsenen Männer sie trugen. Ein kurzes, leichtes, wie es für die Größe eines Halbwüchsigen paßte.

 

Fricstan bewunderte soeben die scharfe Klinge, doch Gylthains Augen leuchteten, als er ihm dabei vom Schwert seines Vaters berichtete.

 

„Ættryne! Das ist ein Schwert, sage ich dir! Nicht so schmucklos und einfach wie dieses hier, das nicht einmal einen Namen hat.“

 

Fricstan zuckte nachlässig die Schultern. „Dann gib ihm doch einen Namen, wenn dir das so wichtig ist.“

 

„Ach!“ Gylthain machte eine verächtliche, wegwerfende Handbewegung. „Du verstehst das nicht! Bei euch in der Ostfold haben ja nicht einmal die Dörfer Namen!“

 

„Na und?“ Fricstan prüfte die Balance des Schwertes und versuchte ein paar Streiche, wie er es bei den Erwachsenen gesehen hatte.

 

„Ein Schwert muß sich seinen Namen erst verdienen“, erklärte Gylthain altklug. „Es hat sogar eine Inschrift!" Er wartete mit dramatischem Blick, bis der Kamerad artig nickte. „In elbischen Buchstaben, weißt du! Auf beiden Seiten der Klinge entlang."

 

„Und was steht da drauf?" wollte Fricstan, jetzt wirklich neugierig, wissen.

 

Gylthain ging in die Hocke und malte mit einem Strohhalm Buchstaben in den lockeren Stallsand. Dabei las er vor, was er schrieb, da er wußte, daß sein Freund des Lesens nicht mächtig war. „Ic sciere grimme, and slæpe efne æfter blodigum siege*!"

 

Fricstan starrte auf den Stallboden. „Warum steht das da?" fragte er verwirrt.

 

„Nicht da! Auf dem Schwert!" wetterte Gylthain beleidigt. „Auf dem Boden steht es nur, weil ich es da hingeschrieben habe!"

 

„Das weiß ich doch", lachte Fricstan, den die Euphorie des älteren Freundes amüsierte. „Aber wieso steht so etwas Blutrünstiges auf dem Schwert deines Vaters?"

 

Gylthain erhob sich mit der leichten Arroganz, die ihm standesgemäß zukam. „Weil es ein berühmtes Schwert ist. Und berühmte Schwerter haben Namen und Inschriften. Und Geschichten! Ich sage dir, könnte dir Geschichten von Ættryne erzählen...“

 

Er wurde unterbrochen. Draußen rief eine Frau ein wenig außer Atem, als wäre sie schon weit gelaufen an diesem Morgen: „Gylthain? Wo steckt der Junge denn schon wieder?“

 

„Ich bin hier, Earna!“ Gylthain ließ sich sein Schwert zurückgeben und schob es mit leisem Seufzen in die Scheide. Ständig war irgend jemand auf der Suche nach ihm. Das paßte dem Jungen überhaupt nicht.

 

In der Scheunentür erschien eine ziemlich dicke, nicht mehr junge Frau, mit einer sauberen Schürze über dem gestreiften Kleid, einem weißen Häubchen und roten, vollen Backen. Als sie die Jungen erblickte, stemmte sie zuerst einmal die Hände in die Hüften, um zu Atem zu kommen.

 

„Alles ist für den Aufbruch bereit. Sie warten nur noch auf dich!“ drohte die Kinderfrau mit dem Zeigefinger, aber in wenig überzeugend vorwurfsvollem Tonfall.

 

Gylthain nickte eifrig. Er freute sich ja auf die Reise. Auf die stolze Burg. Auf das wundervolle Fest. Auf die bevorstehenden Wettkämpfe. Könnte doch nur... Er warf Fricstan einen entschuldigenden Blick zu.

 

„Es ist nicht deine Schuld“, beruhigte der Freund ihn. Dann boxte er ihn kameradschaftlich in den Arm, und in seinen Augen leuchtete der Schalk. „Vergiß nicht, mir alles genau zu erzählen, wenn du zurückkommst! Ich will jede Einzelheit erfahren, also sieh genau hin und vergiß ja nichts!“

 

Gylthain war versucht, ihm die Zunge rauszustrecken, besann sich aber dann doch auf seine edle Herkunft, verzog den Mund zu einem breiten Grinsen und nickte zustimmend, bevor er Earna nach draußen folgte.

 

Die kleine Reisetruppe wartete vor den Stallungen. Gylmer hatte beschlossen, nur seinen engsten Hausstand mit auf die Reise zu nehmen. Sie würden nicht lange fort sein, und er wollte so wenig Aufhebens wie möglich machen. Deshalb hatte er nur einen leichten Wagen anspannen lassen, gerade groß genug, um die wenigen Notwendigkeiten zu fassen und darüber hinaus noch Earna und seinen beiden jüngsten Kindern ausreichend Platz zu bieten. Sein Knappe Fernhold lenkte das Gespann. Er saß bereits auf dem Bock, als Gylthain auf dem Platz ankam. Gylthond und Gyltha rannten um den Wagen herum, wobei das kleine Mädchen versuchte, ihren zwei Jahre älteren Bruder zu fangen, was ihr natürlich nicht gelingen wollte.

 

Lambold rollte soeben die Standarte seines Herrn zusammen, um sie auf dem Wagen zu verstauen. Gylthain erhaschte noch gerade einen Blick auf die goldene Sonne, bevor sie in der Rolle um den hölzernen Stab verschwand. Dann saß der Knabe auch schon mit geübtem Schwung auf dem Rücken seines Pferdes und betrachtete von dieser erhöhten Position aus interessiert den Inhalt des Wagens. Dort lag die schwere Lanze seines Vaters neben der blankpolierten Turnierrüstung, dem Kopfpanzer seines Pferdes und dessen Überwurf aus beweglichen Metallplättchen. Ein Zelt für die Frauen für die Nacht, Reisedecken und einige Vorräte.

 

„Wo ist Vater?“ fragte der Junge, als ihm auffiel, daß nicht nur er, sondern auch sein Streitroß fehlte.

„König Théoden ließ ihn soeben zu sich rufen“, erklärte sein älterer Bruder, Gylford. „Es scheint, er kann dieser Tage gar nicht ohne seinen Rat auskommen.“ Sein breites Grinsen spiegelte sich in Gylthains Gesicht wider. Der junge Mann hatte nicht unrecht. Schließlich waren die anderen Turnierteilnehmer bereits vor Tagen aufgebrochen.

 

„Es steht dir nicht zu, so über unseren König zu reden!“ tadelte Delwyn. „Du auch nicht, Gylthain!“ Sie gab letzterem einen Klapps auf den Hinterkopf, weil er es versäumt hatte, sein freches Grinsen rechtzeitig zurückzunehmen. Ihre Mutter achtete sehr darauf, daß ihre Söhne den Anstand wahrten und dem Herrn der Riddermark den nötigen Respekt entgegenbrachten.

 

„Faethond, steh da nicht herum. Hilf der Herrin beim Aufsteigen!“ kommandierte der eine Knappe vom Wagen herab den anderen. Dieser verzog etwas unwillig den Mund, weil er sich nicht sicher war, ob er sich das gefallen lassen mußte. Aber Fernhold war älter als er, also tat er, wie ihm geheißen.

 

Endlich waren auch die beiden Kinder eingesammelt und hatten auf dem Wagen Platz gefunden. Earna kletterte mit einiger Mühe auf den Bock, um sich neben Fernhold zu setzen, welcher sie an einer Hand faßte, um sie unterstützend hinaufzuziehen. Es fehlte nur noch der Vater.

 

Nicht lange brauchten sie zu warten, da kam er in fliegendem Galopp den Weg von der Goldenen Halle heruntergeprescht und parierte sein Pferd erst in knappem Abstand zum Wagen durch.

 

Gylmer war ein stattlicher Mann, Ende der Dreißiger. Blondes, etwas über schulterlanges Haar wallte unter dem Helm hervor. Er trug eine leichte Rüstung, einen runden Schild und am Gürtel ein schweres Knollenknaufschwert.

 

„Es kann losgehen!“ verkündete er, und die kleine Gruppe setzte sich in Bewegung.

 

Als sie an der Scheune vorbeiritten, stand Fricstan davor und blickte ihnen nach. Gylthain winkte ihm zum Abschied.

 

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*Ich schneide grimmig und schlafe nur nach blutigem Sieg.

 

 

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