Ættryne
„Warum
darf er nicht mitkommen?“ Gylthain hatte die Arme vor der Brust verschränkt und
den Kopf trotzig in den Nacken gelegt, um seinem Gegenüber in die Augen blicken
zu können. „Er ist mein Freund!“ begründete er seinen Wunsch, der schon eher
nach einer Forderung geklungen hatte.
Gylmer
lächelte, während er seinem Sohn in die vor Eifer funkelnden Augen sah. Der
Junge erfüllte ihn mit Stolz, nicht zuletzt, weil er seinem zornigen Blick standgehalten
hatte.
„Fricstan
hat Pflichten, um die er sich kümmern muß!“ bestand er auf seiner Entscheidung.
„Aber das
kann genauso gut jemand anderes tun!“ Gylthains Stimmlage schwankte seit
einiger Zeit zwischen einem hohen Quietschen und einem dumpfen, heiseren
Kratzen. Ich quieke wie ein furchtsames Ferkel! hatte er heute morgen
ziemlich mies gelaunt seinen Unmut an seinem Freund ausgelassen. Fricstan hatte
gelacht und ihm aufmunternd in die Rippen geboxt, und im nächsten Augenblick
waren die beiden Jungs spielerisch raufend durchs Stroh getollt.
„Und wer
sollte das besorgen, mein Sohn?“ erkundigte Gylmer sich in schulmeisterlichem
Ton.
Gylthain
zuckte wegwerfend die Achseln. „Schicke Lambold!“
Gylmer lachte.
„Lambold hat besseres zu tun, als Fricstans Onkel die Stiefel zu putzen und
Botendienste zu verrichten.“
„Dann
soll der Onkel das eben selbst erledigen!“ fauchte Gylthain, der nicht willens
war, sich so schnell geschlagen zu geben.
Doch
Gylmer schüttelte entschieden den Kopf. Er war bereit, seinem Sohn gewisse
Freiheiten zu gönnen, und es freute ihn, wenn er so zäh seinen Willen
durchzusetzen versuchte. Doch er mußte auch lernen, wann es genug war.
„Fricstan bleibt hier, und das ist mein letztes Wort!“
Gylthain
schnaubte wütend aus, doch er wußte, wenn sein Vater so sprach, war die Sache
entschieden. Schmollend wandte er sich um und stapfte nach draußen zu den
Ställen, wo er Fricstan zu finden hoffte.
Aus dem
Stall wehte ihm der Duft von frischem Heu und Dung entgegen. Gylthain schloß
die Augen und atmete ihn tief in seine Lungen.
„Was hat
dein alter Herr gesagt?“ rief ihn eine helle Stimme fröhlich an.
„Er hat
nein gesagt.“ Gylthain kickte einen Stein gegen die offenstehende Stalltür. „Er
hat nicht einmal einen guten Grund genannt. Nur, daß du nicht mitkommen
darfst!“ Wie es schien ärgerte ihn dieser Umstand noch mehr, als die
Erfolglosigkeit seines Ansinnens.
„Laß gut
sein“, versuchte Fricstan ihn zu beruhigen. „Dann bleibe ich eben hier, und du
erzählst mir alles, wenn ihr wieder zurück seid.“
„Hm...“,
grummelte Gylthain vor sich hin. Er hatte sich bereits so darauf gefreut, die
Feierlichkeiten zusammen mit seinem besten, seinem einzigen Freund, besuchen zu
können. Statt dessen mußte dieser in Edoras bleiben, um seinem Onkel alles
mögliche hinterher zu tragen.
„Wo liegt
eigentlich dieses Helms Klamm?“ lenkte Fricstan im munteren Plauderton das
Thema in eine andere Richtung.
„Etwa
zwei Tagesritte im Westen. Am Fuß des Weißen Gebirges. Es heißt, das Klammtal
führt weit in die Berge hinein, und die Schlucht wird schließlich so steil und
schmal, daß sich auf beiden Seiten Felswände wie mächtige Türme erheben. Darin
liegt die Klammburg, mit hohen Mauern und einem stolzen Turm in der Mitte.“ Gylthains
Augen leuchteten jetzt vor Begeisterung.
Er nahm
seinem Freund die Mistgabel aus der Hand, um ihm bei der Arbeit zu helfen. „Ich
habe gehört, die Meer-Könige haben diese Festung mit Hilfe von Riesen gebaut“,
erzählte er weiter, während er eine Ladung schmutziges Stroh im hohen Bogen auf
den bereitstehenden Karren beförderte. Dann spießte er die Zacken in den Boden
und stützte sich auf dem Stiel ab, starrte verträumte Löcher in die Luft.
„Man
erzählt sich, wenn die große Trompete auf dem Turm geblasen wird, hallt sie in
der Klamm dahinter wider, als ob längst vergessene Heere aus Höhlen unter den
Bergen in den Krieg zögen.“
Fricstan
nickte artig zu den Ausführungen seines älteren Kameraden. Dann zog er mit einem
Grinsen die Mistgabel unter dessen Kinn weg, daß Gylthain beinahe vornüber in
den Dung gefallen wäre und machte sich lachend selbst wieder an die Arbeit.
„Wenn du in diesem Tempo weitermachst, sind wir morgen noch nicht fertig, wenn
ihr aufbrechen wollt“, foppte er seinen Freund.
Gylthain
grummelte halbherzig. „Es wird ein großes Turnier abgehalten, mit
Schwertkämpfen und Lanzenreitern!“ schwärmte er weiter. Er steckte beide Hände
in die Hosentaschen und schlurfte zur Stallwand hinüber, um sich mit dem Rücken
dagegen fallen zu lassen, während er mit einem Fuß über den Boden scharrte. „Es
wäre viel schöner gewesen, das mit dir zu teilen!“ schmollte er.
„Gylthain!“
rief eine Frauenstimme. „Wo steckst du denn?“
Wie
elektrisiert spannte der Junge den eben noch lässig an die Wand gelehnten
Körper, und wie ein wildes Tier auf der Flucht suchte er nach einem Ausweg.
„Rowena!“
„Gylthain,
dein Unterricht wartet!“ lockte die Stimme näherkommend.
„>Höfisches
Benehmen<“, konkretisierte Gylthain mit kläglichem Gesichtsausdruck und
verdrehte die Augen.
Fricstan
nickte verstehend. „Hier entlang“, er hob ein loses Brett von der Trennwand zur
Nebenbox, „und dann durch die Hintertür. Ich halte sie auf.“
Gylthain
reichte seinem Freund die Rechte zum Dank und drückte mit der Linken zur
Bekräftigung dessen Oberarm. Dann zwängte er sich rasch durch den Spalt. Gerade
rechtzeitig, um dem Blick der eintretenden Dame zu entgehen.
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