Hamfast kam nun, bei den zahlreichen Pausen, die er
einlegte, wesentlich langsamer voran. Doch er hatte es nicht eilig.
So erreichte er eines Abends den Fuß des
Nebelgebirges.
Am nächsten Morgen begann der mühsame Aufstieg. Die
Sonne war soeben in den Ländern des Ostens aufgegangen und sandte ihr klares,
helles Licht aus. Aber die Jahreszeit war noch zu jung und der Tag zu früh, als
daß ihre Stahlen schon den rauhen Wind hier in den Bergen hätten erwärmen
können.
Hamfast zog seine Jacke am Hals dichter. Er konnte
von Glück reden, daß er ein solch trittsicheres Pony hatte. Er erinnerte sich
noch gut an seine letzte Überquerung. Die Pferde der Großen hatten sich hier
viel schwerer getan, und die Reiter hatten oft absteigen und ihre Tiere führen
müssen.
Der Weg wurde immer steiniger und enger, doch Bôr
trottete mutig und unbeirrt voran. Der Tag schritt fort und weiter.
Plötzlich blieb das Pony wie angewurzelt stehen und
legte die Ohren warnend zurück. Im Nu war Hamfast von seinem Rücken
heruntergerutscht, zog es hinter einen Felsvorsprung und schlich sich
vorsichtig und auf Deckung achtend zurück zum Pfad.
Bôr hatte sich nicht geirrt. Da kamen drei
schmierige, häßliche Gestalten den Paß entlang. Hamfast spürte, wie sein Herz
vor Aufregung schneller schlug. Er umfaßte einen Stein in seiner Tasche mit der
Faust und wartete ab. Die Orks kamen immer näher – und waren plötzlich
verschwunden. Panik stieg in Hamfast hoch. Wo waren sie hin? Hatten sie ihn
bemerkt und sich nun ihrerseits versteckt? Würden sie um ihn herumschleichen
und von hinten anfallen?
Lange Minuten wartete er, lauschte nach allen
Seiten, drehte sich in alle Richtungen und versuchte zwischen dem Steingewirr
irgend etwas zu erkennen. Aber er sah nichts und nichts geschah. Bôr machte
einen recht ausgeglichenen Eindruck. Dies gab Hamfast den Mut, sich etwas
weiter vorzuwagen. Nichts! Keine Orks, aber auch keine Höhle, in die sie hätten
verschwinden können!
Hamfast stand eine Weile unentschlossen da. Dann
entschied er, daß es wohl das beste wäre, so schnell wie möglich
weiterzureiten. Mit zittrigen Fingern ergriff er die Zügel seines Ponys,
schwang sich in den Sattel und machte, daß er von diesem unheimlichen Ort fortkam.
Er brauchte lange, um sich wieder zu beruhigen und
inzwischen war die Sonne untergegangen, und das letzte Licht des Tages schwand.
Nur zu gerne hätte Hamfast vermieden, in diesem
Gebirge zu übernachten, wußte er doch, daß es, wenn es erst dunkel war, hier
nur so von Orks wimmeln würde, doch war der Paß zu lang und zu unwegsam, um ihn
an einem Tag zu überqueren. Schweren Herzens führte Hamfast Bôr ein wenig
abseits des Weges, um sein Lager aufzuschlagen. Er durfte hier nicht einmal ein
Feuer anzünden, und da es in dieser Höhe des Nachts empfindlich kalt war, fror
er ganz erbärmlich. Fest schmiegte er sich an sein Pony, um sich an ihm zu
wärmen.
>Jetzt
weiß ich wieder was es war, das mir das Reisen so gründlich verleidet hat!<,
klagte Hamfast bei sich, zog die Decke enger um seinen Leib und änderte seine
Lage geringfügig um einem allzu spitzen Stein zu entgehen. Lange Zeit mied ihn
der Schlaf. Auf dem entfernten Paß konnte er die patschenden Füße und
gurgelnden Laute vorbeigehender Orks hören.
Hamfast zitterte wie Espenlaub. Ob vor Kälte oder
Furcht oder beidem zugleich, konnte er nicht sagen. Er hoffte inständig, daß
sie ihn nicht finden würden.
Irgendwann gegen Morgen schlief er, von der
Müdigkeit überwältigt, trotz allem ein und wurde nur wenige Stunden später von
Bôr geweckt, der ihm laut ins Ohr schnaubte.
>Steh auf!
Zeit weiterzugehen!<, schien er zu sagen.
Hamfast öffnete die Augen und stellte erleichtert
fest, daß er in der Nacht nicht von den Orks erschlagen worden war. Dann sah er
den vorgerückten Stand der Sonne und war mit einem Satz auf den Beinen. Er nahm
sich keine Zeit für ein Frühstück, raffte seine Sachen zusammen und sattelte
sein Pony.
Nichts wie weg aus dieser fürchterlichen Gegend! Hamfast
saß auf und trieb Bôr so schnell wie möglich weiter, den Pfad entlang.
~*~
Endlich hatte Hamfast das Nebelgebirge verlassen,
und die Hufe seines Ponys berührten wieder grasigen Boden. Der Hobbit folgte
schon seit einiger Zeit einem Flußlauf und bemühte sich vergeblich, sich den
Namen zurück ins Gedächtnis zu rufen. Zuletzt gab er diese Bemühungen auf.
„Unnötiges Nachdenken macht nur hungrig!“ erklärte
er Bôr in einem wichtigen Tonfall, und als ob dies eine Entschuldigung sein
sollte, zügelte er das Pony, hopste von seinem Rücken und suchte zwei Äpfel aus
seinem Gepäck hervor, von dem er einen Bôr anbot, der ihn erst prüfend
beschnupperte und dann vorsichtig und mit einem dankbaren Schnauben aus
Hamfasts Hand nahm. Dieser ging kauend zum hohen Ufer des Flusses, setzte sich
dort nieder und ließ seine Füße gemütlich durch die Luft baumeln.
„Was meinst du, Bôr“, fragte er mit vollem Mund,
„sollen wir heute noch versuchen diesen Wald dort trüben zu erreichen?“ Er
deutete mit einem seitlichen Kopfnicken auf den dunkeln Streifen, der sich am
Horizont abhob.
Hamfast versuchte die Entfernung zu schätzen. Aber
er war nicht besonders gut in solchen Dingen. Der kleine Mann runzelte die
Stirn, als ob er angestrengt überlegen würde.
Sein Pony blickte in die angedeutete Richtung,
schien aber keineswegs glücklich bei dem Gedanken. Es zog die Luft prüfend
durch die Nüstern ein, verdrehte die Ohren und sah seinen Herrn unzufrieden an.
Hamfast lachte belustigt. „Irgendwann bring ich dir
noch das Sprechen bei!“ Er stand auf und tätschelte dem Tier den Hals. „Ich
weiß, daß du keine Wälder magst, aber dort werden wir besser geschützt sein als
hier in der freien Ebene“, versuchte er es zu beruhigen und saß wieder auf.
Ein letztes Mal brachte Bôr seinen Unmut durch ein
klägliches Wiehern zum Ausdruck, dann trottete er weiter.
Nach einigen Stunden - die Sonne sandte ihre
letzten Strahlen auf das Land - erreichten die beiden den Saum des Waldes.
Hamfast wollte sein Pony hineintreiben, doch dieses blieb stehen, schüttelte
abweisend den Kopf und wehrte sich standhaft, auch nur einen Schritt
weiterzugehen.
„Nun komm schon Bôr! Stell dich nicht an wie ein
kleines Kind!“ schimpfte der Halbling, schlug ihm die Fersen in die Flanken und
wedelte mit seinen Ärmchen ungeduldig durch die Luft.
Ein zorniges Schnaufen war die Antwort, das
plötzlich von einem hellen Lachen unterbrochen wurde. „Was haben wir denn da?
Hast du schon einmal ein so seltsames Männlein gesehen?“
„Nein, noch nie! Und dabei bin ich doch wahrlich schon
weit in Ennor herumgekommen!“ kam die amüsierte Antwort.
Hamfast fuhr zusammen und starrte auf die
Baumwipfel, von denen diese Stimmen zu kommen schienen, wagte aber auch nicht
einen Ton von sich zu geben.
Das erneute Lachen, das erklang, sagte ihm, daß
nicht nur die beiden Sprecher sich dort befanden, sondern noch eine ganze Reihe
weiterer Personen da oben stecken mußten. Sehen jedoch konnte er keinen.
„Euer Pferd scheint weiser zu sein als Ihr!“ hörte
er nun wieder den Ersten. Seine Stimme klang freundlich und hatte nichts
Bedrohliches.
Mit einem Mal schwang er sich von einem Ast
herunter, stand direkt vor Hamfast und lächelte ihn an. „Seid gegrüßt, kleiner
Mann! Was führt Euch auf so seltsame Pfade?“ Er war groß und schlank, trug
einfache erdfarbene Kleidung und hatte lange dunkle Haare. In der Hand hielt er
einen Bogen und auf dem Rücken war ein Köcher befestigt, aus dem
braungefiederte Pfeile hervorblickten. Dies war zweifellos ein Elb.
Hamfast hatte sich schnell wieder gefaßt, rutschte
aus dem Sattel und machte eine unbeholfene Verbeugung, bei der er seinen Hut
großspurig durch die Luft schwenkte. „Auch ich grüße Euch, werter Herr Elb!
Mein Name ist Hamfast Gerstenbräu, und dies hier ist Bôr.“ Der Kleine strahlte
über das ganze Gesicht und erwartete sichtlich, daß sich sein Gegenüber nun
ebenfalls vorstellen würde.
Er wurde nicht enttäuscht. „Taurfaron nennt man
mich“, antwortete der Elb und ließ ein weiteres belustigtes Lachen hören, in
das seine Kameraden auf den Bäumen einstimmten. Taurfaron machte eine knappe
Handbewegung, und wie aus dem Nichts tauchten acht weitere Elben hinter ihm
auf.
Hamfast fühlte sich mit einem Mal doch ein bißchen
unwohl, als er sich so unverhofft einer solchen Anzahl Fremder gegenübersah und
machte unwillkürlich einen Schritt zurück.
„Ihr habt nichts vor uns zu befürchten, Herr
Hamfast, denn ich sehe, daß Ihr ein friedlicher Bewohner Mittelerdes seid.“
Wieder hörte man Kichern. Taurfaron hob die Hand und gebot Schweigen, auch wenn
es ihm selbst nicht leicht fiel, ernst zu bleiben.
Das kleine Männlein, das da vor ihm stand, machte
aber auch einen zu ulkigen Eindruck. Kaum halb so groß wie die Elben, übertraf
es sie in der Breite um ein Beträchtliches. Den Hut hatte es noch nicht wieder
aufgestülpt, sondern knautschte ihn verlegen in den Händen hin und her und sah
den Elben dabei aus großen, blauen Augen so arglos an, daß dessen letzte
Bemerkung nur allzu gerechtfertigt erschien.
Forschend glitt Taurfarons Blick über Hamfast und
sein Pony. „Ihr tragt keine Waffen?“ fragte er endlich ehrlich erstaunt und
schüttelte den Kopf. „Wie bereits gesagt, Euer Pferd scheint weiser zu sein als
Ihr.“
Er hob entschuldigend die Hände. „Wißt Ihr denn
nicht, daß es gefährlich ist, sich nach Untergang der Sonne in diesem Wald
aufzuhalten?“
„Ich dachte eigentlich, es wäre sicherer im Schutz
der Bäume...“, murmelte Hamfast kleinlaut.
Taurfaron schüttelte abermals den Kopf. „Ihr
scheint nicht von hier zu sein...“ Eine überflüssige Bemerkung, wie er selbst
feststellte und was ihm auch sogleich durch das zurückgehaltene Prusten einer
seiner Begleiter bestätigt wurde. Er warf einen mahnenden Blick in die Runde.
„Nun, so könnt Ihr natürlich nicht wissen, daß ein Troll
in diesem Wald lebt. Kommt!“ forderte er ihn auf. „Machen wir, daß wir hier
fortkommen! Wir haben nur noch wenige Sonnenstrahlen, die wir nutzen können, um
eine genügende Stecke zwischen uns und Eryn Torog zu bringen.“
Willig folgte Hamfast den Elben. „Wohin führt Ihr
mich?“ wollte er nach einiger Zeit wissen.
Taurfaron deutete mit der Hand nach vorne. „Dort
drüben gibt es eine Höhle, in der wir Unterschlupf suchen können.“
„Wohnt Ihr hier in der Nähe?“
Taurfaron schüttelte den Kopf.
„Wo wohnt Ihr dann?“ Hamfast beäugte den Elben
neugierig, und da er wieder auf sein Pony gestiegen war, mußte er den Kopf dazu
nicht übermäßig heben.
Taurfaron lachte. „Ihr seid ein wißbegieriger Mann,
Herr Hamfast. Aber wo wir wohnen... nun, das halten wir weitestgehend geheim.“
Er lächelte Hamfast freundlich an. „Es ist in diesen Zeiten nicht gut, wenn zu
viele Fremde über den Aufenthalt eines Volkes Bescheid wissen.“ In seinem Ton
lag etwas Entschuldigendes.
Hamfast nickte verstehend und konnte sich eine weitere
Frage gerade noch verkneifen.
Stattdessen musterte er Taurfarons Begleiter nun
eingehend. Sie waren alle in ähnliche erdfarbene Kleidung gewandet, trugen
Pfeil und Bogen aber keine Schwerter oder Dolche wie es schien. Sie machten auf
Hamfast eher den Eindruck von Jägern als von Kriegern, und bald schon erfuhr
er, daß er mit dieser Beobachtung richtig gelegen hatte und diese Leute sich
wirklich auf der Jagd befanden, um Nahrung für ihr Volk herbeizuschaffen.
Nach einer kurzen Strecke erreichten sie die Höhle,
von der der Elb gesprochen hatte. Ein schmaler Spalt führte in das Innere. Sie
schien des öfteren von ihnen benutzt zu werden. Einer der Männer trat an den
hinteren Rand und wälzte einen Stein beiseite. Es wurde eine Öffnung frei, in
der sich einige Decken, Vorräte und sogar Brennholz befanden.
Ein anderer entfernte einen zweiten Stein. Das Loch
dahinter war rußgeschwärzt. Er kniete davor nieder, schichtete geschickt die
Holzscheite und entfachte – Hamfast konnte nicht sehen, wie er dies so schnell
bewerkstelligt hatte – mit einer Handbewegung das Feuer. Ein Spalt, der
verborgen von diesem Loch nach oben führte, wirkte wie ein Kamin. Der Hobbit
schlug begeistert die Hände zusammen.
„Setzt Euch, Herr Hamfast.“ Taurfaron machte eine
einladende Geste zu einem der Steine, die so natürlich herumgelegen und sich,
nachdem die Elben sie umgedreht und zurechtgeschoben hatten, als Tisch und
Bänke mit Rückenlehnen entpuppten. Eben wurde eine der Decken darüber
geschlungen und so ein recht bequemer Sitz geschaffen. Die Vorräte wurden auf
dem Tisch ausgebreitet, Bôr war bereits absattelt und –gerieben, bevor Hamfast
sich wieder gefaßt hatte. Die Höhle hatte sich in eine gemütliche Wohnstube
verwandelt!
Staunend sah er sich um und kletterte dann auf eine
der Bänke. Bôr wieherte zufrieden, als man ihm sein Futter brachte. Hier gefiel
es dem klugen Tier viel besser, als in diesem zwielichtigen Wald.
Bald saßen alle schmausend beisammen. Die Speisen waren
ungewohnt für den Halbling, schmeckten ihm aber ganz offensichtlich, denn er
ließ eine solche Menge davon zwischen seinen Zähnen verschwinden, daß die Augen
der Elben zuerst immer größer wurden und irgendwann einer von ihnen gut gelaunt
einwarf, daß er sich nun nicht mehr über den stattlichen Bauchumfang des
Kleinen wundere.
Nach dem Essen zündete Hamfast sein Pfeifchen an
und sorgte damit für erneutes Aufsehen unter den Erstgeborenen. So etwas
schienen sie noch nie zuvor gesehen zu haben, und der Hobbit nutzte die
Gelegenheit ihnen vom Anbauen der Tabakpflanzen zu erzählen, wobei sie ihm
interessiert, aber verständnislos lauschten.
Vielleicht war es das ungewohnte würzige Getränk,
das bald darauf Hamfasts Zunge endgültig löste und ihn trotz seines guten
Vorsatzes erzählen ließ, woher er kam und wohin ihn sein Weg führte.
Taurfaron sah den Kleinen nachdenklich an. Fragte
ihn aber nicht nach dem Grund für seine Reise. Statt dessen sagte er: „Ihr müßt
ein mutiger Mann sein, Hamfast Gerstenbräu, wenn Ihr alleine einen so weiten
Weg auf Euch nehmt.“
„Mutig oder unerfahren...“, vervollständigte sein
Nachbar. Schweigen breitete sich aus.
Hamfast hatte die letzte Bemerkung nicht mehr
mitbekommen. Die Augen waren ihm schwer geworden, und er war tief und fest
eingeschlafen.
Einige Augenblicke war es still. Dann setzte ein
verheerendes Schnarchen ein. Die Elben hielten sich lachend die Ohren zu.
„Oh weh! Er wird alle Orks in ganz Ennor auf uns
hetzen!“
„Sie werden denken, daß ein Bär hier haust und die
Flucht ergreifen!“ widersprach ein anderer schmunzelnd.
Hamfast ließ sich von all dem nicht stören und
schnarchte genüßlich weiter. Taurfaron lächelte und breitete eine zweite Decke
über ihn. Dann bedeutete er zweien seiner Leute vor der Höhle ihre Wachtposten
zu beziehen.