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Allmählich war Hamfast das Schweigen zu drückend geworden. „Wir müssen jetzt bald vom Weg herunter“, sagte er, weil ihm gerade nichts anderes einfiel und blickte Dringol treuherzig von unten herauf an.

 

Der Schmied reagierte nicht auf seine Worte und blickte stur geradeaus.

 

Hamfast rutschte etwas nervös auf seinem Pony hin und her. „Wir werden die Hauptstraße vor Einbruch der Dunkelheit nicht mehr erreichen“, startete er einen zweiten Versuch.

 

Wieder Schweigen. Gleichmäßig erklang das reibende Geräusch der großen Räder auf dem sandigen Boden. Hamfast tätschelte den Hals seines Ponys. Wenn der Große nicht mit ihm reden wollte, würde er sich eben mit Bôr unterhalten. „Du freust dich darauf, endlich wieder ein bißchen Bewegung zu bekommen, nicht wahr, Bôr?!“

 

Dringol horchte auf und betrachtete das kleine Tier aufmerksamer, als er es bisher getan hatte. Es war ein zierliches und dennoch kräftiges Pony mit einem seidig glänzenden fuchsfarbenen Fell und langer, gepflegter Mähne und Schweif, einem wohlgeformten, muskulösem Körperbau, schlanken Fesseln und schönem Kopf und Hals. Bei näherer Betrachtung wollte dieses edle Tier so gar nicht zu seinem biederen Besitzer passen.

 

„Ihr nennt Euer Pony ‚Bôr’?“ fragte er erstaunt und blickte den kleinen Mann mit ehrlichem Interesse an.

 

Hamfast machte einen kleinen Luftsprung im Sattel. Diese knappe Frage kam einer Aufforderung zum Erzählen gleich, und wenn es etwas gab, was noch gefährlicher war, als einen Bewohner von Breth zum Erzählen zu ermutigen, war es, dabei Interesse an der Antwort zu zeigen.

 

„Ja, wißt Ihr, nicht ich gab ihm diesen Namen, sondern die Elben. Er bedeutet soviel wie ‚treuer Freund’ in der Sprache der Menschen. Bôr wurde mir nämlich von den Elben geschenkt, für einen Gefallen, den ich ihnen einmal erwiesen habe...“

 

„Soo?“

 

Was war es nur in Dringols Stimme, das Hamfast zur Vorsicht mahnte? Oder war es das leise warnende Schnauben seines Ponys? Der kleine Mann kratzte sich umständlich hinter dem Ohr und verschob dadurch seinen großen breitkrempigen Hut.

 

„Naja, es war nichts besonderes“, spielte er die Sache herunter und verschwieg zugleich, daß er nicht sicher war, ob Bôr nun wirklich ihm gehörte oder nicht, denn dies hätte zu vieler weiterer Erklärungen bedurft und Hamfast fühlte sich mit einem Mal ein wenig unbehaglich.

 

Vielleicht war es besser, wenn nicht zu viele Leute von seinem Vorhaben erfuhren, schoß es ihm durch den Kopf. Es könnte sich jemand zu sehr für die Vorgeschichte interessieren. Vor seinem eigenen Volk war es ihm zwar nicht schwer gefallen, Gil-galads Bitte der Verschwiegenheit zu erfüllen, ja, er hatte sich sogar einen Spaß daraus gemacht sich wichtig zu tun und seine Kameraden vor Neugierde fast platzen zu sehen, doch würde ihm dies auch gelingen, wenn einer der Großen mit Nachdruck auf Antwort bestand?

 

„Wirklich nichts besonderes“, sagte Hamfast noch einmal und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Aber sie schienen keine rechte Verwendung für den kleinen Burschen zu haben. Elben sind sehr groß, wißt Ihr.“

 

Hamfast sah wieder zu Dringol hinauf. „Ihr seid auch sehr groß. Seid Ihr ein Elb?“ fragte er ihn, um vom Thema abzulenken.

 

Dringol lachte leise vor sich hin. „Nein, ich bin kein Elb.“

 

„Dann seid Ihr also ein Mensch?! Wißt Ihr, ich bin schon Menschen begegnet, aber keiner von ihnen war so groß wie Ihr.“

 

Dringol gab keine Antwort. Was ging es den Knirps auch an.

 

Hamfast fuhr unbeirrt fort: „Die Leute meines Dorfes sind ja eher klein.“

 

Der Schmied konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. ‚eher’ klein. Das war gut!

 

„Vielleicht sind die Menschen dort, wo Ihr herkommt einfach größer.“ Hamfast merkte, daß er auf diese Weise kein Gespräch beginnen konnte, da Dringol einfach nicht darauf eingehen wollte. Eine Weile schwieg der Hobbit.

 

Wieder war es Dringol, der begann. „Wo reitet Ihr hin, Herr Hamfast?“ Er hatte eine tiefe, melodiöse Stimme, die sehr angenehm klang, wenn nicht gerade Unmut oder Herablassung darin mitklangen.

 

Hamfast schob seinen Hut wieder zurecht. „Och, ich habe kein bestimmtes Ziel“, log er und wunderte sich sogleich über sich selber. Das war ganz und gar nicht seine Art. Doch ihm fiel keine andere Antwort ein, die der Wahrheit entsprach und den Fremden nicht unwillkürlich zu weiteren Fragen gereizt hätte. „Ich reise ganz gerne ein wenig in der Gegend herum“, sagte er deshalb.

 

Dringol sah ihn zweifelnd an, sagte aber nichts.

 

„Was eigentlich sehr ungewöhnlich für die Leute meines Volkes ist. Denn eigentlich wohnen wir recht zurückgezogen und verlassen unsere Dörfer nur selten. Aber bei uns scheint dies in der Familie zu liegen. Nicht zuletzt der Bruder meiner Großmutter väterlicherseits zeigte einen ausgeprägten Hang zur Wanderschaft. Man sagt, einmal sei er sogar bis an den Rand des großen Waldes gekommen, der östlich unseres Dorfes liegt! Und...“

 

Endlich hatte Hamfast zurück zu seiner gewohnten Form gefunden und erschlug den Fremden mit einer Flut von Informationen über die Bewohner von Breth. Mit einem gequälten Stöhnen stellte Dringol fest, daß der Kleine nicht nur dessen sämtliche noch Lebende, sondern auch die bereits Dahingeschiedenen, mehrere Generationen zurück kannte.

 

Dringol schimpfte innerlich über sich selbst. Wie hatte er auch so naiv sein können zu glauben, daß er von solch einer lächerlichen Person etwas wirklich Interessantes würde erfahren können! Er schwor sich, nie wieder eine simpel und einfach klingende Frage an diesen redewütigen Kerl zu stellen. Wortlos ergab er sich in sein Schicksal.

 

~*~

 

Hamfast kramte einen Apfel aus seinem Rucksack hervor. Von seiner letzten Reise her wußte er, daß die Großen zu seltenen Pausen und wenig Essen neigten. Er hatte sich damit abgefunden und kaute schmatzend an der süßen Frucht herum, während sein Pony munter neben den Pferden des Schmiedes herzockelte.

 

Dringol atmete tief durch. Nun, zumindest während des Essens würde der Mann nicht reden können, hoffte er, doch zu seiner Erleichterung machte Hamfast auch nachdem er den Apfel verzehrt hatte, keine Anstalten das Gespräch wieder aufzunehmen. Es schien, als müsse er sich auf den Weg konzentrieren.

 

Dringol mußte sich eingestehen, daß er diesen ohne die Hilfe eines Führers wirklich nicht gefunden hätte. Er blickte sich um. Ein grüner Hügel löste den anderen ab und alle sahen sie gleich aus. Taleras hatte also recht behalten. >Genauso langweilig wie seine Bewohner<, dachte Dringol und fiel in Gedanken.

 

„Ach, ist das nicht ein wunderschönes Fleckchen Erde?“ wurde er einige Zeit später von Hamfast aus seinen Überlegungen gerissen. „Seht doch nur die Wiesen und die vielen bunten Blumen! Und riecht Ihr es?“ Hamfast zog mit geschlossenen Augen geräuschvoll die Luft ein. „So richt nur das allerfeinste, saftigste Gras!“

 

Dringol blickte sich um. Die Gegend, durch die sie gerade ritten, sah haargenau so aus wie die, durch die sie schon den ganzen Nachmittag geritten waren.

 

Doch der seltsame kleine Mensch war begeistert. Wonnig hüpfte er auf seinem Sattel herum und suchte die Umgebung mit großen leuchtenden Augen ab. Seine Begeisterung schien sogar sein Pony angesteckt zu haben, denn dieses verdrehte die Ohren, warf den Schweif nach allen Seiten und ließ ein freudiges Wiehern hören.

 

Dringol schüttelte nur verständnislos den Kopf.

 

Langsam näherte sich die Sonne dem Horizont. Irgendwo zwischen ein paar Hügeln schlugen die ungleichen Reisegefährten ihr Lager auf.

 

Dringol staunte nicht schlecht, als Hamfast, nachdem er ein kleines Lagerfeuer entfacht hatte, einen Topf aus seinem Rucksack hervorkramte und geschäftig anfing zu kochen. Dabei summte er die einfache Melodie eines alten Trinkliedes vor sich hin und gebärdete sich ganz so, als befände er sich zuhause in seiner Höhle am Herd. Sogar eine Anzahl getrockneter Kräuter und Gewürze hatte er eingepackt und breitete diese nun neben sich aus. Als nächstes holte er allerlei Früchte hervor, von denen Dringol nicht einmal die Hälfte kannte und begann sie zu schälen.

 

Der Schmied spannte seine Pferde aus und verschwand kopfschüttelnd im Wagen.

 

Als er nach einiger Zeit wieder hervorkam, empfing ihn der Duft von Hamfasts Gemüseeintopf. Dringol schnupperte. Das roch wirklich verlockend.

 

Hamfast nickte ihm lächelnd zu und machte eine einladende Handbewegung. „Kommt, Herr Dringol, laßt uns gemeinsam essen.“

 

Der Schmied ließ sich das nicht zweimal sagen.

 

Als er sich zu dem Hobbit gesetzt und einen Teller in Empfang genommen hatte, streifte Dringol die Kapuze vom Kopf, um besser essen zu können.

 

Langes glänzendes schwarzes Haar quoll unter dem Mantel hervor und fiel ihm in leichten Wellen bis auf den Gürtel herab. Hamfast betrachtete den Mann neugierig. Bisher hatte er von ihm kaum mehr als Mund und Kinn zu sehen bekommen.

 

Dringol lächelte nur über das offensichtliche Interesse des Hobbits an seinem Äußeren und schlürfte genüßlich die Suppe, ohne sich von dem Halbling stören zu lassen.

 

Er schien noch recht jung zu sein, vielleicht dreißig Jahre schätzte Hamfast, sein bartloses Gesicht war ebenmäßig, und die dunklen Augen warm und tief und von langen, dichten Wimpern beschattet.

 

Hamfast ließ einen verwunderten Laut hören. Er mußte sich eingestehen, daß Dringol für einen Menschen nicht nur außerordentlich groß, sondern auch ungewöhnlich gutaussehend war. Ja, man konnte ihn ohne weiteres als schön bezeichnen, und hätte er die Frage danach nicht so entschieden verneint, wäre Hamfast nun davon überzeugt gewesen, einen Elben vor sich zu haben.

 

Der Eintopf roch nicht nur vortrefflich, sondern schmeckte auch so. Dringol fand aufrichtige Worte des Lobes. Das gute Essen hatte ihn milde gestimmt, und so ließ er geduldig einen neuen Redeschwall des Dicken über sich ergehen.

 

Er erzählte von der Erfindung des Urgroßvaters der Base seines Nachbarn und des Ohms seiner Großmutter väterlicherseits. Es handelte sich dabei um ein Getränk, das sie aus Gerstenkörnern zusammenbrauten und nach dem sich die Urahnen seines Nachbarn Gerstenkorn und seine eigenen Urahnen Gerstenbräu genannt hatten und worüber er allem Anschein nach sehr stolz war.

 

Während der Kleine fleißig erzählte, bewunderte Dringol dessen Pfeife, die einen wirklich ungeheuer großen Kopf hatte, und die Kunst, mit der Hamfast seine Rauchkringel in immer neuen Formen durch die Luft blies.

 

Über all dem war es schon recht spät geworden und so rollten sich die beiden schließlich in ihre Decken und schliefen kurz darauf ein.

 

~*~

 

Am nächsten Morgen, nach einem ausgiebigen Frühstück, spülte Hamfast das Geschirr in einem kleinen Bach, den er zu Dringols Verwunderung irgendwo zwischen den vielen gleichartigen Hügeln entdeckt hatte.

 

Nachdem alles wieder in seinem Rucksack verstaut und auch die Wolldecke am Sattel befestigt war, bückte er sich, um ein paar glatte, handgroße Steine aufzulesen und in seine Jackentaschen zu stecken.

 

Dringol runzelte die Stirn. „Wozu ist das denn?“

 

Hamfast sah in unschuldig an. „Nun, damit ich mich wehren kann, wenn wir von Orks überfallen werden!“

 

Dringol verzog den Mund zu einem geringschätzigen Lächeln. Hätte er jedoch gewußt, wie zielsicher und todbringend der kleine Mann einen solchen Stein zu werfen wußte, wäre ihm das Lachen schnell vergangen.

 

Gegen Mittag erreichten die beiden den Nordweg und zwei ereignislose Tage später, trafen sie auf die westliche Waldstraße.

 

„Ihr wollt also von hier aus der Weststraße folgen und über den Paß?“ fragte Dringol und biß sich sogleich auf die Zunge.

 

Doch zu seinem Glück wollte Hamfast gerade auf dieses Thema nun so gar nicht eingehen. Er nickte nur. „Und wohin führt Euch Euer Weg?“

 

Dringol blickte gedankenverloren nach Süden. „Ich reise nach Lórinand.“

 

„Geschäftlich?“ wollte Hamfast wissen. Was für eine dämliche Frage! Natürlich mit dem schweren Fuhrwerk nicht zum Vergnügen!

 

Jetzt war es Dringol der nickte. „Ja, es gibt einige verstreut lebende Elben in diesen Landen, denen ich meine Dienste anbieten möchte.“

 

„Dann wünsche ich Euch viel Erfolg!“ sagte Hamfast. Seine Wünsche klangen aufrichtig und waren auch so gemeint.

 

„Und ich wünsche Euch eine angenehme Reise, wo auch immer sie Euch hinführen mag“, sagte Dringol ein wenig ironisch.

 

Nach diesem kurzen Wortwechsel trennten sich die beiden und gingen ihrer Wege.

 

Hamfast lenkte sein Pony auf die Waldstraße und folgte ihr in westlicher Richtung auf das Nebelgebirge zu.

 

Der Schmied sah ihm eine Weile nach. Er wußte nicht so recht, was er von diesem Männlein halten sollte. Wahrlich seltsame Geschöpfe gab es in Arda. Und obwohl er so klein und allein und unbewaffnet war, ritt dieser Mensch so munter dahin, als ob er sich wirklich nur auf einem gemütlichen Ausflug befände.

 

Wieder einmal schüttelte Dringol den Kopf. Dann trieb er seine Pferde an, und das Fuhrwerk rumpelte weiter in südlicher Richtung die Hauptstraße entlang und seinem Ziel entgegen.

 

 

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