„Ein armer fahrender Schmied?“ Hamfast legte
zweifelnd die Stirn in Falten.
Orgulas sah ein wenig dumm-dämlich drein. „Und?“
Hamfast begann gelangweilt mit seinem Messer in dem
Stück Brennholz, das er gerade in den Ofen hatte schieben wollen, als der
Fremde aufgetaucht war, und das er immernoch in der Hand hielt, herumzuritzen.
„Ich weiß nicht, Orgo. Vielleicht haben die Leute >da draußen< andere Maßstäbe...“ Er brach ab und führte seinen
Gedanken nicht zuende.
Orgulas war zu dem großen Baum getreten, der mitten
auf dem Dorfplatz stand und sah hinauf. „Er fängt schon an zu blühen!“ Orgulas
strahlte über das ganze Gesicht. Er liebte diese saftigen roten Äpfel.
Hamfast lachte belustigt auf. „Ich wette, du hast
mir gar nicht zugehört!“
Der so Getadelte hob nur einmal die Schultern. „Na
und? Wer weiß schon, was die >da
draußen< unter >arm<
verstehen? Was kümmert es uns?“
„Du hast recht, Orgo. Laß uns nachhause gehen. Ich
wollte heute noch die Frühkräuter aussähen.“
Wenige Augenblicke später lag der Dorfplatz wieder
verlassen da. Alle waren zurück an ihre tägliche Arbeit gegangen. Nur das
Fuhrwerk stand einsam unter dem Apfelbaum.
~*~
Taleras hielt einen kurzen Moment inne, um seine
Gedanken neu zu ordnen. Dringol, der befürchtete dies könnte die einzige Pause
für lange Zeit im Erzählfluß dieses kauzigen Kerls sein, benutzte sie schnell,
um auf sein Anliegen zurückzukommen.
„Werter Taleras“, begann er, und seine Stimme klang
etwas schroff, „Ich danke Euch sehr für Eure Gastlichkeit, aber ich muß
weiter.“ Er schlug sich mit den Händen auf die Knie und stand auf. „Wenn Ihr
also so gut wäret, mir den Weg zurück zur Hauptstraße zu weisen...“
Taleras hatte soeben den Mund geöffnet um in seinen
Auseinanderlegungen ihrer Sitten und Bräuche fortzufahren und benötigte ein
paar Sekunden, um sein Gehirn auf diese neue Herausforderung umzustellen. „Der
Weg zur Hauptstraße... hm... ja...“, begann er und sah seine beiden Kameraden
hilfesuchend an. „Nun, Ihr könntet diesem Weg hier eine Weile weiter folgen...
Aber um auf die Hauptstraße zu gelangen, werdet Ihr ihn an geeigneter Stelle
verlassen müssen...“
Der ältere Hobbit zu seiner Rechten raunte ihm
etwas ins Ohr.
Taleras’ Brauen zogen sich einen Moment zweifelnd
zusammen, dann glitt ein zufriedener Ausdruck über sein Gesicht. „Was haltet
Ihr von einem Führer?“
Dringol schwieg und sah zur Decke. Er war sich
nicht sicher, ob er einen Führer brauchte. Er war dem schmalen Pfad zwar schon
recht lange gefolgt und somit weit von seiner üblichen Route abgewichen, aber
wenn er jetzt einfach noch etwas auf ihm blieb und ihn dann in östlicher
Richtung verließ, mußte er früher oder später wieder auf die Hauptstraße
treffen. Der Schmied teilte Taleras seine Gedanken mit.
Dieser blickte ihn pfiffig an. „Ich sehe schon,
mein Herr, Ihr haltet uns für einfältiger, als wir sind.“
Dringol hob überrascht eine Augenbraue. Der Dicke
hatte ihn tatsächlich durchschaut!
Taleras lächelte ihn unschuldig an und schien ihm
seine abwertende Meinung keineswegs übel zu nehmen. Er erklärte: „Hättet Ihr
nicht dieses schwere Fuhrwerk, könntet Ihr den Weg alleine finden. Doch täuscht
Euch nicht. Sobald Ihr den Pfad verlaßt, selbst an Stellen, die Raum genug zu
bieten scheinen, treten die Hügel bald so dicht zusammen, daß Ihr kein
Durchkommen finden werdet.“
Taleras machte eine Kunstpause und beobachtete den
Eindruck, den seine Worte auf den Fremden gemacht hatten. Doch dieser blickte
ihn nur drängend an. Deshalb fuhr er fort: „Es gibt nur einen einzigen Weg, der
breit genug für solch ein Fuhrwerk ist, doch ihn zu beschreiben ist müßig, denn
für jemanden, der die Gegend nicht kennt, muß ein Hügel wie der andere
aussehen.“
Man konnte Dringol seine Unzufriedenheit ansehen.
Leise pfeifend blies er die Luft durch die Nase aus. Er spürte kein Verlangen
nach einer Begleitung. Doch im nächsten Moment zeigte er wieder sein
freundliches Gesicht. „Und Ihr wäret bereit, jemanden mit mir zu schicken?“
Für einen aufmerksamen Zuhörer hätte diese Frage
sehr nach >wenn’s denn sein muß<
geklungen, doch die drei Dorfvertreter waren so eifrig bedacht, dem Fremden zu
helfen, daß ihnen dies nicht auffiel.
Taleras nickte begeistert. „Ihr könntet uns damit
ebenfalls einen Gefallen tun.“
>Aha!<,
dachte Dringol. >Wußte ich doch, daß
sie unmöglich so uneigennützig sein können!< Dennoch sah er den Thain
weiterhin freundlich an und forderte ihn mit einem leichten Kopfnicken dazu
auf, zu sprechen.
„Nun, das ist so“, begann dieser. „Einer unserer
Leute beabsichtigt in den Westen zu reisen. Das heißt, eigentlich wollte er
erst nächste Woche los. Aber seine Vorbereitungen werden schnell getroffen
sein. Er will ebenfalls zum Nordweg, dann auf die westliche Waldstraße und von
dort zum Paß.“
Jetzt war es Taleras, der zur Decke blickte. Er
versuchte sich der Worte zu erinnern, die Hamfast benutzt hatte. Er selbst
kannte diese Namen nur aus seinen Beschreibungen, und die Worte kamen
entsprechend langsam über seine Lippen.
„Er würde Euch kaum aufhalten, denn er besitzt ein
sehr ausdauerndes Pony, und in der heutigen Zeit, wo soviel Gesindel auf den
Straßen herumläuft – von diesen widerlichen Orks ganz zu schweigen – wären wir
froh, ihn wenigstens für die erste Zeit in sicherer Begleitung zu wissen. Wir
wären Euch dankbar und für immer verpflichtet, wenn er sich Euch anschließen
könnte, solange sein Weg der Eure ist.“
Ein seltsamer Ausdruck huschte über Dringols
Gesicht.
„Wenn es Euch also keine allzu großen Umstände
bereitet, noch eine kleine Weile zu warten...?“
Dringol hatte sich inzwischen wieder hingesetzt,
jetzt lehnte er sich zurück und streckte seine langen Beine aus. Er antwortete
nicht sofort auf die Frage des Dorfvorstehers, sondern genoß eine zeitlang den
unterwürfigen, bittenden Ausdruck in den Gesichtern der drei Männer. „Er soll
sich beeilen!“ sagte er schließlich im leichten Befehlston.
Der jüngere der beiden anderen Hobbits rannte auf
ein Zeichen seines Vorstehers nach draußen. Wenige Augenblicke später stand er,
ein wenig außer Atem, in Hamfasts Garten.
„Was gibt es denn, Gorbadoc?“ fragte dieser, ohne
seine Arbeit zu unterbrechen.
Der Angeredete schnaufte ein paarmal tief durch.
„Du sollst dich beeilen!“ stieß er dann hervor.
Hamfast ließ die Hacke sinken und blickte den
keuchenden Boten fragend an. „Weshalb?“ fragte er schließlich, als dieser sich
nicht zu einer Erklärung anschickte.
„Na, weil’s der Thain gesagt hat!“ Gorbadoc sah
Hamfast verständnislos an.
Der kleine Mann seufzte und verdrehte die Augen.
„Erzähl mir doch einfach mal alles von Anfang an!“ forderte er sein
begriffsstutziges Gegenüber auf.
Gorbadoc erklärte in knappen und ausnahmsweise
zusammenhängenden Zügen, was soeben auf höchster Ebene beschlossen worden war.
In seiner Aufregung hatte er so schnell gesprochen, daß Hamfast die Worte erst
ein wenig in seinem Kopf nachklingen lassen mußte, um sie zu erfassen.
Dann antwortete er abweisend: „Aber ich reite erst nächste
Woche nach Lindon! Das war so geplant. Ich hab hier noch eine Menge zu
erledigen, bevor es losgeht!“ Er deutete auf das Fleckchen Boden, das er gerade
bearbeitete und das sein Kräutergarten werden sollte. Er hob die Hacke wieder
auf.
Gorbadoc starrte ihn mit offenem Mund an.
„Aber wenn Taleras meint, daß ich ihn zurück zum
Nordweg führen soll...“, hub er mit einem verschmitzten Lachen an und ließ die
Hacke wieder sinken, „Bôr würde ein bißchen Bewegung ganz gut tun und meine
Kräuter kann ich auch noch morgen aussäen.“
Ein wenig unsicher darüber, ob er den Auftrag
zufriedenstellend erledigt hatte, kehrte Gorbadoc zurück zum Thain.
„Hallo Ham!“ Orgulas kam auf ihn zu.
„Natürlich! Orgo!“ Hamfast grinste breit. „Das
hätte ich mir denken können, daß du gerade jetzt hier auftauchst! Du kommst
natürlich ganz zufällig vorbei!“
Orgulas erwiderte das breite Grinsen. „Natürlich!
Ganz zufällig.“
Hamfast legte die Hacke zur Seite und wischte die
Hände an seiner Hose ab. „Um es dir zu ersparen, deine Neugierde durch das
Stellen einer direkten Frage einzugestehen: Ich werde den Fremden zurück zum
Nordweg führen.“
„Na, das laß aber mal nicht unsere liebe Berelia
hören!“ Orgulas kicherte, schob seinen Hut in den Nacken und fummelte mit
seinem imaginären Gehstock herum. „Wo kommen wir nur hin, wenn wir jeden
dahergelaufenen Landstreicher so zuvorkommend behandeln...“, schimpfte er mit
hoher Fistelstimme und beide brachen in Gelächter aus.
„Komm ins Haus“, japste Hamfast schließlich. „Ich
will mir nur eben etwas zu essen zusammenpacken und dann Bôr satteln.“
Orgulas trat hinter ihm ein. „Warum nutzt du die
Gelegenheit nicht und begleitest ihn?“ fragte er, plötzlich wieder ernst. „Wenn
er dem Nordweg folgt, könntest du vielleicht bis zur Waldstraße mit ihm
zusammen reisen.“
Hamfast stopfte einen Kuchen, drei Äpfel, ein
großes Stück Käse, zwei geräucherte Fische und diverse andere Vorräte in seinen
Rucksack. „Ich weiß nicht, mir geht das alles ein bißchen schnell“, sagte er
ausweichend.
Orgulas bohrte weiter. „Ich denke es wäre wirklich
eine günstige Gelegenheit.“ Er sah seinen Freund von der Seite an, doch dieser
reagierte nicht. „Seien wir doch mal ehrlich, Ham! Du hast den Termin für deine
Abreise schon dreimal verschoben! Du solltest dich langsam entscheiden!“
Hamfast seufzte tief auf. „Ja... Du hast recht...“
„Willst du ihn nun zurückbringen oder nicht?“
Orgulas schob Hamfast zur Tür hinaus. Es war keine Frage, auf die er eine Antwort
erwartete, denn diese stand seit langem fest. „Nun geh schon und sattele Bôr.
Ich pack das hier in der Zeit für dich.“
~*~
Keiner wußte wer es gelegt hatte, aber die
Nachricht von Hamfasts baldiger Abreise hatte sich wie ein Lauffeuer
verbreitet. Ein Raunen war durch das ganze Dorf gegangen, die Leute standen in
ihren Vorgärten oder saßen in ihren Wohnhöhlen, um die Neuigkeit zu
diskutieren. Doch ihre Neugierde hielt sie nicht lange dort, und so fanden sie
sich nach und nach alle wieder auf dem Dorfplatz ein, in der Hoffnung, noch
etwas Interessantes zu erfahren oder zu sehen.
Die meisten harrten still wenn auch ungeduldig der
Dinge, die da kommen sollten. Einige andere brachten mehr oder weniger
lautstark ihre Vermutungen und Zweifel zum Ausdruck. Allen voran Berelia
Haferstroh, die wie gewöhnlich ihren Gehstock durch die Luft wirbelte und mit
der Entwicklung der Dinge alles andere als zufrieden war.
Hildifons und Doderic hatten sich inzwischen
ebenfalls in Hamfasts Wohnung eingefunden. Bôr stand gesattelt vor der Höhle
und wedelte unternehmungslustig mit den Ohren. Ein paar letzte Reiseutensilien
wurden zusammengepackt; die drei Freunde versprachen dem Abreisenden, sich um
seine Wohnung und den Garten zu kümmern.
Dann traten sie hinaus ins Freie. Hamfast hatte
einen großen Rucksack umgeschnallt und befestigte die wohlgefüllten
Satteltaschen und die Wolldecke am Sattel seines Ponys. Dann ergriff er die
Zügel und führte Bôr in Richtung Dorfplatz. Doderic, Hildifons und Orgulas
begleiteten ihn.
Es war eine schweigsame kleine Gesellschaft, die
sich da langsam vorwärtsbewegte, sich schließlich einen Weg durch die Menge
bahnte und neben den beiden großen schwarzen Pferden und dem Fuhrwerk anhielt.
Gleich darauf traten die Dorfvertreter mit Dringol
aus der Tür. Der Schmied hatte die Kapuze seines Mantels wieder tief ins
Gesicht gezogen, so daß die enttäuschten Dorfbewohner nicht mehr von ihm zu
sehen bekamen, als sie bereits kannten.
Der Thain kam mit wichtigen Schritten auf Hamfast
zu und schob ihn vor sich her dem Schmied entgegen. „Dies ist Hamfast
Gerstenbräu. Er wird Euch sicher auf den Pfaden und Wegen zur Hauptstraße
geleiten und Euch ein treuer und mutiger Reisebegleiter sein!“ sagte er
theatralisch.
Dringol verzog den Mund zu einem Grinsen. Das
belustigte Aufflackern seiner Augen konnte man aufgrund der sie verdeckenden
Kapuze nicht sehen. „Soso!“ sagte er nur, dann schwang er sich auf seinen Bock.
Als er an Bôr vorüberkam, legte dieser die Ohren
zurück und beschnupperte ihn mißtrauisch.
Hamfast umarmte seine Freunde, dann schwang er sich
mit einer Geschicklichkeit, die man ihm aufgrund seiner Körperfülle gar nicht
zugetraut hätte, in den Sattel. Dringol nahm dies verwundert, aber mit einem
zufriedenen Brummen zur Kenntnis. Vielleicht würde der Knabe ihn doch nicht so
sehr aufhalten, wie er befürchtet hatte. Blieb nur noch zu hoffen und zu
wünschen, daß er nicht über das unerschöpfliche Redetalent seines Thains
verfügte.
„Beehrt uns nur recht bald wieder mit Eurem Besuch,
werter Herr Dringol!“ Taleras machte eine tiefe Verbeugung, die der Schmied mit
einem nachlässigen Kopfnicken erwiderte. Dann schnalze er mit der Zunge und
ließ die Zügel auf den Rücken der Pferde klatschen. Das schwere Fuhrwerk setzte
sich mit einem lauten Poltern in Bewegung.
„Niemand sollte ein Huhn verschenken, wenn er
frische Eier essen will!“ ließ Berelia ziemlich ungehalten eines ihrer
selbstverfaßten Sprichwörter los, mit dem wie gewöhnlich niemand etwas
anzufangen wußte. Es war zu vermuten, daß sie damit ihren Unmut über das
Angebot des Thains ausdrücken wollte.
„Ein feiner Herr war das!“ lobte dieser völlig
unbeeindruckt und blickte dem Fuhrwerk hinterher. „Vielleicht sind die Leute
>da draußen< doch weit
freundlicher, als wir bisher angenommen haben..."
„Paß auf dich auf, Ham, hörst du? Und auf Bôr
natürlich auch!“ riefen Orgulas, Doderic und Hildifons dem Freund hinterher und
schwenkten ihre Taschentücher. Sie blickten ihm nach, bis eine Biegung ihn
ihren Blicken entzog.
Langsam verklang das Rollen und Rumpeln der
Holzräder auf dem Weg. Ohne daß die drei etwas davon mitbekommen hatten, waren
sämtliche Bewohner des Dorfes wieder in ihre Höhlen und Gärten verschwunden.
Sie standen allein auf dem Platz.
Stille breitete sich aus. Die helle Frühlingssonne
hatte ihren Höchststand erreicht und schien mild und freundlich herab.
Doderic begann von einem Fuß auf den nächsten zu
treten und sich mit kläglicher Miene über den Bauch zu streichen. „Vor lauter
Aufregung haben wir den Vormittagsimbiß verpaßt“, piepste er leidend.
Orgulas zog die Brauen zusammen. „Berelia hat recht!“
sagte er todernst. „Diese fremden Landstreicher sind wirklich ungesund!“
Hildifons ließ ein prustendes Geräusch hören,
während Doderic den Sprecher perplex ansah und nicht wußte, ob dieser ihn auf
den Arm nehmen wollte.
Orgulas schnalzte mit der Zunge. „Ich hab in Hams
Speisekammer eine halbe Sahnetorte entdeckt, die sich nicht zum Einpacken
eignete. Wäre wirklich schade, sie verkommen zu lassen!“
Die beiden anderen stimmten dem Entdecker eifrig
nickend zu und alle drei machten sich auf den Weg zu Hamfasts Speisekammer.