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(drei Monate später)

 

 

 

Auf der Straße erklang das dumpfe Rollen eines schweren Fuhrwerkes. Mit einem Satz war Hamfast am Fenster und blickte hinaus. Ein Fuhrwerk? Hier, in ihrem abgelegenen kleinen Ort? Wer konnte sich denn hierher verirrt haben?

 

Er war nicht der einzige, der sich diese Frage stellte. Wer im Haus war, blickte neugierig aus dem Fenster und diejenigen, die an diesem Frühlingsmorgen in ihrem Garten arbeiteten, ließen ihre Hacken und Spaten sinken und blickten dem Fremden nach, als er vorbeifuhr. Kinder rannten hinter dem Fuhrwerk her.

 

Es schien einem Schmied zu gehören. Zumindest glaubte Hamfast das Wappen an der Rückseite so deuten zu dürfen. Die Schriftzeichen, die die Seitenflächen des Fuhrwerks zierten, konnte er nicht lesen. Der Mann, der es lenkte, schien außergewöhnlich groß zu sein, selbst für einen Menschen. Er hatte seinen Mantel fest um den Leib und die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Zwei schwarze Pferde waren vor den Wagen gespannt. Auf dem Dorfplatz hielt er ihn an, sprang vom Bock und blickte sich um.

 

Ein seltsames Dorf war das, in das er da geraten war. Wegen der Verwüstungen, die ein Sturm auf der Hauptstraße angerichtet hatte, hatte er von dieser abweichen müssen und war einer engen holprigen Straße gefolgt, die ihn hierher gebracht hatte.

 

Das Dorf lag inmitten einer grünen Hügellandschaft und seine Wohnungen, von denen es nur wenige zu geben schien, bestanden nicht etwa aus Häusern! In den Seitenwänden der Hügel waren Türen und Fenster eingelassen und ließen den Schluß zu, daß die Bewohner dieses Ortes Löcher in diese gegraben hatten und in einer Art Wohnhöhlen lebten.

 

Und was waren das für Öffnungen! Sowohl die Türen als auch die Fenster waren von kugelrunder Form und so klein, als wären sie für Kinder zugemessen! Die Leute, die in den Gärten arbeiteten, gingen ihm kaum bis zur Hüfte, und die Kinder waren entsprechend klein.

 

Staunend blickte der Mann von einer Höhle zur nächsten und bemerkte, daß er von den Dorfbewohnern ebenso staunend betrachtet wurde.

 

Während letztere noch mit sich zu Rate gingen, wie sie sich dem Eindringling gegenüber verhalten sollten, war ein kleines Mädchen leise und unbemerkt zu dem Fremden gehuscht und zupfte ihn am Ärmel. „Du bist aber groß!“

 

Der Mann blickte überrascht auf die kleine Gestalt neben sich. Aus einem mit braunen wirren Locken umrahmten Gesicht blickten ihn zwei große Kinderaugen treuherzig an.

 

„Melilot, belästige den Herren nicht!“ Drei Männer kamen auf den Fremden zu, allem Anschein nach die Vertreter des Dorfes. Ihre Kleidung war ebenso einfach und robust, wie die der anderen Bewohner. Der, der soeben gesprochen hatte, trat näher und schob die Kleine, die mit einem bittenden Blick versuchte ihn umzustimmen, sanft aber bestimmt zur Seite.

 

Enttäuscht zog sie einen Schmollmund und rannte zurück zu ihren Freundinnen, mit denen sie sofort aufgeregt zu tuscheln begann.

 

„Ich bin hier der Thain. Taleras Winterkorn ist mein Name“, stellte er sich vor und machte eine linkische Verbeugung.

 

Der Fremde blickte den kleinen Mann etwas herablassend an und musterte ihn eingehend. Das, was ihm an Länge fehlte, schien er mit seinem Körperumfang wieder auszugleichen. Überhaupt waren die Bewohner dieses seltsamen Dorfes alle ein wenig rundlich, stellte der Fremde mit leicht hochgezogenen Brauen fest. Doch dann änderte sich sein Gesichtsausdruck, und er lächelte den Thain freundlich an.

 

„Dringol, nennt man mich. Ich bin ein armer fahrender Schmied“, sagte er mit einem leichten Kopfnicken, das etwas Hochnäsiges hatte und nicht recht zu seiner freundlichen Miene passen wollte.

 

Dem Thain schien dies jedoch nicht aufzufallen. „Was führt Euch hierher in unsere abgelegene Gegend, mein Herr?“ fragte er arglos.

 

Der „Herr“ warf einen forschenden Blick um sich. Alles was Beine hatte, war zu dem Platz geeilt und stand jetzt in einigem Abstand um ihn und sein Fuhrwerk herum. Die weiter hinten standen, reckten die Köpfe und selbst ein Hund beäugte ihn kritisch.

 

„Ich will nur hoffen, daß er nicht bleibt!“ schimpfte Berelia gerade halblaut vor sich hin und bedachte die großen Pferde des Fremden mit einem bösen Blick.

 

Ein anderer Hobbit wollte etwas dazu erwidern, schloß den Mund aber schnell wieder, wandte das Gesicht ab und kratzte sich verlegen hinter dem Ohr. Er schien bereits schlechte Erfahrungen darin gemacht zu haben, dieser resoluten Frau zu widersprechen.

 

„Ich mußte von der Hauptstraße abfahren, weil sie durch ein Unwetter ungangbar gemacht wurde“, antwortete Dringol schließlich wahrheitsgemäß.

 

„Er meint den Nordweg“, raunte Hamfast dem Thain zu, der wie ein großes Fragezeichen in der Landschaft gestanden hatte.

 

Dieser machte eine scheuchende Handbewegung. „Natürlich meint er den Nordweg!“ Seine Stimme klang gekränkt. Was mußte dieser dumme Hobbit ihn auch vor dem Fremden so bloßstellen! 

 

„Und jetzt suche ich nach einem Weg, der mich auf diese Straße zurückbringt“, vollendete Dringol seinen unterbrochenen Satz und nahm Hamfast, der kurz nachdem der Thain zu sprechen begonnen hatte herzu getreten war, genauer in Augenschein.

 

Doch was er sah, war nur ein weiterer seltsamer kleiner Mann, in bäuerlicher Kleidung, mit krausen Haaren, einem wirren Vollbart, ziemlich rundlich und mit roten Backen, der ebenso gutmütig dreinblickte, wie sein Dorfvorsteher.

 

Etwas enttäuscht wandte der Schmied seinen Blick zurück zu Taleras. Diese Leute machten nicht gerade einen besonders hellen Eindruck auf ihn.

 

„Vielleicht wollt Ihr zuerst eine Kleinigkeit essen und trinken, bevor Ihr weiterreist, mein Herr?“ sagte Taleras gerade mit einem sonnigen Lächeln.

 

Dringol mußte seinen ersten Eindruck korrigieren. Vielleicht waren sie nicht die Schlauesten, aber zumindest sehr freundlich und hilfsbereit. Er nickte dem Thain dankbar zu, und diesmal wirkte sein Lächeln nicht aufgesetzt.

 

Taleras klatschte begeistert in die Hände. „Sorgt Euch nicht um Eure Pferde. Ich werde alles Nötige veranlassen“, sagte er und begann ein paar in der Nähe Stehende herumzuscheuchen.

 

Dringol folgte dem Thain und den beiden anderen Dorfvertretern in eine der Höhlen.

 

~*~

 

Auf dem Dorfplatz bildeten sich kleine Grüppchen, in denen die Ankunft des großen fremden Mannes heftig diskutiert wurde.

 

„Ich bin dafür, daß er so bald wie möglich weiterreist! Wo kämen wir denn hin, wenn wir jeden dahergelaufenen Landstreicher hier bei uns beherbergen würden!“ schimpfte Berelia Haferstroh.

 

Verdutzte Gesichter blickten ihr entgegen. Irgend jemand räusperte sich vorsichtig. Einer wagte einzuwenden: „Welche Landstreicher?“ und meinte damit, daß er sich nicht daran erinnern konnte, jemals zuvor einen Fremden in ihrem Dorf gesehen zu haben.

 

„Die, die kommen werden, wenn sich erst einmal herumgesprochen hat, wie zuvorkommend sie hier behandelt werden!“

 

Die Umstehenden blickten sich unbehaglich an. Vielleicht hatte Berelia da ausnahmsweise gar nicht einmal so unrecht.

 

„Wir hätten ihn sofort weiterschicken sollen!“ Berelia hatte sich in eine Aufregung hineingesteigert und schwenkte ihren Gehstock so großspurig durch die Luft, daß einige Umstehende erschrocken einen Satz nach hinten machten, um nicht getroffen zu werden.

 

Hamfast beobachtete einen Moment lang schweigend das Treiben, dann setzte er sich auf einen kleinen Mauervorsprung, stopfte sich sein Pfeifchen und betrachtete nachdenklich das schwere Fuhrwerk. Gerade brachten ein paar Hobbits Wasser und Heu für die Pferde.

 

„Hallo Ham!“ Orgulas setzte sich mit einem Plumps neben seinen Freund auf die Mauer. „Worüber denkst du so angestrengt nach?“

 

„Die Zeichen da“, Hamfast wies mit dem Pfeifenstiel auf den Wagen, „Solche habe ich schon einmal gesehen. In Lindon.“

 

„Du meinst, er ist ein Elb?“ fragte Orgulas aufgeregt.

 

Hamfast legte den Kopf schief zur Seite. „Ich weiß nicht...“

 

Orgulas wurde ungeduldig. „Nun spucks schon aus, Ham! Wenn du in diesem Tonfall sprichst, ist doch irgend etwas faul!“ Unruhig rutschte er auf seinem Hosenboden hin und her.

 

„Naja, nicht unbedingt“, dehnte Hamfast, blies einige Rauchkringel in die Luft und überlegte, wie er sich am besten ausdrücken sollte. „Er muß kein Elb sein, nur weil auf seinem Karren Worte in elbischer Schrift stehen.“

 

Wieder schwieg Hamfast, und Orgulas trippelte mit seinen Fingern auf seinem Knie, während er darauf wartete, daß er weitersprach.

 

Hamfast fuhr sich mit der Hand durch den Bart. „Hast du dir die Pferde einmal etwas genauer betrachtet, Orgo?“

 

Der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Ich verstehe nichts von Pferden.“

 

„Nun, ich auch nicht, aber ich habe in Lindon einige gesehen, die sicher sehr kostbar waren, denn sie gehörten dem Hohen Herrn selbst. Und diese da, scheinen mir nicht weniger gut zu sein. Und hast du das Gewand gesehen, das unter seinem Mantel hervorschaute? Es war von feinem Stoff...“

 

„Worauf willst du hinaus, Ham?“

 

~*~

 

Dringol mußte sich ein ganzes Stück bücken. Die Tür war nicht für jemand so großen wie ihn gemacht. >Eher für die Breite der Bewohner!< schmunzelte er bei sich und bestaunte noch einmal ihre runde Form. Als er eingetreten war, blieb er stehen – mit eingezogenem Kopf, denn die Decke war ebenfalls nicht hoch genug für ihn – und sah sich um.

 

Er blickte in eine geräumige und sehr gemütlich eingerichtete Wohnung; nicht das feuchte Erdloch, das er erwartet hatte. Es gab einen Eingangsbereich, eine Küche, eine Wohnstube mit einem gemauerten Kamin und eine Tür, die wohl zu dem Schlafgemach führte.

 

Taleras forderte ihn auf, sich an den massiven Eichentisch auf die ebenso robuste Bank zu setzen. Die Möbel waren einfach, aber keineswegs primitiv und alles wirkte sehr harmonisch. Auch bei der Ausstattung ihrer Höhlen schienen diese Leute die runde Form zu bevorzugen.

 

Die „Kleinigkeit“, die Taleras dem Fremden auftragen ließ, erwies sich als ein äußerst üppiges Mahl. Die drei Hobbits ließen sich die Gelegenheit für dieses willkommene zweite Frühstück nicht entgehen und langten ihrerseits ebenfalls kräftig zu. Es war genug für alle da.

 

„Sagt, werter Taleras, wie kommt es, daß ich nun schon seit vielen Jahren die Hauptstraße entlangkomme, aber noch nie etwas von Eurem Dorf gehört habe?“

 

„Nun“, sagte Taleras, „das ist nicht weiter verwunderlich. Wir selbst haben keinen Grund, diese Straße zu benutzen und sonst hat niemand einen Anlaß, den Weg, der hierher führt zu gehen.“ Er betrachtete den Fremden mit unverhohlener Neugier. „Außer natürlich, wenn er durch widrige Umstände dazu gezwungen wird...“

 

„Erzählt mir etwas über Euer Dorf“, fiel ihm der Fremde schnell ins Wort, bevor der kleine Mann auf die Idee kommen konnte, ihn auszufragen.

 

Nun muß man wissen, daß es kaum etwas gab, was die Leute von Breth lieber taten als erzählen und so wirkte die Aufforderung Dringols gerade so, als ob man Öl ins Feuer schütten würde. Der Thain lehnte sich denn auch zufrieden zurück, faltete die Hände über seinem Bauch und ließ eine derartige Redeflut über den armen Schmied los, daß diesem Hören und Sehen verging, tatkräftig unterstützt von seinen beiden Begleitern.

 

Sie begannen bei dem gesellschaftlichen Aufbau ihres kleinen Ortes - Dringol gelangte zu der Überzeugung, daß jeder Bewohner irgend ein Amt inne haben müsse – und gingen dann ohne Pause zur wirtschaftlichen Seite über.

 

„... wir betreiben ein wenig Landwirtschaft, aber hauptsächlich ernähren wir uns von wilden Beeren...“

 

Dringol gähnte gelangweilt. Solch ein uninteressantes Völkchen war ihm bisher noch nicht untergekommen. Aber wenigstens stellten sie keine unnötigen Fragen, solange sie etwas zu erzählen wußten.

 

Eine Weile noch hörte er Taleras zu, in der Hoffnung doch vielleicht etwas von Wert in Erfahrung zu bringen, doch der ließ sich gerade über die richtige Bearbeitung des Ackerbodens und die Haltung von Hühnern und Ziegen aus.

 

Dringol drängte zum Aufbruch.

 

 

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