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An diesem Mittag saßen die drei Freunde allein beim Essen im kleinen Speisesaal. Tindómerel hatte sich entschuldigt, der Schreck schien ihr den Appetit verdorben zu haben, und Gil-galad und Elrond hatten sich seit dem Empfang ihres hohen Besuches noch nicht sehen lassen.

 

Hamfast stocherte lustlos auf seinem Teller herum und brachte kaum einen Bissen hinunter. Die Traurigkeit, die für eine kurze Weile von seiner Neugierde verdrängt worden war, überschattete schwer sein sonst so sonniges Gemüt.

 

Taurfaron murmelte irgend etwas Unmutiges vor sich hin. Er konnte den Kummer des Kleinen einfach nicht länger mit ansehen. Schließlich stand er auf und wollte eilig hinausgehen, da stieß er beinahe mit dem Hohen König zusammen, der in diesem Moment, gefolgt von Aldarion, dessen Offizieren und Elrond, durch die Tür trat. Erschrocken fuhr Taurfaron zurück und neigte nur entschuldigend den Kopf, da er auf die Schnelle nicht die rechten Worte finden konnte und Mühe hatte, seine schlechte Laune verbergen.

 

Gil-galad lächelte den ungestümen Elben gütig an, stellte die Anwesenden einander vor und bat die Menschen Platz zu nehmen.

 

„Ihr scheint heute keinen Hunger zu haben, Herr Hamfast?“ Elrond schmunzelte. Er wußte wohl, was den Kleinen quälte und versuchte so seinen Fürsten auf diesen Umstand aufmerksam zu machen. Zusätzlich räusperte er sich leise.

 

Hamfast hatte zwar interessiert aufgeschaut, als die Menschen den Raum betreten hatten und war natürlich auch aufgestanden, um sie zu begrüßen, doch der Zustand seines Tellers zeugte deutlich von seinem Herzeleid.

 

Zwei Dienstboten betraten den Raum und brachten Gedecke für die neuen Gäste.

 

Gil-galad überzeugte sich, daß von allem reichlich vorhanden war und es ihnen an nichts mangelte. Nachdem er sie aufgefordert hatte zuzugreifen, wandte er sich endlich mit einem zustimmenden Nicken in Elronds Richtung an den Hobbit, der nicht auf dessen Frage geantwortet, sondern statt dessen mit einem kläglichen Gesichtsausdruck den Kopf gesenkt hatte.

 

„Ihr seid sicher froh, wieder in Eure Heimat zu kommen, Herr Hamfast. Doch ist der Weg dorthin zur Zeit nicht ungefährlich.“ Gil-galad bemerkte schmunzelnd den flehenden Blick, den Galadhion dem kleinen Mann zuwarf und der nicht deutlicher hätte sagen können, wie sehr dem jungen Elben daran gelegen war, nicht nur seinen eigenen, sondern vor allem auch den Aufenthalt seiner Angebeteten im Palast so lange wie möglich auszudehnen.

 

„Wir hoffen, daß die Lage sich bald wieder entspannen wird“, fuhr der Fürst fort. „Solange, oder wenigstens bis wir Näheres über die Umstände westlich der Nebelgebirge wissen, lade ich Euch und Eure Freunde ein, weiter meine Gäste zu sein.“

 

Ein ergebenes Seufzen Hamfasts war die Antwort.

 

Gil-galad beugte sich väterlich ein wenig zu ihm hinunter und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Seid nicht mehr traurig, mein kleiner Freund, Bôr wird natürlich wieder mit Euch kommen und diesmal sollt Ihr nicht in Ungewißheit bleiben. Ich sage Euch hiermit ausdrücklich, daß dieses Pony das Eure ist.“

 

Einige Sekunden lang passierte gar nichts. Dann ging ein Ruck durch Hamfast. Er starrte den Hohen König erst ungläubig, dann fassungslos an. „Ihr meint, Ihr schenkt mir Bôr? Das ist Euer Ernst? Einfach so? Das darf... das kann... das ist...“ Mit einem Freudenjauchzer sprang der Kleine von seinem Stuhl und ergriff beide Hände des Fürsten, um einen lauten und nicht gerade hoffähigen, dafür aber um so ehrlicher gemeinten Schmatzer darauf zu drücken. „Ich danke Euch!“

 

Im nächsten Moment rannte Hamfast zur Tür hinaus und den Gang entlang, ohne daran zu denken, daß er sich in dem Labyrinth des Palastes regelmäßig verlief.

 

Alle Anwesenden lachten herzlich. Selbst die drei Menschen, die nur dunkel erahnen konnten, worum es sich bei dieser Szene handelte.

 

Schließlich folgten Galadhion und Taurfaron ihrem Gefährten, um dem Herumirrenden den rechten Weg zu zeigen.

 

~*~

 

„Ein seltsamer kleiner Kerl ist das“, lachte Aldarion und wischte sich eine Träne aus dem Auge. „Aber er scheint das Herz auf dem rechten Fleck zu haben.“

 

Gil-galad nickte bestätigend. „Wenn alle Völker Mittelerdes so friedfertig und ehrlich wären, wie dieser Mann, wären wir vieler unserer Sorgen ledig. Doch greift zu und dann, wenn es Euch beliebt, erzählt uns mehr von Eurer Reise. Ihr seid weit schneller gekommen, als wir gerechnet haben. Die Schlagkraft Eurer Flotte und Eure Schiffsbaukunst werden ihrem Ruf gerecht.“

 

Aldarion reckte in berechtigtem Stolz seine Gestalt. Er und seine Offiziere stillten zunächst ihren größten Hunger, dann begann der König zu erzählen.

 

„Kurz vor der Küste Mittelerdes erblickten wir einen seltsamen Vogel“, schloß er seinen Bericht und sah die beiden Elben fragend an. „Er sah aus wie ein riesiger, schwarzer...“, Aldarion suchte nach dem rechten Wort, „...Aasfresser.“ Gil-galad und Elrond wechselten einen schnellen Blick. „Ihr kennt dieses Wesen?“

 

„Nur die Beschreibung“, sagte der Hohe König langsam. „Doch erzählt, Ihr sagtet, kurz vor der Küste saht Ihr ihn?“

 

„Ja. Es war eigenartig. Sobald er uns erblickte, stutzte er mitten im Flug. Es sah beinahe so aus, als hätte Entsetzen ihn gepackt. Einen Moment verweilte er, dann stieß er einen markerschütternden, heiseren Schrei aus, wandte sich um und verschwand in Richtung Festland.“

 

Eine nachdenkliche Stille trat ein. „Noch nie zuvor, wurden solche Tiere in Mittelerde gesehen. Und jetzt tauchen gleich zwei von ihnen innerhalb kurzer Zeit auf“, grübelte der Hohe König. „Dazu dieses sonderbare Verhalten...“

 

„Was denkst du, ob dies ein Bote Gorthaurs war?“ Elrond suchte in seinem Gedächtnis, ob er nicht irgendwo in den alten oder neueren Schriften einmal auf eine ähnliche Beschreibung gestoßen war.

 

„Das wäre denkbar. Zumindest würde dies sein Gebaren erklären“, überlegte Gil-galad.

 

„Und seine Existenz“, fügte Elrond hinzu.

 

~*~

 

Der Sommer war vergangen. Die Nächte wurden länger und kühler und die Herbstblumen begannen zu blühen und verliehen der Stadt einen veränderten, aber keineswegs weniger schönen Anblick. Das Laub der Bäume in den Straßen und Höfen schimmerte rot und golden in der tiefer stehenden Sonne und hin und wieder riß ein frischer Wind einige Blätter von den Zweigen, die dann munter tanzend durch die Luft wirbelten.

 

Der Schatten im Osten war verschwunden. Niemand wußte zunächst wohin und den genauen Grund dafür konnte man nur erahnen.

 

Die Ankunft von Aldarions mächtiger Flotte war vielleicht der ausschlaggebende Faktor gewesen, doch auch Galadriel hatte durch ihre Bemühungen unter den freien Nandor Lórinands ihren Teil dazu beigetragen. Es war ihr gelungen, die Eldar zu verbünden, und wenn sie auch noch nicht völlig bereit waren, sich zu festen Gemeinschaften zusammenzuschließen, so hatte sie ihnen doch die Augen geöffnet und somit die Bestrebungen des Feindes durchkreuzt.

 

Jetzt war die Herrin von Eriador wieder nach Ost-in-Edhil zurückgekehrt. Sobald sie und Celeborn dort alles geregelt hätten, würde sie erneut zur anderen Seite des Nebelgebirges aufbrechen und bis dahin sollte ein reger Botenverkehr aufrecht erhalten werden.

 

Der Hohe König der Noldor war nicht ganz so erfreut über die neuesten Ereignisse. „Alles was wir gewonnen haben, ist Zeit. Wir sollten sie sinnvoll nutzen“, waren seine Worte gewesen und alle hatten ihm zugestimmt.

 

Für Hamfast war der Tag der Heimreise gekommen. Der kleine Mann sehnte sich nach seinem friedlichen kleinen Dorf und seiner gemütlichen Wohnhöhle. Und wenn er den Übergang des Passes noch vor dem Einsetzen der Schneestürme schaffen wollte, so war es jetzt die höchste Zeit für ihn aufzubrechen.

 

Die Vorbereitungen waren schnell getroffen und eines Morgens ritt er frohgemut auf seinem geliebten Pony durch die Straßen Mithlonds. Tief sog er die frische Luft in seine Lungen und blies sie behaglich wieder aus.

 

Ihm folgten eine Eskorte von fünf wohlgerüsteten Mithlond-Elben, die ihn bis in seine Heimat begleiten sollten, Taurfaron und Galadhion, Elrond und sogar der Hohe König selbst hatten es sich nicht nehmen lassen, den kleinen Mann bis vor das Stadttor zu begleiten.

 

Der Abschied war herzlich. Taurfaron und Galadhion wollten in Mithlond bleiben. Galadhion hatte gerade begonnen, erste Fortschritte mit Tindómerel zu machen, zumindest behauptete er dies, und wollte deshalb natürlich noch nicht abreisen. Taurfaron leistete ihm Gesellschaft >in der Verbannung< wie er sich scherzend ausdrückte. Hamfast schniefte in sein Taschentuch. Er hatte die beiden Grauelben in sein Herz geschlossen.

 

„Ihr müßt mir versprechen, mich recht bald zu besuchen.“ Der Hobbit kniff sich in die Nase, um nicht laut schluchzen zu müssen, langte seinen Hut vom Kopf und knetete ihn energisch mit beiden Händen.

 

„Das werden wir, Hamfast.“ Taurfaron lächelte zaghaft. Auch ihm fiel der Abschied nicht leicht. Plötzlich verzog er den Mund zu einem frechen Grinsen. „Das heißt, sobald unser verliebter Elb hier sich von seiner Angebeteten losreißen, oder sie davon überzeugen kann, uns zu begleiten.“ Er stieß Galadhion frotzelnd mit dem Ellenbogen in die Seite.

 

Dieser stöhnte gespielt, ersparte sich aber eine Antwort und lächelte statt dessen selig vor sich hin. Schließlich ergriff er Hamfasts Hände und schüttelte sie kameradschaftlich. „Paßt auf Euch auf, Hamfast. Und auf bald!“

 

Die Elben blickten dem Kleinen sinnend nach, bis er hinter dem grünen Hügel verschwunden war. „Ein liebenswertes Kerlchen. Aber ich hätte ihn fragen sollen, ob er wirklich ein Mensch ist“, murmelte Elrond vor sich hin. „Wenn dies nicht nur wieder einmal gegen diese hinderliche Etikette verstoßen hätte.“ Der dunkelhaarige Elb blickte seinen Fürsten mit hochgezogener Augenbraue von der Seite her an. Doch dieser hatte seine Bemerkung entweder nicht gehört, oder wollte nicht darauf reagieren. Er blickte noch eine Weile gegen Osten und wandte sich dann zur Stadt. Elrond folgte ihm.

 

Taurfaron und Galadhion blieben alleine zurück. Nichts war zu hören außer dem Wind, der ihnen sanft durchs Haar blies und spielerisch an ihrer Kleidung zupfte. Lange standen sie schweigend nebeneinander, bis sie endlich wieder den Weg durchs Tor einschlugen.

 

~~*~~

 

Es war der Morgen des 13. Narwain des Jahres 1001 des Zweiten Zeitalters. Hamfast war wie gewöhnlich zeitig auf den Beinen. Er hatte bereits gefrühstückt und Bôr versorgt, saß pfeiferauchend an seinem Fenster und blickte den Schneeflocken zu, als es plötzlich heftig an die Tür klopfte und eine keifende Frauenstimme rief: „Hamfast Gerstenbräu, mach sofort die Tür auf!“

 

Hamfast seufzte glücklich und zufrieden. Ja, er war wieder zuhause!

 

 

ENDE

 

 

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