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An diesem Tag hatten besonders viele Händler auf dem großen, runden Platz in der Mitte der Stadt ihre Wagen aufgestellt oder Zelte errichtet und boten lauthals ihre Ware an. Hier verkaufte einer die bestausbalancierten Schwerter westlich der Nebelgebirge, natürlich aus echtem Mithril, dort jemand die robustesten und feinsten Töpfe und Pfannen in ganz Mittelerde und ein anderer bot gar Stoffe und Spitzen an, wie sie selbst die Valar nicht besaßen.

 

Hamfast schlurfte mit hängendem Kopf und Schultern durch die geschäftige Menge. Der kleine Mann hatte weder Augen noch Ohren für irgendwelche Händler, exotische Genüsse oder ausgefallene Güter. Er beachtete nicht die Schönheiten der Stadt, ihre kleinen, muschelverzierten Brunnen, Rosen- und Weinranken, die herrlich angelegten Terrassen und freundlichen weißen Häuser mit den hellen Fenstern, die ihn sonst stets begeistert und dazu veranlaßt hatten den Kopf unablässig und aufgeregt von einer Seite auf die andere zu drehen, hin und wieder mit einem verzückten Ausruf auf diese oder jene neue Entdeckung zu weisen und den beiden Elben, die ihn gewöhnlich stets nach dem Frühstück zum Stall begleitet hatten, mit all seiner Begeisterung Seufzer der Ergebenheit zu entlocken.

 

Taurfaron ging hinter dem Hobbit her und bewahrte ihn einige Male davor, in dem Getümmel, das heute auf dem Platz herrschte, überrannt zu werden, denn Hamfast selbst schien dies gar nicht zu kümmern. Der Elb machte sich ernsthafte Sorgen um seinen kleinen Freund. Doch was sollte er tun? Er schnaufte resigniert, teilte einige Püffe und Stöße zur Seite aus, um ihnen den Weg zu bahnen und mußte dann selbst einem Pferd ausweichen, unter dem Hamfast einfach hindurchgeschlichen war. Das Tier bäumte sich auf, von der Menge nervös geworden, und wieherte unruhig. Taurfaron hatte einige Mühe, den Kleinen in dem Gewirr wiederzufinden.

 

„Wartet, Hamfast!“ Der Elb machte einen schnellen Schritt zur Seite, um nicht unter das Rad eines Fuhrwerkes zu geraten. „So wartet doch!“

 

Erst am Ende des Platzes gelang es ihm, den Hobbit einzuholen. Ziemlich außer Atem legte er ihm die Hand auf die Schulter. „Ich kann Euren Kummer ja verstehen, aber das ist doch kein Grund Euch und mich in Lebensgefahr zu bringen“, tadelte er ihn gutmütig. „Kommt, setzt Euch ein wenig.“ Er wies auf eine Bank aus weißem Stein, die von roten Kletterrosen an der eigens dafür vorgesehenen Palisade, laubenartig umrankt wurde.

 

Hamfast seufzte unglücklich, doch Taurfaron legte ihm nun auch die andere Hand auf die Schulter und schob ihn in die besagte Richtung. Dann ließ er sich neben dem kleinen Mann nieder. Eine Weile überlegte er, wie er am besten beginnen sollte.

 

„Als Ihr Euch dazu entschieden habt, Bôr hierher zurückzubringen, wußtet Ihr, daß dieser Moment eines Tages kommen würde“, sagte er vorsichtig und sah ihn verständnisvoll an. „Natürlich ist es jetzt nicht leicht für Euch...“ Er wurde unterbrochen.

 

„Da seid ihr ja!“ Galadhion kam beschwingten Schrittes aus einer Seitengasse heraus, die er scheinbar als Abkürzung oder vielleicht auch zum Umgehen des überfüllten Marktplatzes benutzt hatte und setzte sich fröhlich an Hamfasts andere Seite.

 

Überrascht blickte Taurfaron seinen Freund an. „Wir hatten dich bereits vermißt. Wo warst du?“

 

Galadhion legte die Handflächen auf der Bank ab, streckte die Beine lang aus und schlug die Füße übereinander. „Ich mußte Tindómerel beruhigen.“ Er grinste verschmitzt.

 

Taurfaron hob die Augenbrauen hoch. Dann breitete sich ein verstehendes Lächeln über seinem Gesicht aus. „Mein Vater sagte immer, jede Begebenheit, und sei sie noch so schlimm, hat irgendwo etwas Gutes“, deklamierte er mit ironischem Unterton.

 

„Ich habe eine gute Nachricht für Euch, Herr Hamfast“, wandte sich Galadhion, die Stichelei seines Freundes ignorierend, an den Hobbit. „Ihr beide ward nach dem Frühstück so schnell verschwunden, daß der Hohe Herr euch einen Eilboten hätte hinterherschicken müssen, um euch zurückzurufen.“

 

Die Augen des Elben leuchteten. Der Tröstungsversuch bei der reizenden Dame schien sehr erfolgreich gewesen zu sein. „Er sagte...“ Gedankenverloren brach er eine Rose ab und führte sie an die Nase. Mit einem sehnsuchtsvollen Seufzer sog er den süßen Duft ein.

 

Bei diesem Anblick mußte sogar der deprimierte Hobbit grinsen und Taurfaron hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht laut loszulachen.

 

„Den genauen Wortlaut weiß ich nicht mehr“, gab Galadhion zu, was sehr ungewöhnlich für einen Elben ist, die eigentlich nie etwas vergessen. „Aber als unser kleiner Freund hier wie von Ungolianth gestochen aus dem Garten gestürmt und sein großer Freund hinter ihm hergeeilt war, ist dem Hohen Herrn wohl zu Bewußtsein gekommen, daß seine Worte mißinterpretiert worden waren.“

 

Der Schalk wich augenblicklich aus den Gesichtern von Hamfast und Taurfaron und beide blickten erst sich und dann Galadhion fragend an.

 

In den letzten Tagen waren Gil-galad und Elrond sehr beschäftigt gewesen und ihre Gäste hatten sie kaum zu Gesicht bekommen. An diesem Morgen waren die beiden erstmals seit jener grauenhaften Entdeckung am Vormittag in der Gartenlaube, wieder zum Frühstück erschienen.

 

Der Hohe König hatte seinen Gästen schonend beizubringen versucht, auf welche Entdeckung sie mit Hamfasts Hilfe gestoßen waren. Nachdem der erste Schreck überwunden schien, hatte er sich dann ausdrücklich bei dem kleinen Mann bedankt.

 

Einige Minuten hatte bedrücktes Schweigen geherrscht. Die Elben waren zu bestürzt gewesen, um etwas zu sagen. Auch der Hobbit war entsetzt. Doch nicht aufgrund der eigentlichen Botschaft Gil-galads, die er nicht begriffen hatte. Er verstand nur, daß dies das Ende seines Aufenthaltes in Mithlond und seinen Abschied von Bôr bedeutete.

 

Er war dann in der von Galadhion so treffend beschriebenen Weise ohne Gruß davon gehastet, dicht gefolgt von Taurfaron.

 

Hamfast war geradewegs zum Stall gestürmt, wo er sich schluchzend an den Hals seines Ponys gehängt hatte, während der arme Elb hilflos danebengestanden und versucht hatte, ihn irgendwie zu trösten.

 

Es war schon beinahe Mittag, als es ihm endlich gelungen war ihn zu überreden mit zurück in den Palast zu kommen, denn Taurfaron hatte sich insgeheim vorgenommen, mit dem Hohen Herrn zu sprechen und fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken, den Kleinen in diesem Zustand allein zurück zu lassen.

 

Und jetzt kam Galadhion und erzählte ihnen, daß sie etwas mißverstanden hatten? Zweifelnd blickte Taurfaron seinen Freund an, der über das ganze Gesicht strahlte, wie seit ihrer Ankunft in Mithlond nicht mehr. Der ältere Elb schüttelte langsam den Kopf und hoffte, daß ihm vor lauter Liebestrunkenheit nicht der Verstand abhanden gekommen war.

 

„So? Du weißt also nicht mehr den genauen Wortlaut? Dann berichte uns wenigstens sinngemäß, was er gesagt hat!“

 

Galadhion drehte bedächtig die Rose zwischen seinen Fingern und betrachtete zärtlich die weichen Blütenblätter. Oh ihr Valar! Warum mußten Verliebte immer so grauenhaft langsam sein! Taurfaron war versucht seinen Gefährten an den Schultern zu packen und durchzurütteln.

 

Doch er kam nicht mehr dazu dieses Vorhaben auszuführen, denn nun wurde es dem Halbling ebenfalls zu bunt. Noch ehe Taurfaron den letzten Satz ganz zuende gesprochen hatte, war er von der Bank herunter gehopst und schüttelte Galadhion kräftig an den Knien, da er die Schultern nicht erreichen konnte. Wäre ihm sein Hut bei der plötzlichen, ruckartigen Bewegung nicht vom Kopf gefallen, so hätte er ihn jetzt vielleicht ergriffen und dem Elben um die Ohren gehauen, um ihn aus seiner Träumerei zu reißen.

 

„Was? Was hat er gesagt?“ fuhr er ihn so energisch an, daß Galadhion erschrocken aufblickte.

 

„Er... er sagte...“, begann er stotternd. „Er sagte, daß dies kein Rauswurf hatte werden sollen und daß er wünscht, daß wir wenigstens noch einige Tage hier in Mithlond bleiben sollen. Wenigstens so lange, bis er Nachricht von der Herrin Galadriel hat. Außerdem meinte er, er müsse dringend mit Euch wegen Bôr sprechen.“

 

Hamfasts Hände ruhten noch immer auf den Knien des Elben. Er starrte ihn mit großen Augen und offenem Mund an. Dann ließ er den Kopf wieder hängen, hob seinen Hut auf, stülpte ihn auf den Kopf und wandte sich zum Gehen. „Dies bedeutet doch nur einen Aufschub des Unvermeidlichen“, nuschelte er.

 

„Hamfast...!“

 

Taurfaron legte seinem Freund die Hand auf die Schulter. „Laß ihn, Galadhion. Auch ich glaube zu wissen, was der Hohe Herr damit gemeint hat. Aber wir sollten es ihm überlassen, es Hamfast mitzuteilen und nicht vielleicht falsche Hoffnungen in ihm wecken.“

 

Galadhion nickte und stand auf. „Laß uns ihm folgen.“

 

~*~

 

Allmählich ließen sie den Lärm des großen Platzes hinter sich. Ruhe breitete sich aus und wurde schließlich von den hellen Schreien der Möwen unterbrochen.

 

Taurfaron seufzte. „Das Meer... ich hätte nicht gedacht, daß auch mich die Sehnsucht nach ihm packen könnte.“

 

Soeben näherten sie sich dem Palast, als eine prunkvolle Ehrengarde im Gleichschritt durch das große Tor marschierte und den Weg zum Hafen einschlug.

 

„Was gibt es denn?“ fragte Galadhion die beiden Wächter vor der Tür. Doch die reagierten gar nicht und konnten oder wollten keine Auskunft geben. Die Gefährten schauten einander fragend an. Selbst Hamfast war aus seiner Lethargie erwacht und seine angeborene Neugierde hatte sich gemeldet.

 

Es bedurfte keiner Worte. Beinahe gleichzeitig setzten sich die Drei in Bewegung und folgten der Eskorte in einigem Abstand.

 

Nicht weit vom Palast ging eine breite Steintreppe hinab zum Hafen. Von hier oben hatte man einen herrlichen Blick auf den Golf von Lhûn, der sich tief und weit im Tal des hohen Gebirges ausbreitete.

 

Nachdem man die zahlreichen Stufen hinabgestiegen war, gelangte man auf einen großen Platz. Dieser faßte das Hafenbecken von drei Seiten ein und war selbst von einer hohen Mauer umgeben, zu der nur an der Stirnseite eben jene Treppe zur Stadt hinaufführte, die die Gefährten nun der Garde hinunter folgten.

 

Das Hafenbecken selbst war tief genug, daß die Schiffe bis direkt an den Rand des gepflasterten Hofes heranfahren konnten. Wie die ganze Stadt, so war auch hier alles mit freundlichem weißem Stein erbaut, mit Muscheln verziert und mit Efeu- und Rosenranken bewachsen.

 

Doch heute zog etwas anderes die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich, und ein leises Raunen ging durch die größer werdende Menge.

 

Vor kurzem hatte ein Schiff Anker geworfen, das eindeutig keines der weißen Schiffe Círdans war. Es war ungewöhnlich groß, schlank und scharf auf den Kiel gebaut. Die Planken waren aus hellem Holz, die Segel weiß, aber von seltsamer dreieckiger Form.

 

„Ich hörte einen der Edain zu Círdan sagen, daß sie dadurch schneller sind und leichter gegen den Wind kreuzen können“, sagte soeben einer der vorbeigehenden Mithlond-Elben zu seinem Begleiter.

 

Eine dunkelblaue Fahne mit einem weißen Baum zierte den Wipfel des höchsten Mastes.

 

Die Freunde drängten sich durch die versammelte Menge und versuchten einen Blick auf die drei Männer zu erhaschen, die von Bord gegangen waren. Taurfaron und Galadhion reckten die Hälse. Hamfast sah überhaupt nichts, außer die prunkvollen Tuniken der Elben um ihn herum, in deren Falten sein Gesicht gedrückt wurde.

 

„Erklärt mir mal jemand, was hier los ist?“ maulte der Kleine und hielt sich mit beiden Händen den golddurchwirkten Stoff eines Prachtgewandes von der Nase fern. Er sah zu seinen Gefährten hinauf, doch die zuckten nur synchron die Schultern und Taurfaron bat den ihm am nächsten Stehenden um Auskunft.

 

„Dies ist das Flaggschiff Tar-Aldarions“, erhielt er als Antwort. „Bereits kurz bevor es in den Hafen eingefahren ist, sind unsere Eilboten von den Außenlanden eingetroffen, die berichteten, daß seine Flotte an der Küste angelegt hat.“

 

„Wer ist dieser Tar-Aldarion?“ fragte der Hobbit verständnislos.

 

„Der König von Númenor“, erklärte Taurfaron.

 

Hamfast wandte den Blick nicht von ihm ab und erwartete eine weitergehende Erklärung, die aber ausblieb. Er räusperte sich energisch. Der Elb starrte fasziniert auf das wundervolle Schiff. Mit einem beleidigten Grummeln zupfte ihn der Kleine an seinem Gewand.

 

„Und was will er hier?“

 

„Hm?“ Taurfaron fuhr aus seinen Gedanken und sah zu dem Halbling hinunter, kratzte sich hinterm Ohr, stutzte, betrachtete seine Hand und schüttelte sie mit einem erheiterten Lachen aus, als er bemerkte, daß er langsam anfing die Eigenarten seines schrulligen, neuen Freundes anzunehmen.

 

„Woher soll denn ich das wissen?“ tat er beleidigt und sah sich um. „Kommt, laßt uns dorthin gehen, Hamfast.“ Er deutete auf eine kunstvoll in die Mauer eingefügte Blumenterasse, half dem Hobbit durch das Getümmel und dort hinauf, so daß Hamfast nun wenigstens ebenfalls etwas sehen konnte.

 

Kurz darauf schritt die Ehrengarde nur wenige Meter an ihnen vorbei. Drei Männer wurden von ihr geleitet. Der Vorderste war offenbar der Kapitän des Schiffes. Er war am prunkvollsten gekleidet. Ihm folgten zwei andere Menschen in geringem Abstand. Wahrscheinlich seine beiden ersten Offiziere.

 

Die Menge wich ehrerbietig auseinander.

 

 

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