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Ich erwachte, in eine dicke Wolldecke gewickelt, in einem zeltähnlichen Verschlag neben einem warmen, prasselnden Feuer. In der Mitte der schräg nach oben zulaufenden Notunterkunft hatte man eine kleine Öffnung für den Rauchabzug gelassen und der Boden war mit einer wasserdichten Plane ausgelegt. Ich war alleine, aber außerhalb hörte ich Radagast mit jemandem reden. Sie sprachen elbisch, was mich verwunderte, da ich den anderen wohl zu recht für einen Beorninger hielt.

 

„Wir kehren morgen in unsere Heimat zurück. Die lange Jagd ist beendet und wir sehnen uns nach unseren Familien“, hörte ich eine sehr tiefe und volltönende Stimme sagen.

 

Neugierig richtete ich mich auf. Dabei bemerkte ich, daß meine rechte Schulter in einem Verband steckte. Der Arm lag in einer Schlinge fest an meinen Bauch gebunden, um das verletzte Glied ruhigzustellen.

 

„Wir sind euch sehr zu Dank verpflichtet“, erwiderte Radagast, „ohne eure Hilfe hätten wir diesen Angriff nicht überlebt.“

Als Antwort erklang erst ein ungeduldiges Brummen. „Wir haben euch nicht geholfen“, kam es dann ziemlich schroff von dem anderen, „ihr seid in unseren Kampf geraten, in dem ihr nichts verloren hattet. Wir lieben es nicht, wenn uns jemand in die Quere kommt. Aber da wir davon ausgehen, daß dies nicht eure Absicht war, wollen wir euch verzeihen.“

 

Ach du meine Güte! Der war ja noch unfreundlicher als Radagast wenn er einen seiner Schlechte-Laune-Anfälle hatte!

 

Ich rückte ein wenig näher an das Feuer heran und tastete vorsichtig den Verband ab, um zu erkunden, wo mich die Orkklinge überhaupt getroffen hatte. Die Stelle war ein wenig unterhalb der Schulter am äußeren Oberarm. Also nur eine Streifwunde und nicht einmal besonders schmerzhaft. Und wegen einer solchen Lappalie hatte ich so gebrüllt? Wie überaus peinlich! Ich hatte mich wie ein richtiger Feigling benommen! Nein. Falsch. Ich war ein Feigling!

 

Beschämt konzentrierte ich mich auf die züngelnden Flammen. Eigentlich hätte ich mich hier ganz wohl fühlen können. Es war ein richtig nettes, zugfreies, warmes Plätzchen und der Boden war nicht einmal allzu hart. Das war weit mehr als ich mir vor noch nicht allzu langer Zeit gewünscht hatte. Wenn da nur nicht diese unangenehmen Erinnerungen an die furchtbaren Minuten vor meiner Bewußtlosigkeit und mein jämmerliches Versagen im Kampf gewesen wären!

 

„Ah, du bist wach.“ Ich hatte gerade ein intensives Déjàvu. Mit den selben Worten hatte Radagast mich begrüßt, als ich nach der letzten Begegnung mit einem Ork aus meiner Ohnmacht erwacht war... Ich stöhnte und wandte mich zum Eingang.

 

Das Zelt war hoch genug, daß Radagast zur Mitte hin stehen konnte. Aber der stämmige und zweifellos bärenstarke Mann, der hinter ihm eintrat, vermochte nicht, sich auch nur halbwegs aufzurichten. Dabei war der Zauberer keineswegs klein von Gestalt!

 

Ungläubig starrte ich den Riesen an. Er kniete sich darüber unbekümmert am Feuer nieder und schürte die Glut ohne sich dazu eines Hilfsmittels zu bedienen. Dabei rutschte der Ärmel seiner Jacke ein wenig hoch und gab den Blick auf einen sehnigen, muskelbepackten Unterarm frei.

 

„Wärme dich am Feuer, solange du kannst. Dies ist nicht die rechte Jahreszeit zum Baden“, brummte er tadelnd, auch wenn es wohl freundlich klingen sollte, denn er verzog den Mund zu einem leichten Lächeln, das bei seinem dunklen Vollbart und den fast brutalen Gesichtszügen etwas seltsam anmutete.

 

Ich nickte nur. Ich hatte Angst, etwas Falsches zu sagen. Dann flüsterte ich aber doch ein zaghaftes „danke“. Er grummelte abweisend und verließ das Zelt.

 

„Grimbeorn hat dich aus dem Fluß gezogen und dadurch einen Teil des Kampfes verpaßt“, raunte Radagast mir zu, nachdem er sich am Feuer niedergelassen hatte. „Die Beorninger hassen Orks. Diese Horde haben sie samt ihren Wölfen quer durch den Düsterwald verfolgt, um ihnen den Garaus zu machen. Deshalb ist er alles andere als erfreut darüber, daß du ihm den Spaß verdorben hast. Aber keine Sorge. Im Grunde ist er ein gutherziger Kerl. Nur ein bißchen leicht reizbar. Tu mir also den Gefallen und halte deine Zunge im Zaum. Nur dieses eine Mal!“

 

„Hab ich vielleicht irgend etwas gesagt, was dir nicht paßt?“ blaffte ich ihn sogleich an.

 

„Bisher nicht. Also halte dich daran. Ach, und noch etwas“, fügte er seelenruhig hinzu, bevor ich zu einer weiteren aufgebrachten Bemerkung anheben konnte, „Das nächste Mal – gebrauche dein Schwert!“

 

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