Hamfast der Abenteurer

 

 

 

Hamfast wurde von dem feuchten Schnauben seines Ponys in unmittelbarer Nähe über seiner Nase geweckt. Der kleine Mann mümmelte ein paar Male wie ein Kaninchen, bevor er müde die Augen öffnete und erkannte, wer oder was die Störung seines Schlummers verursacht hatte. Bôr wieherte leise, sichtlich zufrieden, und wandte seine Aufmerksamkeit dem Gras zu, das hier zwar nur in spärlichen Büscheln, zu dieser Jahreszeit aber frisch und saftig wuchs.

 

Hamfast rieb sich den Schlaf aus den Augen, gähnte müde und blickte sich um. Rings um ihn her hatten sich die Elben gelagert. Einige von ihnen packten ihre Habseligkeiten zusammen und rüsteten sich zum Aufbruch, andere standen bereits fertig neben ihren Pferden oder waren sogar schon aufgesessen. Wieder andere waren noch mit dem Frühstück beschäftigt und einige schienen sich tatsächlich erst von der Ruhe erhoben zu haben. Hamfast genoß einige Minuten lang dieses Bild seltener elbischer Unordnung, bevor sein hungriger Magen ihn daran erinnerte, daß er gut daran tun würde, ihn zu füllen.

 

Celeborn hatte auch für diese Rast angeordnet, daß keine Feuer angefacht werden durften. Hamfast hatte sich mit einem tiefen Seufzer in sein Schicksal ergeben, und startete gerade eine morgendliche Wiederholung, seinen Seelenkummer in Laute zu fassen, als er sich an den weichen, herben Käse erinnerte, den er gestern zwischen Äpfeln und Möhren in seinem Beutel entdeckt hatte. Eine der Möhren steckte mit der Spitze mitten in dem Laib. Hamfast zog sie heraus, biß genießerisch den käsebeschmierten Teil ab und gönnte den Rest des Gemüses seinem Pony.

 

Nachdem er den weichen Käse mit den Fingern zwischen Obst und Gemüse herausgeschleckt und auch noch ein gutes Stück Brot dazu genossen hatte, packte er schnell seine wenigen Sachen zusammen, bevor er sich noch sein Pfeifchen gönnte. Bald darauf hüpften die lustigen Rauchkringel über das Lager.

 

Celeborn schüttelte mißbilligend den Kopf. Kein Feuer, hatte er befohlen! Aber dann lächelte er sanft. Man konnte diesem kleinen Mann einfach nicht böse sein. Außerdem, wenn er ehrlich war, hatte er dabei von einem Lagerfeuer gesprochen... und das bißchen Rauch würde weder jemand sehen, noch sehr weit riechen.

 

Sie befanden sich am östlichen Hang des Nebelgebirges. Im Laufe des frühen Nachmittags würden sie das Tal erreichen und mit Celebrimbors Abteilung zusammentreffen, sofern dieser nicht aufgehalten worden war, oder sie selbst durch irgend einen Umstand zu einer Verzögerung gezwungen wurden.

 

Schon bald waren sie wieder unterwegs, in einem wohlgeordneten langen Zweierreihenzug, mit Celeborn und Hamfast an der Spitze. Der Elbenfürst hatte auch diesmal ein paar Späher zu Fuß vorangeschickt, um keine böse Überraschung zu erleben. Kurz nach Mittag trafen sie auf einen Kundschafter aus Celebrimbors Abteilung, der ihnen mitteilte, daß diese den östlichen Ausgang des Stollens bereits am Vorabend erreicht hatte. Sie hatten das erste Licht des Tages genutzt, nach der Spur der Diebe zu suchen und hatten sie wenig weiter nördlich endeckt, von wo sie hinauf ins Nebelgebirge führte.

 

Celeborn nickte, als er seine Vermutung bestätigt fand, ohne irgend ein Anzeichen triumphaler Überlegenheit. Es war ein großer Trupp, berichte der Kundschafter weiter, wohl jene Orks, die das große Westtor überfallen hatten. Eine zurückführende Fährte hatten sie allerdings trotz aller Nachforschungen nicht entdeckt.

 

Das war unerwartet. Sollten jene, welche in die Schatzkammer eingedrungen waren, doch einen anderen Weg genommen haben? Celeborn hatte der Fährte nicht weit folgen können, da sie sich recht bald auf dem felsigen Untergrund verlor. Deshalb hatten sie sich in der ungefähren Richtung gehalten, die sie vom Schacht genommen hatte.

 

„Wie weit habt ihr das Tal nach Norden hin abgesucht?“ begehrte er von dem Ankömmling zu wissen.

 

„Einen halben Tagesmarsch weit und ebensoweit nach Süden. Wir waren noch mit der Suche beschäftigt, als Celebrimbor mich schickte, Euch zu suchen.“

 

„Sollten sie irgendwo ein Versteck gefunden haben, das sie vor unseren Spähern verborgen hat?“ sinnierte Celeborn. Er ließ suchend den Blick über die Gegend schweifen. Schluchten und Felsvorsprünge gab es hier genug. Er schüttelte den Kopf. Was war wahrscheinlicher: Daß sie sich in einer Höhle versteckten und hofften, man würde sie nicht finden, oder daß sie versucht hatten, so schnell wie möglich dorthin zurückzukehren, woher sie gekommen waren - wo auch immer das sein mochte. Sie hatten einen ausreichenden Vorsprung. Es wäre töricht gewesen, ihn nicht zu nutzen.

 

„Sie sind ins Tal hinabgestiegen“, verkündete er fest. „Wir müssen weiter suchen.

 

Der Kundschafter nickte und wollte sich bereits anschicken, zu seiner Abteilung zurückzukehren, als Celeborn ihn zurückrief.

 

„Habt ihr etwas von Durin gehört? Ich vermute, es ist ihm nicht gelungen, sehr weit auf den alten Stollengängen vorzudringen. Der Einsturz des Sees muß sie nahezu völlig zerstört haben.“

 

„Davon weiß ich leider nichts“, schüttelte der andere Elb bedauernd den Kopf und wurde mit einem nachdenklichen Nicken entlassen.

 

Am Nachmittag des nächsten Tages saßen alle zusammen unter den mit frischem Grün belaubten Birken am Rand eines kleinen Wäldchens am östlichen Tal des Nebelgebirges.

 

Durin war mit einer Schar seiner Leute am Vorabend bei ihnen eingetroffen, und auch Galadriel hatte sich wenig später eingefunden, um sich ihnen zu einer Beratung anzuschließen. Sehr zum Verdruß ihres Gatten war auch sie auf dem kurzen Weg durch die Mienen gereist, den sie schon von ihren früheren Besuchen in Lórinand her gut kannte.

 

Die Elben hatten fast zwei Tage lang das Tal nach Spuren abgesucht und waren dabei weit nach Norden und Süden vorgedrungen, ohne den geringsten Anhalt dafür zu finden, wo die Strolche aus den Bergen herabgestiegen waren.

 

Durin war angesichts dieses Mißerfolges noch grummeliger gelaunt als üblich, und auch alle anderen befanden sich nicht in fröhlicher Gemütsstimmung. Mit Ausnahme von Hamfast, der endlich ein Feuer hatte anzünden dürfen und fleißig damit beschäftigt war, die von Galadriels Gefolge mitgeführten Gemüse und Früchte zu einer leckeren Mahlzeit zu verarbeiten. Zwei der Elben gingen ihm dabei zur Hand und konnten gar nicht genug über die Hingabe staunen, mit der der kleine Mann sich dieser Aufgabe widmete.

 

„Das Wichtigste sind die Gewürze“, erklärte Hamfast seinen beiden Helfern soeben. „Ohne die richtigen Gewürze und Kräuter schmeckt jede Mahlzeit fade.“ Er rührte einmal den Inhalt des Topfes durch, damit die obenauf liegenden Stücke zum heißen Topfboden gelangten und alles sich gleichmäßig erwärmen konnte. „Ob man das Gemüse nun kocht, bäckt oder brät macht natürlich auch einen Unterschied“, belehrte er sie weiter und hielt dabei den Kochlöffel wie ein Schulmeister seinen Zeigestock in die Höhe, „aber den Ausschlag geben die Gewürze!“

 

Er zog ein Ledertäschchen hervor und klappte es nach beiden Seiten auf. Es war im Inneren in viele kleine Fächer unterteilt, die sich einzeln verschließen ließen und die unterschiedlichsten getrockneten Kräuter enthielten. Er öffnete nun eines nach dem anderen, zeigte den beiden stolz seine Schätze und erläuterte ihnen überflüssigerweise, um welches Gewürz es sich jeweils handelte. Die Erstgeborenen folgten geduldig seinen Ausführungen. Der eine zwinkerte dem anderen von Hamfast ungesehen amüsiert zu und erhielt ein angedeutetes Grinsen zur Antwort. Sie ließen den Kleinen gewähren, da es ihm offensichtlich gar so sehr Freude bereitete, sein Wissen mit ihnen zu teilen.

 

„Doch diese hier sind nur für den Fall, daß ich keine frischen wilden Kräuter finde“, dozierte Hamfast weiter. „Um diese Jahreszeit wachsen nämlich in allen fruchtbaren Gegenden reichlich davon.“ Er hielt die Nase schnuppernd über den schweren Eisentopf und überlegte dabei, welche Aromen er zufügen wollte. Dann drückte er einem der beiden Elben den Holzlöffel in die Hand und wies ihn an, die Mahlzeit nur ja am Anbrennen zu hindern, während er sich kurz fort begab, um die passenden Zutaten zu suchen.

 

In der Zwischenzeit besprachen die Elbenfürsten und der Zwergenkönig ihre Lage, als plötzlich und für die meisten unerwartet, zwei fremde Elben auftauchten, still und schattenhaft, und am Rand des Wäldchens stehen blieben, als erwarteten sie eine Aufforderung, näher zu kommen.

 

Hamfast, der gerade frischen Salbei kleingeschnitten hatte und jetzt mit geschlossenen Augen den Duft seines Eintopfs nach dessen Zugabe prüfend durch die Nase sog, bemerkte die rundum eingetretene Stille. Verwundert sah er sich um und folgte den ernsten Blicken. Mit einem überraschten Laut ließ er den Holzlöffel in den Topf sinken.

 

Das waren Waldelben! Wie seine Freunde aus den nördlich des Eryn Torog gelegenen Wäldern, trugen sie zweckmäßige, erdfarbene Kleidung und waren nicht mit Schwertern sondern Pfeil und Bogen bewaffnet. Dennoch verrieten ihre Gesichtszüge und die deutlich helleren Haare, daß sie einem anderen Volk angehörten.

 

Hamfast fand das faszinierend. Er hatte nicht gewußt, daß es so weit östlich noch Elben... doch halt! Sollte es drüben im Großen Grünwald nicht sogar einen Elbenkönig geben?! Gil-galad hatte damals eine kleine handverlesene Gruppe mutiger Leute zu ihm geschickt, bei denen sich versehentlich ein nicht ganz so tapferer Hobbit befunden hatte. Hamfast lächelte in Erinnerung an diese Reise in sich hinein. Er hatte nie erfahren, ob dieses Elbenreich existierte, und obwohl das vor noch gar nicht allzu langer Zeit gewesen war, war inzwischen so viel geschehen, daß es ihm schien, als wären viele Jahre seither vergangen.

 

Noch immer hatte niemand der Anwesenden sich geregt oder ein Wort gesagt. Selbst die Vögel, die bisher übermütig ihre Lieder hatten erklingen lassen, waren verstummt, und eine Hasenfamilie spitzte von Ferne, auf die Hinterläufe erhoben und mit gefalteten Pfoten, neugierig ihre Ohren. Im Unterholz raschelte es leise, und ein Igel streckte verstohlen die schnuppernde Nase hervor. Sogar die Pferde hatten ihr Grasen unterbrochen und warteten gespannt.

 

Einzig Galadriel schien nicht überrascht über die Ankunft der beiden Waldelben. Sie erhob sich anmutig und lud sie mit einer freundlichen Geste ein, näherzutreten.

 

„Ich danke Euch, daß Ihr meinem Ruf gefolgt seid“, begrüßte sie die Fremden. „Setzt Euch zu uns und erlaubt uns, Euch in Eurem eigenen Reich als Gäste willkommen zu heißen.“

 

Hamfast hatte seine Fassung wiedergefunden und den Kochlöffel aus dem Topf gefischt, in dem er beinahe bis zum Rand versunken war. Behutsam rührte er den Inhalt um, als befürchte er ein Geräusch zu verursachen, das die nun folgende Unterhaltung stören oder seinen Ohren entziehen würde.

 

Nachdem die üblichen Höflichkeiten gewechselt worden waren, begann einer der Waldelben bereitwillig zu erzählen. „Wir haben Eure Nachricht erhalten, Frau Galadriel, doch können wir Euch leider nicht die gewünschte Auskunft erteilen. Die Kobolde, von denen das Volk der Zwerge angegriffen wurde, haben wir wohl bemerkt. Sie kamen aus der alten Festung bei Dol Guldur, wo sie noch immer hausen, obwohl ihr Meister seit einiger Zeit von dort verschwunden ist. Soweit wir wissen, ist er bereits im letzten Herbst nach dem Süden gegangen und nicht wieder zurückgekehrt, sehr zu unserer Erleichterung, möchte ich sagen.“

 

„Die meisten dieser Kobolde haben durch die Äxte der Zwerge und die Schwerter und Pfeile der Elben ihren Tod gefunden“, berichtete die Elbenfürstin. Diese Nachricht wurde mit sichtlicher und hörbarer Freude aufgenommen.

 

Ganz wie ihre Verwandten aus den fernen Wäldern im Nordwesten waren diese Waldelben weniger zurückhaltend als die Hochelben aus Eregion. Dennoch nahmen sie sich mehr zurück, als sie es wohl unter anderen Umständen getan hätten, vermutete Hamfast, denn obwohl sie sich in soch edler Gesellschaft zu benehmen wußten, schienen sie sich ein wenig unbehaglich zu fühlen angesichts der vielen Blicke, die neugierig und teils ein wenig herablassend auf sie gerichtet waren. Hamfast erinnerte sich gut, wie es seinen Freunden damals in Lindon ergangen war. Auch sie waren von den Elben dort nicht als gleichwertig erachtet worden, und hatten sie dann doch eines besseren belehrt.

 

„Habt Ihr die Überlebenden zurückkehren gesehen?“ begehrte Celeborn zu wissen, ein wenig ungeduldiger, als es sonst seine Art war. Er begegnete den Waldelben ebenso wohlwollend wie seine Gemahlin, ohne sie als eine minderwertige Gesellschaft zu betrachten, das konnte man seiner ganzen Haltung und dem Tonfall der Frage entnehmen.

 

Der bisherige Sprecher schüttelte andeutungsweise den Kopf. „Nein, Herr Celeborn, es ist niemand zurückgekehrt. Das wüßten wir sicher, denn unser Volk wohnt in den Wäldern und an den Flüssen des gesamten Gebietes zwischen hier und dem Großen Grünwald. Wir lauschen auf das Flüstern der Bäume und die Sprache der Tiere, den Gesang der Vögel und das Plätschern des Wassers. Seit jenem fortziehenden Haufen hat keiner dieser eklen Kreaturen ihren Fuß in unser Land gesetzt, und jetzt, da sie fort sind, werden wir nicht dulden, daß sie zurückkehren!“ Das klang zunächst ein wenig naiv, doch der Elb sah dabei so entschlossen aus und seine Hand umklammerte den Langbogen so entschlossen, daß keiner der Anwesenden seine Worte in Zweifel zog.

 

Vor lauter Spannung hatte Hamfast im Rühren inne gehalten und holte dies schnell nach, bevor erneut jemand zu sprechen begann. Dabei bemerkte er, daß sämtliche Flüssigkeit verdunstet war und schüttete schnell einen Becher Wasser hinzu. Es zischte und dampfte und für eine Sekunde fühlte der Hobbit alle Blicke auf sich gerichtet. Verlegen räusperte er sich, doch dann wurde seine Aufmerksamkeit vollständig auf den brodelnden Inhalt gelenkt. Mit fuchtelnden Armen scheuchte er die beiden Helferelben und wies sie an, den schweren Topf mit dem bereitgelegten starken Ast vom Feuer zu hieven. Das Gemüse hatte lange genug geschmort. Er schnupperte prüfend daran, erst bedachtsam, dann genußvoll, und schließlich verkündete er lautstark und mit freudiger Stimme: „Essen ist fertig!“

 

Ein Raunen und Grinsen ging durch das gesamte Lager. Hamfast stand strahlend hinter seinem großen Topf, den Kochlöffel in der Hand, mit einer Haltung, als gäbe es jetzt nichts Dringlicheres auf der Welt, als Mahlzeit zu halten. Dies wirkte so ansteckend, daß die Anspannung von allen Anwesenden wich.

 

„Dann wollen wir es nicht kalt werden lassen!“ polterte Durin lachend und seine Zwerge stimmten ihm mit hungrigen Bemerkungen zu. Sie alle suchten augenblicklich in ihrem Gepäck nach einer Holzschale oder einem Becher. Einige hatten sogar Löffel mitgebracht.

 

Erst nachdem die ersten Teller gefüllt waren, kam auch Leben in die Erstgeborenen. Keiner konnte sich des herrlich duftenden Mahls entziehen. Für die beiden Waldelben, die nicht für die Reise gerüstet waren, kramte Hamfast aus seinem eigenen Rucksack passende Behältnisse hervor, die er ihnen strahlend anbot und welche dankbar entgegengenommen wurden.

 

Es zeigte sich, daß der kleine Mann, den Hunger der großen Gruppe sehr gut eingeschätzt hatte. Viele kamen sich ein zweites oder gar drittes Mahl einen Nachschlag holen, aber erst als wirklich jeder versicherte, auch nicht den kleinsten Bissen mehr verzehren zu können, war der Inhalt des Topfes in der Nähe des Bodens angekommen. „Hm, das reicht gerade für einen Hobbit für ein spätes Nachtmahl“, bemerkte Hamfast freudestrahlend.

 

„Er ist also nicht aus dem Süden zurückgekehrt“, wiederholte Celeborn die Angaben des Waldelben als spräche er zu sich selbst, und so, als müsse er sie noch einmal in seinem Inneren verarbeiten.

 

Galadriel hatte die Lippen gespitzt und wartete geduldig, bis ihr Gemahl bereit war für das, was sie zu sagen hatte. „Es scheint so.“ Sie deutete mit einer leichten Geste an, daß sie der Beobachtungsgabe der Waldelben vollstes Vertrauen entgegenbrachte und ihre Wortwahl keinen Zweifel daran ausdrücken sollte, sondern dieser einleitende Satz lediglich von ihr gebraucht worden war, um die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich zu lenken. „In der Zeit eurer Abwesenheit habe ich den Zauber in der Schatzkammer untersucht. Ich wollte nicht darüber reden, bevor wir Gewißheit über seinen Verbleib hatten.“

 

Aller Augen waren nun auf die Elbenfürstin gerichtet. Galadriel rückte sich anmutig ein wenig auf dem Kissen aus Moos und Laub zurecht, das man ihr bereitet hatte und wischte mit einer fließenden Bewegung ein paar Blütenblätter von ihrem Gewand.

 

„Es handelt sich um eine simple Illusion, wie sie von jedem intelligenten Wesen hätte geschaffen werden können, so es die richtigen Worte und ein paar einfache Zutaten gebrauchte.“

 

„Schwefel?“ wollte Hamfast wissen. Er war unbemerkt ganz nahe an sie herangerückt, wie ein wißbegieriges Kind, das einer spannenden Geschichte lauscht und kein Detail davon verpassen will.

 

„Ja, Schwefel, Herr Hamfast“, lächelte Galdriel höflich. „Und einige Kräuter, die um diese Jahreszeit überall wachsen. Sowie ein paar andere Kleinigkeiten, die nicht schwer zu beschaffen sind.“

 

„Die Frage muß also nicht lauten, wer zu einem solchen Zauber, oder dieser Illusion, fähig ist, sondern wer einen Nutzen davon hat, wenn Mittelerdes Völker sich bekämpfen“, resümierte Celebrimbor.

 

„Waffenschmiede?“ vermutete einer der Zwerge.

 

„Unsinn“, brummte Durin, und der Zwerg wich verlegen etwas zurück. „Was brauchen wir Waffenschmiede! Wir fertigen unsere eigenen Waffen!“

 

„Die Elben ebenfalls“, nickte Galadriel, und alle hingen eine Weile ihren eigenen Gedanken und Überlegungen nach.

 

„Wer ist dieser Meister, der nach dem Süden gegangen ist?“ nutzte Hamfast die entstandene Pause.

 

„Ihr kennt ihn unter dem Namen Dringol“, erinnerte Celeborn ihn.

 

„Oh...“ Hamfast dachte nicht gerne an diese unangenehme Gestalt, die er im letzten Frühjahr eine Weile begleitet hatte. Ob Gil-galad ihm davon erzählt hatte? Oder vielleicht Elrond? Beide hatten damals reges Interesse an der Schilderung seiner kurzen Reise mit diesem unangenehmen Zeitgenossen gezeigt. Hamfast kraulte sich nachdenklich den Vollbart am Kinn als ihm klar wurde, daß Celeborn, wenn er um seine Bekanntschaft mit jenem Dringol wußte, auch seine eigene Person von dieser Erzählung her gekannt haben mußte.

 

„Nicht alles Übel kommt aus dem Osten“, erinnerte Galadriel ihren Gemahl. „Vielleicht haben wir uns zu sehr darauf versteift, was nicht verwunderlich ist, schien der Illusionszauber doch beeindruckender als er letzlich war.“ Alle stimmten ihr mit einem Nicken zu. Damit hatte wirklich niemand gerechnet.

 

„Das führt uns wieder zu der Frage, wer einen Nutzen davon hat, einen solchen Krieg anzufachen“, erinnerte Celebrimbor.

 

„Oder wem es Vergnügen bereitet, das Volk der Zwerge zu vernichten!“ schimpfte Durin.

 

Erregtes Gemurmel ging durch die Reihen. Jeder diskutierte diese Frage mit seinem Nachbarn und die Debatte wurde lauter und aufgeregter, je länger sie andauerte.

 

Hamfast allein saß still und betrachtete den Boden vor dem Platz auf dem er saß. Die wunderschöne Kinderrassel erschien vor seinem geistigen Auge. Blank und glänzend, und das helle klare Klingeln der Kügelchen, klang in seinen Ohren. Er lächelte. Schade, daß er die beiden anderen Schätze nicht gesehen hatte. Er war sicher, sie waren nicht weniger wundervoll.

 

„Vielleicht wollte er die Sachen auch einfach nur sehen, und dann gefielen sie ihm so gut, daß er sie mitgenommen hat“, murmelte er.

 

Das plötzlich eingetretene Schweigen wirkte bedrückend. Hamfast mußte nicht aufsehen um zu wissen, daß jeder ihn anstarrte. Er kam sich furchtbar dumm vor.

 

„Na, großartig!“ polterte Durin nach einem kurzen Moment der Stille. „Das fehlte noch! Ein Freund der schönen Künste! Danke, Herr Hamfast! Ihr habt den Kreis der Verdächtigen auf alle eingeschränkt!“

 

 

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