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Später am Abend - die beiden Elben hatten endlich in Erfahrung bringen können, was es mit Hamfasts Pony und ihrer ehrenvollen Einladung auf sich hatte - gesellten sich auch Gil-galad und Elrond zu ihren Gästen. Taurfaron und Galadhion erhoben sich ehrerbietig von ihren Plätzen und grüßten den Hohen König mit einer tadellosen höfischen Verbeugung, die man den einfachen Waldelben gar nicht zugetraut hätte. Förmlich aber unverkrampft stellten sie sich vor und warteten mit angemessener Zurückhaltung, bis der Höhe König sich gesetzt hatte und die beiden aufforderte, wieder Platz zu nehmen.

 

Hamfast hatte inzwischen dem Wein ordentlich zugesprochen, hing etwas schief auf seinem Stuhl und war eigentlich nicht mehr wirklich gesellschaftsfähig. Gil-galad schenkte dem kleinen Mann ein nachsichtiges Lächeln und wandte sich mit den üblichen einleitenden Worten und dem notwendigen langwierigen Austausch von Höflichkeiten an die beiden Elben. Dann wurden den Gästen ihre Zimmer zugewiesen.

 

Mit einem erleichterten Seufzer schloß Hamfast die Tür hinter sich. Diese großen Räume und Betten waren eigentlich nicht das, was er bevorzugte, doch in seinem angesäuselten Zustand und nach vielen Wochen im Sattel und den Übernachtungen auf hartem Boden, war ihm nun jede Form und Größe eines Schlaflagers recht, solange es nur weich war. Er warf seinen Hut mit Schwung irgendwo in die Ecke und suchte nach einem günstigen Aufstieg auf das hohe Bett. Nach drei vergeblichen Versuchen, während denen er angestrengt mit seinem Gleichgewicht kämpfte, entdeckte er eine mit rotem Samt bezogene, gepolsterte Fußbank, vor dem dazugehörigen Sessel. Leicht schwankend bewegte er sich darauf zu und schleifte sie rückwärtsgehend über den Boden bis vor das Bett. Ein kurzer Anlauf, ein Sprung und er lag bäuchlings auf den frischen Laken und räkelte sich wohlig. 

 

Doch schon nach kurzer Zeit, als er sich auf dem weichen Lager herumrollen wollte, wurde er vom Inhalt seiner Hosentaschen dabei gestört. Grummelnd entleerte er sie und warf das ganze Zeug kurzerhand hinter das Bett, bevor er laut schnarchend einschlief.

 

~*~

 

Nachdem die Gäste sich in ihre Zimmer zurückgezogen hatten, stand Gil-galad am Fenster seines Arbeitszimmers, die Hände auf dem Rücken ineinandergelegt, und blickte hinaus in die sternenklare Nacht. Beinahe lautlos öffnete sich die Tür und Elrond trat ein, stellte sich wortlos neben ihn, und sein Blick folgte dem seines Fürsten. Eine ganze Weile standen die beiden schweigend und unbeweglich da. Endlich trat Gil-galad an seine Karte. Suchend glitten seine Augen über das Gebiet zwischen Nebelgebirge und Grünwald. Unwillig legte er die Stirn in Falten. Was er sah, gefiel ihm nicht.

 

Elrond wandte sich ihm zu. „Warum so mißgelaunt, mein Herr?“ fragte er und zog eine Augenbraue leicht hoch, was ihm einen ernsteren und gelehrteren Ausdruck verlieh, wie er fand.

 

Gil-galad schüttelte mißmutig den Kopf, starrte noch eine zeitlang auf die Karte und schob sie Elrond dann zu. „Diese Siedlungen sollen etwa drei Tagesritte nördlich der großen Waldstraße, am rechten Ufer des Anduin liegen.“

 

Die Augenbraue des königlichen Beraters hob sich noch ein wenig höher. Er verstand nicht recht, worauf sein Herr hinauswollte.

 

„Zeig mir doch einmal die Stelle“, forderte dieser ihn auf.

 

Elrond richtete seinen Blick auf die Karte, dann umkreiste er mit dem Finger ein Gebiet auf dem Pergament. „Das müßte ungefähr hier sein.“

 

„Ganz recht. Und jetzt, sag mir doch einmal, was du dort siehst.“ Der Hohe König klang ein wenig aufgebracht.

 

Elrond betrachtete sich die Stelle eingehender. „Nichts, mein Herr“, mußte er schließlich leicht irritiert zugeben.

 

Gil-galad stöhnte leise. Er war sich nicht sicher, ob er sich nicht lieber darüber freuen sollte, daß er seinen Augen noch trauen konnte. „Und wieso, frage ich dich, fehlen auf einer derart detaillierten Karte gleich mehrere Dörfer?“ Seine Augen blitzten bedrohlich. „Ich werde ein ernstes Wort mit unseren Kartenzeichnern sprechen müssen!“

 

Elrond verzog den Mund zu einem müden Lächeln. „Sie werden gleich mehrere Ausreden – oder gute Gründe, wie sie es nennen werden – haben. Angefangen bei: die Siedlungen sind zu klein, über: das Gebiet liegt nicht im Blickpunkt unseres Interesses, bis: das Volk gehört weder zu unseren Verbündeten, noch ist es uns feindlich gesinnt.“

 

Erneut versank Gil-galad in der Betrachtung der Karte. Seine Augen fixierten das Gebiet nördlich der nicht eingezeichneten Hobbitsiedlungen. Und wieder breitete sich Unmut über seinem Gesicht aus.

 

Diesmal schien Elrond zu wissen, was ihn so beunruhigte. „Was hältst du von diesem Dringol?“ fragte er wie beiläufig und entfernte mit einer fließenden Handbewegung eine Fluse von seiner Tunika.

 

Gil-galad ließ einen brummenden Laut hören. „Du meinst, abgesehen davon, daß ich noch keinem Schmied begegnet bin, dessen Name „Schmied“ ist und unsere Kartenschreiber da wohl noch etwas vergessen haben einzuzeichnen?“ Der Hohe König tippte mit dem Finger auf die Karte. „Er fährt diese Strecke häufiger, hat er gesagt, also muß es weiter nördlich doch irgend etwas geben, wohin und woher ihn sein Weg führt!“

 

„Der Beschreibung nach, die der kleine Mann uns gegeben hat, könnte er einer der Númenórer sein“, überlegte Elrond, ohne auf die Ungenauigkeit des gescholtenen Werkes einzugehen. „Meinst du nicht?“

 

Gil-galad atmete tief durch. Bisweilen fiel es selbst ihm schwer, seine Ruhe zu bewahren. Dies waren die Momente, die Elrond genoß. Betont gelassen ließ er sich auf einem Stuhl nieder.

 

„Was gedenkst du jetzt zu tun?“

 

„Nun, zunächst einmal hoffe ich, daß auf dieser Karte nicht noch mehr ‚unbedeutende’ Details fehlen“, antwortete der Hohe König jetzt wieder ruhiger. „Und dann werde ich einen Brief an Celeborn und Galadriel schreiben und sie darum bitten, ihre Reise nicht länger hinauszuschieben, als unbedingt nötig. Die ungewöhnlichen Vorgänge im Grünwald bestätigen meinen Verdacht. Wir dürfen nicht zu lange zögern. Außerdem werde ich gleich morgen Boten zu Tar-Aldarion schicken.“

 

Elrond blickte auf. „Zu Tar-Aldarion?“

 

„Ganz recht. Ich habe das Gefühl, als ob wir schon recht bald jede Hilfe brauchen können.“

 

„Wird er kommen?“

 

„Das hoffe ich.“

 

Jetzt ließ sich auch Gil-galad auf einem Stuhl nieder. Es war ein anstrengender Tag gewesen und selbst er brauchte irgendwann einmal Ruhe.

 

„Diese beiden Waldelben...“, überlegte er nach einiger Zeit, „Was sie wohl hierher geführt haben mag?“

 

Elrond zuckte die Schultern und begann konzentriert einen seiner Zöpfe, der sich gelöst hatte, neu zu flechten. „Ich hätte sie gefragt, aber du brachtest mir bei, daß dies unhöflich ist. Statt dessen mußten wir so viele unnütze Worte wechseln.“ Er unterbrach seine Arbeit. „Ich will mich nicht beklagen, aber manchmal ist diese ganze Form- und Höflichkeit doch recht... unpraktisch.“

 

Gil-galad sah seinen Berater ernst an, mußte ihm aber im Stillen recht geben. Wer auch immer diese Regeln der Etikette aufgestellt haben mochte, er hatte entweder noch nie vor ernsthaften Sorgen gestanden oder eine Geduld besessen, die eines Vala würdig wäre.

 

Elrond erhob sich mit einem unterdrückten Gähnen. „Mit deiner Erlaubnis ziehe ich mich jetzt zurück.“ Gil-galad nickte.

 

Nachdem der junge Elb den Raum verlassen hatte, saß der Hohe König noch lange Zeit grübelnd da. Hin und wieder zog sich seine Stirn in ärgerliche Falten. Erst als die Kerze, die einen schwachen Schimmer verbreitet hatte, mit einem kurzen Flackern verlöschte, erhob er sich. Aus einem Fach im Regal nahm er eine neue, zündete sie an und setzte sich an seinen Schreibtisch, um einen Brief an den Herren und die Herrin von Eriador zu schreiben. Früh am nächsten Morgen ritt ein Bote mit diesem zum Stadttor hinaus.

 

~*~

 

Hamfast erwachte von Hufgeklapper und fröhlichen Stimmen. Die helle Morgensonne schien zum Fenster herein und Vogelgezwitscher erfüllte die Luft. Er gähnte lautstark, streckte sich und brauchte einen Augenblick, bis er wußte, wo er sich befand. Wäre da nicht dieses unangenehme, leere Gefühl in der Magengegend gewesen, so hätte ihn heute sicher nichts so schnell von seinem bequemen Lager heruntergeholt. So jedoch rutschte er, immer noch müde und mit einem leichten Bedauern, von seiner Liegestatt und stolperte dabei über die Fußbank, die noch immer dort stand. Mit lautem Gepolter prallte sie gegen den Bettpfosten, und Hamfast taumelte mit einem erschrockenen Schrei zu Boden.

 

Als ob dies ein verabredetes Zeichen gewesen wäre, klopfte es gleich darauf an der Türe. Der Hobbit rappelte sich auf und wischte sich schnell mit beiden Händen den Schlaf aus den Augen, bevor er antwortete. „Ja, bitte?“ sagte er ein wenig zaghaft und glaubte deshalb schon, nicht gehört worden zu sein.

 

Doch sogleich öffnete sich die Tür und ein junges Elbenmädchen trat ein. „Guten Morgen, Herr Hamfast Gerstenbräu“, sagte sie freundlich und mit einem vornehmen Knicks. „Das Bad ist gerichtet. Wenn Ihr Euch gleich hier den Gang hinunter begeben wolltet. Es ist die Tür ganz am Ende.“

 

Der kleine Mann kratzte sich verlegen hinterm Ohr und sah an sich herab. Auf dem Boden zwischen seinen Füßen blieb sein Blick hängen und folgte der sichtbaren Spur bis zurück zum Bett und... Er wurde purpurrot bis hinter beide Ohren, als er sah, welch eine Schweinerei er angerichtet hatte. Nach der langen Reise war seine Kleidung natürlich nicht mehr in dem besten Zustand gewesen; und er hatte sich am Abend zuvor nicht die Mühe gemacht, sie abzulegen und sich zu waschen.

 

Das Mädchen lächelte sanft und forderte ihn mit einer anmutigen Geste auf, das Gemach zu verlassen, damit sie wieder alles in Ordnung bringen konnte. Flugs war Hamfast an ihr vorbei und in den bezeichneten Raum verschwunden, aus dem man ihn bald planschend und blubbernd und ziemlich falsch irgendein Badelied grölen hören konnte, unterbrochen von den protestierenden Ausrufen seiner beiden Reisegefährten, die sich bereits vor ihm im Bad eingefunden hatten.

 

Mit einem ergebenen Seufzer sah sich das Dienstmädchen im Zimmer um. Die nun nicht mehr weißen Laken mußten zunächst gewechselt werden. Sie trat an das Bett und stieß dabei mit dem Fuß an den Schemel. Als sie sich bückte, um ihn aufzuheben, fiel ihr Blick auf eine Anzahl kleiner Steine und sonstigen Unrat, der unter der Liegestatt lag. Kopfschüttelnd räumte sie zunächst das Bänkchen beiseite und bezog die Kissen frisch. Dann fegte sie mit einem Besen den Dreck unterm Bett heraus. In einer Ecke lag ein alter, knittriger Hut, den sie am liebsten gleich mit fortgeworfen hätte. Aber dann legte sie ihn doch auf den Stuhl, wischte noch den Boden und zog sich zurück.

 

Wenig später kamen Hamfast und die beiden Elben aus dem Bad. Sie waren blendender Laune. Taurfaron und Galadhion hatten frische Kleidung bekommen, die aus feinem besticktem Stoff bestand und eine angenehme Abwechslung zu ihren eigenen, schlichten Gewändern bot. Für den Hobbit hatte man so rasch nichts in seiner Größe auftreiben können, doch hatten ihm dienstbereite Hände den gröbsten Schmutz aus Hose und Jacke gebürstet.

 

Ein Elb führte die drei, nachdem Hamfast noch einmal schnell in sein Zimmer gehuscht war und seinen Hut auf den Kopf gestülpt hatte, zum Speisesaal, wo auch heute der Tisch für die Gäste üppig gedeckt war.

 

~*~

 

Gil-galad und Elrond saßen wie stets in den letzten Tagen mit ihren Gästen beim Nachmittagstee im wundervoll angelegten Garten hinter dem Palast. Die Sonne schien warm und sie hatten sich in eine mit duftenden Rosen umrankte Laube zurückgezogen, neben der ein kleiner, muschelverzierter Springbrunnen leise vor sich hinplätscherte. Galadhion hatte sich entschuldigt und versuchte - wieder einmal - Gehör bei einer gewissen jungen Dame zu finden.

 

Das Gespräch war seit einiger Zeit verstummt, und alle lauschten verträumt dem Gesang der Vögel, der lieblich die friedliche Stille durchdrang.

 

Leichte Schritte näherten sich und ein Diener verbeugte sich verlegen vor Hamfast. „Verzeiht, mein Herr, aber dies hier wurde versehentlich beim Aufräumen Eures Zimmers mitgenommen, um es fortzuwerfen.“ Er legte einen Gegenstand auf den Tisch und zog sich mit einer weiteren Entschuldigung und einer Verbeugung zurück.

 

Der Hobbit blickte erstaunt auf das, was er ihm da gebracht und was er gar nicht vermißt hatte: Sein Holzscheit! Eine Weile starrte er es schweigend an, dann lachte er vergnügt auf. „Na, was sagt man denn dazu? Dieses Scheit will sich wohl einfach nicht von mir trennen!“ Er kicherte vor sich hin und auch Taurfaron verzog den Mund zu einem Grinsen.

 

Elronds Blick fiel auf das Stückchen Brennholz. Seinen scharfen Augen entgingen nicht die eingeritzten Zeichen. Da er sie jedoch nicht näher erkennen konnte und auch nicht wußte, was es mit ihnen auf sich hatte und es außerdem unhöflich gewesen wäre, einfach danach zu fragen, schwieg er. Jedoch warf er Gil-galad einen Blick zu, der dem älteren Elben unmißverständlich klar machte, daß sein junger Berater die Regeln der Etikette wieder einmal für sehr unpraktisch oder zumindest seiner angeborenen Wißbegierde unzuträglich hielt.

 

„Habt Ihr die Hohen Herren einmal danach gefragt, ob sie die Schrift lesen können?“ fragte Taurfaron unvermittelt, als hätte er Elronds Gedanken gelesen.

 

Hamfast schüttelte den Kopf und hielt augenblicklich dem jungen Elben das Scheit mit einer schwungvollen Bewegung so dicht unter die Nase, daß dieser den Kopf erschrocken etwas zurückzog. „Ich kann es nicht lesen“, sagte der kleine Mann schlicht und mit einem bedauernden Schulterzucken.

 

„Auch Galadhion und ich kennen zwar die Zeichen, jedoch nicht die Sprache, in der es verfaßt ist“, fügte Taurfaron entschuldigend hinzu.

 

Elrond warf einen langen, nachdenklichen Blick auf die Runen, dann reichte er das Scheit Gil-galad, der nun seinerseits das Stück Holz etwas gelangweilt in Augenschein nahm. „Wo habt Ihr das her, Herr Hamfast?“ fragte er dennoch aufmerksam, um nicht unhöflich zu sein.

 

„Das ist die Inschrift des Fuhrwerks von Herrn Dringol.“ Hamfast sah die beiden Elben treuherzig an und erwartete nun ganz offensichtlich eine Aufklärung.

 

Der Hohe König reichte ihm das Scheit zurück. „Dies ist Quenya, die hohe Sprache der Calaquendi, wie sie auch die Menschen von Númenor sprechen. Hier steht: ‚Dringol, fahrender Schmied und Kunsthandwerker’.“

 

Enttäuscht atmete Taurfaron aus. Irgendwie hatte er etwas anderes erwartet. „Sagt, Hoher Herr, was haltet Ihr von einem Schmied, der sich ‚Dringol’ nennt? Noch dazu in der Sprache der Grauelben, obwohl er sonst eine andere zu gebrauchen scheint. Deucht Euch dies nicht auch seltsam?“

 

Gil-galad legte die Stirn in Falten. „Was wollt Ihr hören, junger Freund? Daß sich dieser Mensch nicht nennen darf, wie es seine Laune ihm eingibt?“ fragte er in strengem Ton.

 

Beschämt senkte Taurfaron den Blick. „Nein, natürlich nicht“, murmelte er und fühlte sich mit einem Mal wie ein kleiner Junge, den man beim Kirschenstehlen erwischt hatte.

 

Hamfast starrte noch gebannt auf sein Stück Brennholz. Ihn quälten scheinbar ganz andere Sorgen. „Was mach ich jetzt damit? Ob Ihr in Eurer Küche wohl noch etwas zum Feuern gebrauchen könntet?“ 

 

 

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