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Als ich erwachte war es bereits weit nach Mittag. Die Sonne schien hell zu den großen Fenstern herein und erfreulicherweise brannten ihre Strahlen nicht in meinen Augen. Ich mußte ein paarmal blinzeln um mich an das Licht zu gewöhnen, aber alle Anzeichen meines Unwohlseins waren verschwunden.

 

Noch nicht ganz sicher, ob ich meiner wiedergewonnenen Gesundheit vertrauen konnte, setzte ich mich vorsichtig auf und lauschte in mich hinein. Alles blieb ruhig. Nur mein Magen verkündete zaghaft, daß er jetzt wieder etwas vertragen könnte. Ich tastete ihn prüfend ab und schüttelte den Kopf.

„Du mußt dich fürs Erste mit etwas Wasser begnügen, mein Freund.“

Ich hatte wirklich keine Lust, ihn zu überlasten, damit das Ganze nochmal von vorne losging.

 

Gähnend strampelte ich die Decke mit den Füßen in den unteren Bereich und schwenkte die Beine seitlich aus dem Bett. In diesem Moment öffnete die Tür sich lautlos und Elrond schwebte herein. Verzeiht mir diesen Ausdruck, aber genau so kam es mir vor. Er verursachte nicht das geringste Geräusch auf den Holzdielen und unter dem langen, fließenden Gewand war es unmöglich, seine Schritte zu sehen. Er lächelte. Väterlich. Ich blickte zu ihm auf und senkte befangen die Augenlider.

 

Hast du großartig gemacht, Elli! haderte ich mit mir selbst. Nicht genug, daß du dich vor halb Bruchtal blamiert hast. Mußtest dich auch noch vor IHM dermaßen bloßstellen! Was wird er jetzt von dir denken?!

 

>Daß du ein versoffenes, völlig unbedeutendes Menschlein bist, das seine Hilfe brauchte und an das er sich morgen kaum noch erinnern kann und das überhaupt nur, weil Elben niemals etwas vergessen<, erwiderte eine sarkastische Stimme in meinem Hinterkopf.

 

Mit einem kleinen Seufzer blies ich die Luft durch die Nase aus. Natürlich. Ich vergaß, daß ich nicht die Standard-Mary-Sue war, um die sich plötzlich ganz Mittelerde drehte.

 

Ich zupfte an meinem nun völlig verkrumpelten Kleid herum. Wenigstens trug ich es noch, so daß ich jetzt nicht nackt vor dem Fürsten saß. Ich errötete augenblicklich bei der bloßen Erwägung der Möglichkeit.

 

Dann erinnerte ich mich, daß es äußert unhöflich war, so schweigend herum zu sitzen. Also erhob ich mich noch ein wenig wackelig, zwang mir ein Lächeln auf und murmelte ein zaghaftes „Guten Morgen!“ da ein >Mae govannen< von meiner Seite aus irgendwie fehl am Platze gewesen wäre und ich mich nicht getraute, die Korrektheit eines >Maer aur< zu testen. Daß auch der deutsche >Morgen< inzwischen längst vergangen war, war von untergeordneter Bedeutung.

 

Elrond musterte mich einen kurzen Augenblick schweigend, mit vor dem Schoß gefalteten Händen. Schließlich neigte er kaum merklich das Haupt und seine vollendeten Lippen formten seinen wohlklingenden Willkommensgruß: „Mae govannen, Elanor!“

 

Ich verneigte mich plump und dachte über mein weiteres Verhalten nach. Natürlich fiel mir nichts Brauchbares ein. Was tat man in einer solchen Situation? Ich denke, nicht einmal wenn ich der elbischen Sprache mächtig gewesen wäre, hätte ich jetzt etwas sagen können. Also stand ich einfach nur dummlächelnd im Raum.

 

Glücklicherweise ergriff Elrond die Initiative. Er trat heran, tastete meine Stirn ab, wobei er die Augen schloß und auf etwas zu lauschen schien. Dann nickte er zufrieden und deutete mir mit einer Handbewegung an, mich zu setzen. Als ich zögerte, ließ er sich als erster auf der Bettkante nieder und legte zur besseren Verständlichkeit die flache Hand auf den Platz neben sich.

 

Meine Gedanken rasten. Weshalb war er hier? Womit hatte ich verdient, daß sich der Herrscher Bruchtals selbst um mich kümmerte? Gab es nicht genügend andere Heiler? Er wollte mit mir reden, erkannte ich messerscharf. Er wußte, weshalb ich hier war und vielleicht sogar woher ich kam. Irgend jemand hier mußte doch schließlich darüber Bescheid wissen. Radagast hätte mich sonst nicht hergeschickt und wäre dann einfach verschwunden, nicht wahr? Oder doch?

 

Fragend hob ich beide Augenbrauen und hoffte, daß ich seinen Ausführungen wenigstens halbwegs würde folgen können. Da keimte eine Hoffnung in mir auf. Radagast hatte unsere Sprache erlernt bevor er zur Erde gekommen war. Konnte etwa auch Elrond...?

 

Der Elbenfürst begann zu sprechen und ich spürte eine trostlose Leere da, wo eben noch die erwartungsvolle Ahnung gesessen hatte. Nein, er sprach Sindarin, zwar sehr langsam und betont, aber dennoch elbisch. Er bemerkte, daß ich nicht bei der Sache war, wartete eine Weile und wiederholte den Satz. Als ich verständnislos dreinblickte, wiederholte er ihn ein drittes Mal.

 

Er hatte mit Radagast gesprochen. Der Elb war im Düsterwald... – welcher Elb? Galvorn? – Er kam nach Bruchtal. Mußte... irgend etwas mußte er noch erledigen, glaubte ich verstanden zu haben.

 

Ich legte die Stirn in Falten. Der auch? Da kam ich extra nach Mittelerde und was geschah? Radagast mußte plötzlich fort, weil er was anderes vorhatte und mein hochverehrter Zukünftiger hatte ebenfalls etwas Besseres zu tun!

 

Schmollend schob ich die Unterlippe vor und verschränkte die Arme vor der Brust wie ein trotziges Kind. Wohl war ich mir bewußt wie unschicklich dies gerade einem Fürsten gegenüber war, doch siegte mein beleidigtes Ego. Und schließlich war er ja nicht mein Fürst, oder?!

 

Ich fuhr mit der Hand über die Stirn und schloß die Augen. Reiß dich zusammen, Elli, und laß deinen Unmut nicht an jemandem aus, der nichts dafür kann!

 

Konnte er das wirklich nicht? Nein. Galvorn war keiner seiner Untertanen. Er konnte ihm doch nicht befehlen, hierher zu kommen und selbst wenn er es gekonnt hätte, wieso hätte er es tun sollen? Es war nichts von Wichtigkeit - wenn man es aus Sicht der Großen und Bedeutungsvollen Mittelerdes betrachtete - und Elben hatten Zeit. Viel Zeit. Wieso sollte er sich solche Umstände mit jemandem wie mir machen. Wer war ich denn schon...

 

Ich lächelte entschuldigend, obwohl mein Herz sich zusammenkrampfte als wollte es aufhören zu schlagen.

 

>Er kommt<, mehr verstand ich nicht, doch ließ ich mich von der beruhigenden Stimme einlullen und fühlte mich bald ein wenig besser. Elrond wußte weshalb ich hier war. Galvorn würde kommen und auch Radagast hatte mir versprochen, bald zurück zu kehren. Dann würde sich alles klären, tröstete ich mich. Und dann würde ich diesem trödelnden Elblein einmal ganz gehörig meine Meinung vorgeigen! Der sollte bloß nicht denken, daß er mit mir so umspringen konnte! Ich war wild entschlossen, die Emanzipation in Mittelerde einzuführen!

 

Nach diesem einseitigen Gespräch bekam ich Elrond höchstens wieder im Speisesaal oder der Kaminhalle zu Gesicht, aber ohne daß er sich nochmals um mich bekümmerte. Ein Umstand der mich in sofern beruhigte als er bedeutete, daß ich kein zweites Mal in meine Trinksucht zurückfiel.

 

Als der Elbenfürst mich verlassen hatte beschloß ich, Bilbo zu besuchen. Ich legte ein anderes Kleid an, das die Schlichtheit des vorherigen sogar noch übertraf, ordnete meine Haare sorgfältiger als am Morgen und betrachtete mich kritisch im Spiegel. Die dunklen Schatten unter den Augen waren verschwunden. Dennoch glotzte mich das Gesicht blöde an. Ich hatte nämlich keine Ahnung, wie ich den Weg zu Bilbos Zimmer finden sollte. Schließlich konnte ich nicht gut drauf los gehen und darauf vertrauen, daß ich mich in der selben Weise verirren würde wie gestern Nachmittag, oder daß er mir auf einem anderen Weg wieder mit einem geschmuggelten Verpflegungstablett entgegenkam.

 

Ratlos öffnete ich die Tür und trat hinaus auf den Gang. Er war menschenleer... Ich biß mir auf die Zunge, auch wenn die diesmal unschuldig war, denn ich hatte den Gedanken nicht ausgesprochen. Von mir aus war er auch elbenleer oder hobbitfrei oder einfach nur verlassen.

 

Da kam mir die Idee vom Balkon aus nach Bilbos Terrasse zu forschen. Ich klopfte mir stolz auf die Schulter und machte auf dem Absatz kehrt.

 

Als ich ins Freie trat hörte ich das leise Klirren von Geschirr und Besteck hinter mir und fuhr erschrocken zusammen. Mußten diese Elben alle so herumschleichen? Es war Liriel, die mir etwas zu essen brachte, was eine starke Ähnlichkeit mit Kamillentee und Zwieback hatte. Dabei grinste sie mich unverhohlen an.

 

„Nein, bitte, sag nichts!“ wehrte ich mit beiden Händen ab und trat heran. Ich schnupperte an der großen Tasse. Das roch auch nach Kamillentee.

„Kannst du mich zu Bilbo bringen?“ erkundigte ich mich.

„Bilbo?“ Sie lachte glockenhell, fügte irgendeine freundschaftliche Hänselei hinzu und zeigte demonstrativ auf die trockenen Kekse.

„Nein, so mein ich das nicht!“ Ich grinste schief und drehte die Augen zur Decke. Bezeichnend biß ich eine kleine Ecke ab und kaute genüßlich darauf herum. Hmmm, gar nicht mal schlecht!

 

„Ich möchte ihn besuchen.“ Besuchen... zu ihm gehen... pada-... Aníron padad na Vilbo? Ich zog die Luft scharf durch die zusammengebissenen Zähne und rieselte mich. Lieber nicht. Besser versuch ich das nochmal mit der Gebärdensprache.

 

Diesmal diente das Fußteil des Bettrandes als Unterlage für meine wandernden Finger und auch Liriel verstand meine Frage problemlos. Na also! Sie nickte, zeigte nochmal auf das Tablett was soviel heißen sollte wie: Erst aufessen und -trinken und dann werde ich dich zu ihm führen.

 

Nun, damit konnte ich leben. Ich hockte mich im Schneidersitz auf mein Bett und leerte brav Teller und Tasse. Die schöne Elbin sah mir dabei zu und lächelte anzüglich. Was erwartete sie? Das ich mich wieder übergeben mußte? Mißtrauisch schielte ich sie an, was ihre Heiterkeit noch erhöhte.

 

„WAS?“

 

Sie fing an zu kichern und erzählte irgend etwas von... Lindor?

Ich schrie innerlich auf. Äußerlich begnügte ich mich mit einem genervten Brummen. Ich wollte jetzt endlich wissen, was gestern Abend geschehen war!

 

Möglichst gelassen schob ich den Rest des angefangenen Kekses in den Mund und fragte wie beiläufig: „Lindor?“

 

Sie hielt sich die flache Hand an den Mund und gluckste wie ein pubertierender Teenager. Also wirklich, Liriel! Selbst wenn du nicht älter bist als du aussiehst, bist du nur wenig jünger als ich! Allerdings konnte ich mich auch oft sehr kindisch benehmen, mußte ich mir eingestehen und bemühte mich weiterhin die Ruhe zu bewahren.

 

„Kannst du mir erklären, was das alles soll? - Pelig...-lil...nin... - öhm...“, frustriert schnippte ich einen Krümel über das zusammengestauchte Federbett.

 

Oh ja, sie konnte! Und wie sie konnte! Lachend sprudelte sie die ganze Geschichte hervor. Erklärte sie ausführlicher, als ich sie eigentlich wissen wollte, nur... Danach war ich genauso schlau wie zuvor.

 

„Liriel, bitte! Geht das auch etwas langsamer?“ Ich bremste mit beiden flach nach unten gehaltenen Händen ab. „Lang-sa-mer. Bit-te!“

 

Lindor hatte mich in mein Zimmer getragen. Gut, jetzt war ich so weit wie vorher. Und dann? Ich schüttelte den Kopf zum Zeichen, daß ich nicht verstand. Liriel bedeutete mir zu warten und trat an die Tür. Ich verfolgte jede ihrer Bewegungen mit der größten Aufmerksamkeit.

 

Sie ging hinaus und als die Tür sich wieder öffnete, imitierte sie kabarettistisch übertrieben wie der Elb mich hereintrug. Sie blieb gleich vorne stehen und stellte mich auf die Füße, hielt mich an den Schultern fest, da ich offensichtlich ganz fürchterlich schwankte... Ich zog eine Grimasse - damit meine ich natürlich MICH und nicht mein pantomimisches Gegenstück. Der Liriel-Lindor sprach beruhigend auf mich ein und versuchte mich zum Bett zu geleiten und... warf den Kopf zur Seite? Häh? Was?

 

Nochmal von vorne. Ich verstand gar nichts, bis Liriel sich neben mich setzte, meine Hand ergriff, sie sich an die Wange legte und den Kopf in der selben Weise noch einmal herumruckte, unterstützt von einem leidenden Aufschrei, der erstaunlich nahe nach einem >Autsch!< klang.

 

„Ich habe Lindor eine geklebt?“ vergewisserte ich mich. Meine Mundwinkel zuckten verdächtig. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Liriels Nicken belehrte mich vom Gegenteil. Doch. War es. Lindor hatte mich auf mein Zimmer getragen und zum Dank dafür hatte ich ihm eine Ohrfeige verpaßt!

 

Armer Lindor! Ich kämpfte vergeblich um ein wenig Mitleid für den geschundenen Elben und platzte endlich heraus wie Gas aus einem aufgepieksten Luftballon. Ich konnte einfach nicht anders. Ich lachte, daß ich glaubte meine Lunge müßte auseinanderbrechen. Zwischendurch japste ich förmlich nach Atem und mein Magen war von dieser Behandlung ebenfalls nicht angetan. Aber immer wenn ich dachte, ich hätte mich wieder unter Kontrolle, fiel mein Blick auf die ebenfalls um Fassung ringende Elbin und der Anfall begann von Neuem.

 

„A-a-uu!“ Ich hielt mir den Bauch und jaulte kläglich. Ich versuchte das Bild, welches sich vor mein inneres Auge zu schieben drohte, zu verscheuchen. Das würde alles nur noch schlimmer machen.

 

„Wie habt du und Bilbo eigentlich davon erfahren?“ wagte ich nach einer ausgiebigen Ruhepause zu fragen. „Er hat euch das doch nicht freiwillig erzählt, oder?“ Augenblicklich begannen meine Mundwinkel wieder zu zucken und ich blies ein paarmal die Luft in kurzen, energischen Stößen aus, wie eine werdende Mutter unter den Geburtswehen. Das half erstaunlich gut und ich atmete einmal tief durch. Der Lachreiz war verschwunden.

 

„Du“, ich zeigte mit dem Finger auf sie, „und Bilbo“, ich hob unwissend die Schultern, „woher wißt ihr das?“ Ista-, ista-... ach, Mist! Ich sollte irgendwo Unterricht nehmen und zwar dringend!

Die Schöne betrachtete mich mit schiefgelegtem Kopf. Natürlich verstand sie nicht.

 

Entgegen meiner inneren Überzeugung rang ich mich jetzt doch dazu durch, irgend etwas zusammenzubasteln. Es fiel mir schon unter normalen Umständen schwer, mich in einer Fremdsprache auszudrücken. Also dann, wenn ich mir ziemlich sicher war, daß das, was ich sagen wollte, korrekt war. So war es mir zum Beispiel gelungen zwei Wochen lang mit ein paar Freunden quer durch Israel zu trampen, wo uns Englisch als einzige Verständigungssprache gedient hatte, ohne auch nur ein einziges Wort Englisch zu sprechen. Und das obwohl mir das selbst mit meinem popeligen Schulenglisch durchaus möglich gewesen wäre und darüber hinaus die Einheimischen meine Fehler höchstwahrscheinlich nicht einmal bemerkt hätten.

 

Ich setzte mich aufrecht hin und überlegte. Erstes Problem: „woher“. Als einziges attestiertes Fragewort hatten wir: „man - was“. Dann hatte ich noch die konstruierten: „mas - wo“ und „mar - wann“, anzubieten. Und nu?

 

Dann eben hinten herum. Woher... Von welchem Ort! „sad - Ort“. „man sad - was Ort“ oder mit viel gutem Willen: „welcher Ort“. Dann noch eine kleine Präposition davor. Ich rümpfte unzufrieden die Nase als ich bemerkte, daß mein „von welchem Ort“ bestenfalls als örtliches „woher“ durchging. In meinem Fall half mir das gar nichts.

 

Ein abstraktes „woher“... Mußte ich das auf Quenya überhaupt erst versuchen? Nein, mußte ich nicht, entschied ich und gab die Mission gescheitert. Zumindest konnte niemand behaupten ich hätte es nicht wenigstens versucht. Zugegeben, der Versuch war sehr mager und halbherzig ausgefallen, aber es war immerhin ein Versuch und meine Trägheit erlangte die Oberhand über meinen guten Vorsatz.

 

Blöderweise verlangte es mich noch immer zu erfahren, woher die beiden wußten, was gestern Abend hier vorgefallen war. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß Lindor ihnen von seinem schmählichen Rauswurf erzählt hatte, auch wenn ich ihm keinesfalls unterstellen wollte, daß er etwas anderes beabsichtigt haben könnte, als mich wankendes Bündel bis zu einem der stabilen Bettpfosten zu stützen. Wenn überhaupt dann war der Fehler ohnehin bei mir zu suchen. Wie fast immer.

 

Also nochmal die Gestikulierungs-Variante. Wiederum mit dem gleichen Mißerfolg.

 

Ich ächzte und warf die Arme hoch. Und meine Neugierde besiegte sogar noch meine Trägheit.

„O man sad...“ Hatte ich da eine Mutation vergessen? Wurscht. „... istar Bilbo a le oh...” Ich machte eine schlagende Bewegung und schürzte die Lippen. Das klang fürchterlich!

 

Liriel legte den Kopf leicht schief, dachte sichtlich angestrengt nach, lachte vergnügt auf und erklärte mit leuchtenden Augen die Situation.

 

Nach? Hinter? Hinter.

 

Ihr seid uns gefolgt?

 

Ein bestätigendes Nicken.

 

Sie waren uns gefolgt! Was hatte das werden sollen, bitteschön? Gleich zwei Anstandsdamen auf einmal? Eine für die Dame und einer für den Herrn? Ich starrte sie entgeistert an und wußte nicht, ob ich darüber beruhigt, amüsiert oder verärgert sein sollte.

 

Schließlich siegte aber doch mein angeborener Humor und ich begann zu kichern, erleichtert darüber, daß sich alles so einfach und züchtig gelöst hatte. Natürlich war mir nicht ganz wohl bei der Überlegung, daß ich Lindor spätestens beim Abendessen wieder begegnen mußte, aber irgendwie beruhigte mich der Gedanke, daß zumindest das Ende unseres gestrigen Zusammenseins für ihn nicht weniger peinlich gewesen war. Ich grinste breit.

 

Ein Blick in Liriels Gesicht zeigte mir, daß ich in ihr eine Verbündete gefunden hatte. Sie mochte den Elben, das war klar und es bereitete ihr Vergnügen, ihn zu ärgern, das war mir bereits gestern Abend aufgefallen und ihr heutiges Verhalten bestärkte mich in dieser Annahme. In welchem Verhältnis sie wohl zueinander standen. Vielleicht war sie seine Geliebte? Das würde erklären, warum sie uns gefolgt war. Bilbo traute ich nämlich durchaus zu, einfach neugierig gewesen zu sein.

 

Dann fiel mir die Gleichartigkeit ihrer Namen auf. „lîr“ und „lind“. Das hatte beides was mit „Lied“ zu tun. Natürlich!

 

„Ist er dein Bruder? Lindor, meine ich. Ist er... tôr lîn?“

Nein? Hm, ich hätte schwören können... Aufmerksam studierte ich ihre Gesichtszüge. Sie lächelte und zeigte dabei ebensolche tadellos weißen Zähne, die mir schon bei ihrem Namensverwandten aufgefallen waren. Die hatten wie es aussah alle Elben. Meine eigenen Beißerchen fielen mir ein. Die waren im Moment das einzige an mir, das sich nicht so gut anfühlte.

 

Liriels Antwort auf meine Frage riß mich aus meinem Sinnen. Nein, bestätigte sie noch einmal amüsiert. Lindor war nicht ihr Bruder. Er war ihr... Vater?! Verblüfft staunte ich sie an. Damit hatte ich nicht gerechnet. Er sah um keinen Tag älter aus als sie! Daran mußte ich mich jetzt erst einmal gewöhnen...

 

~*~

 

 

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