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Natürlich wußte ein richtiger Hobbit auch, wann es Zeit fürs Abendessen war und vor allem, wo dies eingenommen wurde. Irgendwann warf Bilbo einfach einen Blick zur Sonne, sprang mit einer Bemerkung, die wie >oh, es ist soweit< klang, auf und ergriff meine Hand um so lange daran herumzuziehen, bis ich mich ebenfalls erhob und ihm bereitwillig folgte.

 

Unterwegs ließ Bilbo meine Hand erst gar nicht wieder los und so lief er beinahe wie ein Kind neben mir her, obwohl tatsächlich er es war, der die Führung inne hatte. Dabei erzählte er unentwegt munter drauf los und obwohl ich diesmal keine Ahnung hatte, wovon er redete, fühlte ich mich doch glücklich dabei, einfach seine Stimme zu hören. Eine warme und freundliche Stimme, die mir einen Teil meiner Einsamkeit nahm.

 

Ich würde seine Sprache so bald wie möglich lernen müssen – nein, lernen wollen – und ich machte mir Gedanken darüber, wie ich diesen Vorsatz am besten in die Tat umsetzen könnte. Ob es hier in der Bibliothek eine Grammatik und ein Wörterbuch >Westron< gab? Bestimmt, ermutigte ich mich, ob ich jedoch mit den Tengwar und den zweifellos elbischen Übersetzungen klarkommen würde...

 

Bilbos Schweigen ließ mich zu ihm herabblicken. Er sah mich mit großen traurigen Augen an. Ich lächelte schwach. Er war wirklich ein sehr einfühlsames Männchen und hatte meinen Stimmungswandel sofort bemerkt.

 

„Erzähl weiter!“ bat ich in aufforderndem Ton, dem er sogleich freudestrahlend Folge leistete. Ich schmunzelte. Einen Hobbit konnte wirklich nichts lange wehleidig stimmen. Es lag nicht in ihrer Natur. Zumindest nicht in der meines neuen Freundes.

 

Als wir eine Weile gegangen waren, belebte sich der Gang langsam. Zuerst sah ich, nachdem wir um eine Ecke gebogen waren, zwei Elben einige Meter vor uns der gleichen Richtung zustreben. Dann kam jemand hinter uns links aus einem Zimmer, dann ein anderer von rechts aus einem Seitengang und so ging es weiter, je näher wir dem Speisesaal kamen. Unwillkürlich rückte ich näher an Bilbo heran und drückte seine Hand fester. Ein lächerliches Gebaren eigentlich wenn man bedenkt, daß der gute Hobbit vielleicht halb so groß war wie ich. Bilbo jedoch schien vollstes Verständnis für meine Scheu zu haben und tätschelte mir aufmunternd mit der freien Hand die meine.

 

Während wir in der immer dichter werdenden Masse – sofern man die grazilen Elben als solche bezeichnen konnte – dahin gingen, fiel mir auf, daß jeder meinen kleinen Begleiter grüßte. Einer durch ein nettes Wort, einer durch das Heben einer Hand, wieder ein anderer zwinkerte ihm schelmisch zu oder lächelte ihn an. Bilbo war zweifellos sehr beliebt, was mich nicht wirklich verwunderte.

 

Mich betrachteten sie neugierig aber nicht unfreundlich und schienen von meiner Anwesenheit weder besonders erstaunt noch beeindruckt zu sein. Bruchtal war ein gastliches Haus. Es war wohl nicht ungewöhnlich, daß Fremde hierher kamen, selbst wenn sie Menschen waren.

 

Endlich hatten wir unser Ziel erreicht. Durch ein Tor, dessen Flügel beide weit geöffnet waren und zum Hereinkommen einluden, gelangten wir in einen großen Saal. Unwillkürlich blieb ich stehen um zu staunen. Trotz seiner Größe und der Höhe seiner Decke wirkte dieser Raum irgendwie heimelig. Eine Längsseite wurde, ebenso wie in meinem und Bilbos Zimmer, von einer langen Fensterflucht eingenommen, durch die die tiefstehende Sonne ihre letzten Strahlen hereinsandte. Die bunten Deckenornamente konnte ich im Vorbeigehen nicht betrachten und auch den prächtigen Wandbehängen schenkte ich nur einen flüchtigen Blick. Es gab zwei lange parallel verlaufende Tischreihen, an deren äußeren Seiten Stühle aufgereiht waren, so daß die daran Sitzenden sich gegenseitig ansehen konnten.

 

Der Saal war so weitläufig, daß ich den Kopf einmal ganz herumwenden mußte, um Anfang und Ende der Reihen zu erfassen. Wie in einem Bann gefangen sah ich die Elben an mir vorbeiströmen und die Stühle besetzen und sicher wäre ich noch länger stehen geblieben, hätte Bilbo mich nicht ungeduldig an der Hand gezupft.

 

Er führte mich an einen Platz, der ganz offensichtlich für ihn bereitet war, denn darauf lagen drei dicke Kissen, um bei seiner geringen Körpergröße die Sitzhöhe anzugleichen. Alle übrigen Stühle an diesem Tischabschnitt waren bereits besetzt, was mich veranlaßte, meinen Schritt zu verlangsamen und etwas befangen die Reihe nach einem freien Fleckchen abzusuchen. Noch bevor ich richtig realisierte, was mein kleiner Führer beabsichtigte, hatte dieser jedoch den Elben zu seiner Rechten angesprochen und ihn überredet, mir seinen Platz abzutreten. Ich errötete, als er sich ganz selbstverständlich erhob und mir den Stuhl zurechthielt. Mein halbherziger Protest wurde von dem mich kameradschaftlich vorwärtsstupsenden Bilbo und dem auffordernd lächelnden Elben untergraben. So saß ich kurz darauf an der reich gedeckten Tafel, ohne zu wirklich zu wissen, wie ich dorthin gelangt war.

 

Das Essen bestand aus einer Palette bunter Früchte, köstlich zubereiteten Salaten und frischem duftendem Brot. Mir lief augenblicklich das Wasser im Mund zusammen, obwohl ich zuvor keinerlei Hungergefühl verspürt hatte. Dennoch wagte ich erst gar nicht zuzugreifen, selbst als alle um mich herum sich bereits fleißig bedienten. Ich überlegte gerade, ob ich mir nicht einfach einen Apfel mit auf mein Zimmer nehmen sollte, wo ich ungestört und vor allem ungeniert hineinbeißen konnte.

 

Aber da hatte ich meine Rechnung ohne den fürsorglichen Hobbit gemacht. Als dieser bemerkte, daß ich so gar keine Anstalten machte, etwas Eßbares auf den goldumrandeten, porzellanartigen Teller zu packen, besorgte er dies kurzerhand für mich. Mit raffinierten Gesten und Beschreibungen, die wahrscheinlich jeden gelernten Ober eines Nobelrestaurants in den Schatten gestellt hätten, tischte er mir jene Sorten auf, die ihm selbst am schmackhaftesten erschienen, und die ich demnach unbedingt versuchen sollte.

 

Das ganze wirkte so unbeschreiblich drollig, daß ich herzlich auflachen mußte. Wir standen jetzt im Mittelpunkt der nachbarlichen Aufmerksamkeit. Die zuvor halblaut geführten melodischen Gespräche um uns herum brachen ab und wir ernteten amüsierte Blicke. Doch ich fühlte mich ganz gegen meine Natur nicht peinlich berührt. Hauptsächlich wohl weil ich erkannte, daß nicht ich diejenige war, die für die Erheiterung der edlen Gesellschaft sorgte.

 

Mein Tischnachbar zur Rechten - ein dunkelhaariger Elb mit Namen Galion - machte einen Scherz, der nur soviel wie >typisch Hobbit< heißen konnte, woraufhin die Nächstsitzenden in lustiges Kichern ausbrachen und plötzlich fühlte ich mich, als wäre ich offiziell in eine große Familie aufgenommen worden.

 

Dieses Glücksgefühl wirkte sich äußerst positiv auf meinen Appetit aus und als ich mich endlich mit leicht gewölbtem Bäuchlein zurücklehnte, konnte ich behaupten, dem Herrn Hobbit nichts schuldig geblieben zu sein. Der klopfte mir denn auch ganz leutselig auf die Schulter und brachte mit einem unterdrückten Rülpsen seine Zufriedenheit zum Ausdruck.

 

Inzwischen waren einige der Elben bereits hinausgegangen, andere saßen noch an ihren Plätzen und unterhielten sich. Ein paar wenige waren tatsächlich noch mit Essen beschäftigt. Nun, höchstwahrscheinlich hatten sie die leckeren Sachen auch nicht so in sich hineingestopft wie ich. Ich lächelte schwach, nahm noch einen kräftigen Schluck aus meinem Weinkrug und erhaschte Bilbos erstaunten Blick.

 

„Tja, Kleiner“, lachte ich, da ich wußte, daß er mich ohnehin nicht verstand, „als Winzertochter verträgt man so einiges.“

 

Ich grinste schon nicht mehr ganz nüchtern, weil ich genau wußte, daß tatsächlich das Gegenteil der Fall war. Dies mußte mein letztes Glas für heute bleiben, wenn ich verhindern wollte, daß mich nachher jemand auf mein Zimmer tragen und ich am nächsten Tag einen fürchterlichen Kater auskurieren mußte.

 

„Wo gehen die alle hin?“ Ich lief mit zwei Fingern über die Tischplatte und winkte mit dem Kopf zwei Elbenmädchen hinterher, die sich soeben nebenan erhoben. Hey, in spätestens zwei Wochen würde ich meinen Meister der Gestik und Mimik machen!

 

Bilbo gab sich die größte Mühe, es mir gleichzutun, aber die Antwort war wohl ein wenig zu komplex. Nach einem ausladenden Armrudern durch die Luft, einem Fingerzeig auf seine Ohren, verbunden mit einem verklärten Gesichtsausdruck, und einem ungeduldigen Herumhopsen auf den dicken Kissen, was den Stapel ganz gehörig ins Wanken und um ein Haar zum Einsturz brachte, beschloß er, es mit der anschaulichen Methode zu versuchen und winkte mir, ihm zu folgen.

 

Ich bemerkte noch, wie ein paar dienstbare Geister begannen die lange Tafel abzuräumen, dann konzentrierte ich mich darauf, meinem kleinen Führer nicht auf die Füße zu treten oder über einen noch besetzten und deshalb weiter zurückstehenden Stuhl zu stolpern. Es war inzwischen Nacht und unstetes Fackellicht erhellte den Speisesaal, ich bekam die üblichen Sehprobleme und hatte wiederum keine Gelegenheit mir die Wandbehänge zu betrachten, die sich während des Essens in meinem Rücken befunden hatten.

 

Ich fragte mich, wie spät es wohl sein mochte und hob in einer lange einstudierten Geste das linke Handgelenk, nur um gleich darauf in ein paar deftige Schimpfworte über Radagast und seine Einfälle auszubrechen. Gab es denn keine Uhren in Mittelerde? Es mußte ja keine Armbanduhr sein. Ich wäre schon glücklich darüber gewesen irgend etwas halbwegs Handliches mit mir herumtragen zu können. In dieser Situation wurde mir erstmals klar wie abhängig man von solch primitiven Gegenständen sein konnte, denen man sonst kaum bewußt Beachtung schenkte.

 

Während ich noch über eine Möglichkeit der Rehabilitation für unterdrückte Gebrauchsgegenstände meditierte, stolperte ich über einen Treppenabsatz, den ich beim Fackelschein oder vielleicht auch aufgrund meiner Tagträumerei nicht gesehen hatte und wäre der Länge nach hingefallen, wenn nicht jemand zu meiner Rettung herbei gesprungen wäre. Ehe ich wußte wie mir geschah, spürte ich zwei kräftige Hände unter meinen Achseln, die mich wieder auf die Füße stellten und fand mich aufblickend einem dieser überirdisch schönen Wesen gegenüber. Er lächelte charmant und wandte sich mit meinem freundlichen Nicken ab.

 

Ich hingegen glotzte nur verdattert und schlug mir nach mehreren Schrecksekunden im Geiste mit der flachen Hand auf die Stirn.

 

„Ähm, danke!“ flüsterte ich leise und viel zu spät und wunderte mich deshalb doppelt, als der Elb sich noch einmal umdrehte und leicht den Kopf zum Zeichen des Verstehens neigte. Dabei hatte ich außerdem deutsch gesprochen! Ich blinzelte ein paarmal um die Benommenheit von mir abzuschütteln.

 

Jetzt erst sah ich mich um und erkannte, daß der Stolpertritt in eine geräumige Kaminhalle führte, die in das warme Licht des prasselnden Feuers getaucht war.

 

Ihre Ausstattung bestand aus vielen kleinen und größeren Sitzgruppen, die durch sich um Säulen und Geländer rankende oder in steinernen Kübeln stehende Pflanzen voneinander getrennt wurden. Bei der Anordnung schien man großen Wert darauf gelegt zu haben, kleine separate Bereiche zu schaffen, die eine gewisse Diskretion erlaubten, ohne dabei auszuschließen. Die Mitte des Raumes nahm eine freie ovale Fläche ein, deren Holzboden besonders blank und glänzend war.

 

Aufgrund der fehlenden Fenster vermutete ich, daß dieser Saal einzig nach Anbruch der Dunkelheit genutzt wurde. Ich runzelte leicht die Stirn. Keine Fenster? Und das, wo Elben doch die Sterne so sehr liebten? Ergab das einen Sinn?

 

Nein, natürlich nicht, weshalb ich noch einmal genauer hinsah.

 

War das an der gegenüberliegenden Wand tatsächlich ein riesiges, dreiteiliges Gemälde? Meine Augen gebannt darauf fixiert, wanderte ich durch die Halle und bemerkte dabei nicht, daß ich den kleinen Hobbit neben mir herzog, der noch immer meine Hand hielt.

 

Je näher ich des Rätsels Lösung kam, desto größer wurden meine Augen. Die beiden äußeren Teile dieses Kunstwerks waren zusammengenommen etwa so groß wie das mittlere und zeigten je einen der beiden Bäume Valinors. Das hatte ich bereits von Weitem erkannt. Das dritte jedoch war tatsächlich eine Öffnung, durch die das Licht der unzähligen Sterne hereinfiel! Sie war bewußt in ihrer Höhe und durch den einfassenden Rahmen an die Gemälde angepaßt, so daß ich eine ganze Weile brauchte, bis ich mir sicher war, keiner Illusion zu erliegen. Was diesmal ausnahmsweise nicht an der fehlenden Brille lag, wie mir Bilbos schmunzelnder Blick verriet, mit dem er mich von unten herauf ansah.

 

„Das ist wunderschön!“ hauchte ich andächtig. Vorsichtig trat ich zu Telperions Abbild, hob die Hand, um das glänzende Garn zu berühren und ließ sie gleich darauf wieder sinken, ohne mein Vorhaben auszuführen. Es kam mir vor wie eine Entheiligung.

 

Zögernd wandte ich mich ab und ließ meine Augen über den Saal gleiten. Es dauerte etwas, bis ich ein paar vertraute Gesichter ausmachen konnte.

 

An einem zentral gelegenen Tisch saßen die beiden Zwillinge und unterhielten sich angeregt mit einer dunkelhaarigen Schönen. Der vierte Elb in der Runde hatte ebenfalls glänzende schwarze Haare und sah den Elrondsöhnen so ähnlich, daß er nur ein naher Verwandter sein konnte. Aber ich mochte mich irren. Sie saßen zu weit entfernt.

 

An einem anderen Tisch erblickte ich Liriel, getraute mich jedoch nicht, mich zu ihr zu gesellen. Sie war von einigen Freundinnen umgeben und ich wollte mich nicht aufdrängen.

 

Ganz in der Nähe stand mein edler Retter. Er sprach mit einem Elben, der mir den Rücken zugekehrt hatte, weshalb ich nicht sein Gesicht, sondern nur die leuchtenden, goldblonden Haare sehen konnte. Sie fielen in leichten Wellen beinahe bis auf seinen Gürtel hinab. Ob das Glorfindel war? Ich verspürte ein Kribbeln in den Füßen, bezwang aber mit Mühe den Drang hinzugehen und mich zu überzeugen. Ich würde mich bestimmt nur lächerlich machen und es schickte sich sicher nicht, ihn einfach anzusprechen. Außerdem durfte ich ihn ja gar nicht kennen. Leider. Ob die beiden über meine Ungeschicktheit so herzlich lachten? Ich schüttelte energisch den Kopf. Ein unbedeutendes, unscheinbares Menschlein stolperte über ein Stufe. Wie kam ich nur auf den Gedanken, ihr Gespräch könnte sich um mich drehen. Unfug!

 

Der Angehörige der elrondschen Sippe erhob sich und sagte irgendwas zu einem Elben, der mit einer Harfe in Händen den Platz in der Mitte des Raumes betreten hatte. Ich beachtete es kaum und fing statt dessen an zu grübeln. Wieso hatte Radagast mich nach Bruchtal schaffen wollen? Das hatte er doch gesagt, nicht wahr? Was sollte ich hier? War Galvorn zu Besuch in Bruchtal? Wenn ja, wer mochte es sein? Ratlos sah ich mich um und entdeckte, daß viele der Anwesenden schwarze oder braune Haare hatten. Genaugenommen alle bis auf einen. Den Goldblonden. Na toll. Glorfindel hatte ich somit fast mit Sicherheit ausgemacht. Aber an anderer Stelle kam ich mit diesen Beobachtungen nicht weiter.

 

Ich beschloß, einfach den kleinen Mann an meiner Seite zu fragen, doch als ich niedersah, war Bilbo verschwunden. Ich hob verwundert eine Augenbraue – dieses Manöver beherrschte ich nämlich beinahe so gut, wie der Elrond in meinen eigenen Geschichten. Mich einfach so stehen zu lassen sah ihm irgendwie gar nicht ähnlich. Wo war er hin?

 

Verloren stand ich vor dem prächtigen Wandbehang, als erst leise, dann sanft anschwellende Harfenklänge an meine Ohren drangen. Der Gesang setzte ein und ich stand wie verzaubert.

 

Dunkel erinnerte ich mich an ein Interview mit der Arwen-Darstellerin – ich glaube, es war auf irgend einer Zusatz-DVD der Special-Extended-Edion zu finden – in dem sie erklärte, daß sie recht tief hatte sprechen müssen, weil damit ihr ungeheures Alter und ihre Weisheit hatten zum Ausdruck kommen sollen. Tolkien hingegen hatte geschrieben, daß die Hobbits bei ihrem ersten Zusammentreffen mit Glorfindel zuerst an seiner hellen, klaren Stimme erkannten, daß er ein Elb war. Mir war es immer schwergefallen, eine hohe Stimme mit einem Mann in Verbindung zu bringen, noch dazu mit einem so außergewöhnlichen Krieger, den ich obendrein abgöttisch verehrte.

 

Nun, was soll ich sagen... Tolkien hatte natürlich recht. Und ich lernte den Unterschied zwischen hell und hoch kennen. Es war eben keine feminine Fistelstimme, die zu dem verspielten Anschlag der Saiten erklang. Die Töne erschallten glockenhell und rein, aber dennoch irgendwie männlich. Elbisch halt. Wie gebannt lauschte ich seinem Lied und stand noch unbeweglich als es längst geendet hatte.

 

„Elanor!“ Bilbo tauchte neben mir auf und winkte mich zu sich heran. In seinen Augen funkelte der Schalk. Hinter seinem Rücken verbarg er etwas. Es wäre mir ein Leichtes gewesen, über ihn hinwegblickend sein Geheimnis zu lüften, aber ich wollte ihm den Spaß nicht verderben. Er lotste mich zu einem der Tische, an dem er offensichtlich einen Platz für uns beide freigehalten hatte.

 

Vier männliche und zwei weibliche Elben saßen daran. Ich wußte noch immer nicht, ob es korrekt Elbe oder Elbin heißen mußte. Ein Umstand, der mich spontan zu stören begann, obwohl es sich eigentlich völlig gleich blieb wie ich in meiner Heimatsprache sagte, die hier ohnehin niemand verstand. Also entschied ich mich für die „in“-Form, da ich nicht ständig an einen deutschen Fluß erinnert werden wollte.

 

Als ich näher kam, erkannte ich in einem der Männer meinen Führer von heute Nachmittag. Ich grinste ihn unbeholfen an. Er entblößte zwei Reihen tadellos weiße Zähne und stellte mich den Anwesenden vor. Es fiel mir schwer, die leisen Worte bei der Hintergrund-Kulisse zu verstehen, weshalb ihre Namen meiner Kenntnis fürs erste verborgen blieben. Ich getraute mich aber nicht, nachzufragen. Nickte nur schüchtern und setzte mich.

 

Bilbo schob triumphierend eine große silberne Platte auf den Tisch, bevor er sich ebenfalls zu seinen rasch zurechtgeschobenen Kissen hinauf hangelte.

 

Das durfte nicht wahr sein!

„Sag bloß, du hast schon wieder Hunger?“ platzte ich heraus.

>Hobbits haben immer Hunger<, schien mein Nebenmann zu sagen und lächelte nachsichtig.

 

Bilbo erwiderte nichts, mopste sich eines der leckeren Plätzchen und schob mir kauend das Tablett zu. Ich hob abwehrend beide Hände. „Danke, nein! Ich kann nicht mehr!“ was nicht weiter schlimm war. Bilbo rückte dem appetitlichen Berg auch ohne meine Hilfe erfolgreich zu Leibe. Ich weiß, daß man essende Leute nicht anstarren soll, aber es fiel mir ehrlich schwer, meine Augen von ihm zu nehmen. Es war einfach faszinierend, was das kleine Männchen alles verdrücken konnte.

 

Inzwischen hatte ein weiterer Elb in der Mitte des Saales sein Gedicht beendet und ein Pärchen trat vor, um ein Lied zu singen. Im Laufe des Abends wechselten die Vortragenden einander ab. Meine Tischnachbarn plauderten angeregt, Bilbo leerte die Keksplatte und warf nur hin und wieder eine Bemerkung ein.

 

Trotz meines - zugegebenermaßen geringen - Widerstandes hatte mir mein Führer einen Krug schweren roten Weines aufgenötigt. Ich verhielt mich still, genoß die vielfältigen Klänge und Stimmen um mich herum und obwohl ich von der Unterhaltung kaum zwei zusammenhängende Worte verstand, fühlte ich mich dennoch auf seltsame Weise einbezogen. Nie zuvor hatte ich mich in einer großen Gesellschaft so wohl gefühlt. Ich lehnte mich zufrieden seufzend zurück und grinste in mich hinein.

 

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