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Ich genoß die späten Morgenstunden auf meinem sonnenumfluteten Balkon. Genoß es, einfach faul herumzusitzen und nicht arbeiten zu müssen. Keine Kühe zu melken, keine Eier einzusammeln, keine Obstbäume abzuernten. Keine ’Neth, die mich in aller Herrgottsfrühe in meinen Träumen gestört hatte und niemand, der von mir verlangte, irgend etwas zu tun.

 

Wohlig räkelte ich mich auf meinem Stuhl. Vom entfernten Übungsplatz klang verhalten das Klirren der Schwerter und im Rosenbusch neben mir summte und surrte es von Dutzenden emsiger Bienen. Sogar die kleinen Honigsammler verstärkten hier nur die Friedlichkeit des Ortes und ließen keinen üblen Gedanken an wilde Verfolgungsjagden, panische Flucht und reißende Flüsse zu.

 

Unten gingen ein paar Elben vorbei; bestrebt, die Stille nicht durch laute Worte zu entweihen.

 

Dieses süße Nichtstun hielt ich ungefähr den vierten Teil einer Stunde aus. Dann rutschte ich erst unruhig auf meinem Sitzplatz herum und stand schließlich auf. Der Blick über das Tal war berauschend schön. Mein Zimmer ging nach Osten raus und ich hatte eine herrliche Aussicht auf das Nebelgebirge, das majestätisch gleich hinter der gegenüberliegenden Gebäudereihe emporragte. Die Gipfel leuchteten hellweiß vom Ewigen Eis.

 

Ich beschloß, zum Übungsplatz hinüber zu gehen. Sicher würde ich Glorfindel dort antreffen – er war ziemlich oft da. Wenn er nicht selbst trainierte, schulte er seine Krieger. Und es war nur recht und billig, wenn ich mich endlich für sein großzügiges Geschenk bedankte.

 

Wenn er dort war, war Liriel auch nicht weit. Vielleicht gelang es mir, sie zu einem Spaziergang zu überreden, überlegte ich. Außerdem konnte sie mir möglicherweise verraten, welche Laus ihrem Bruder über die Leber gelaufen war. Das bedrückte mich sehr, denn auch beim gemeinsamen Frühstück hatte ich nicht einen Satz aus dem schmollenden Elben herausbekommen, der über drei Wörter hinaus gegangen war!

 

Danach waren er und Celthor einfach fortgegangen. Lindor hatte offensichtlich auch besseres zu tun, als sich mit mir zu beschäftigen und war ihnen kurz darauf gefolgt. Und sogar mein lieber Bilbo hatte es heute vorgezogen, statt mir Gesellschaft zu leisten, sich in die sogenannte „Halle des Feuers“ zurückzuziehen, da er dort, wie er sagte, besser nachdenken konnte.

 

Ich seufzte. Manchmal war es nicht leicht, sich dem gemächlichen Lebensstil in Bruchtal anzupassen. Nicht, wenn man so ungeduldig war wie ich.

 

Und nicht, wenn man noch immer nicht wußte, ob man den Verlauf der Geschichte unwiderruflich beeinflußt hatte oder nicht.

 

Immerhin konnte ich dahingehend beruhigt sein, nicht selbst die Schuld daran zu tragen. Schließlich war es Radagast zuzuschreiben, daß die beiden Waldelben jetzt hier waren, nicht wahr? Hätte er es mir erlaubt, mich von Galvorn zu verabschieden, dann hätte dieser nicht nach mir gesucht, oder?

 

Andererseits... Wäre ich erst gar nicht hier in Mittelerde, wäre das alles nicht passiert...

 

Schnaufend blies ich eine Haarsträhne von meiner Nase, mit dem Ergebnis, daß sie nun über meinem Auge kitzelte.

 

Der Pfad zum Übungsplatz sollte eigentlich deutlich ausgetreten sein. Doch die leichten Schritte der Elben hatten in all den Jahrhunderten wohl niemals auch nur ein einziges Grashälmchen geknickt.

 

Automatisch drehte ich mich um und begutachtete den Weg hinter mir. Meine Fußabdrücke waren deutlich zu erkennen, obwohl ich mir angewöhnt hatte, in Bruchtal barfuß zu gehen. Vielleicht auch gerade deswegen.

 

Jedenfalls trug es nicht dazu bei, meine langsam sinkende Laune zu heben.

 

Als ich mich dem Übungsplatz näherte, erkannte ich Glorfindel schon von ferne an seinen blonden Haaren. Er unterhielt sich mit einem anderen Elben, der mir den Rücken zugewandt hatte – genauer gesagt redete er ziemlich eindringlich auf ihn ein. Ich lenkte meine Schritte auf die beiden zu und dachte über die rechten Dankesworte nach. Das fiel mir wie immer nicht leicht und so wurde ich langsamer, je näher ich kam. Es gab mir Zeit, mich auf dem Platz umzusehen.

 

Im Schatten einer uralten Zeder hatten einige Elbenfrauen wollene Decken ausgebreitet und sich darauf häuslich niedergelassen. Sie gaben vor, sich mit ihrer Handarbeit oder einem Buch zu beschäftigen, doch der eigentliche Grund ihrer Anwesenheit war eindeutig der berühmte Balrogtöter, oder vielleicht auch sein Gesprächspartner. So genau konnte man das nicht unterscheiden. Einer von beiden war jedenfalls gemeint, soviel stand fest und war unschwer aus der Art zu schließen, wie ihre Blicke immer wieder verschämt zu ihnen hinüber huschten. Das angeregte Tuscheln mochte sowohl den Vorzügen des einen als auch einem Vergleich zwischen beiden gelten.

 

Ich grinste. Soviel zur perfekten Tarnung.

 

Vom sanften Regen der vergangenen Nacht war das Gras noch feucht. Ungefähr fünf Meter von den beiden Elben entfernt war ich stehen geblieben und betrachtete meditierend meine jetzt nassen Füße. Bei der Suche nach den richtigen Worten half das nicht. Außerdem kam ich mir nach einer Weile ausgesprochen dämlich vor, wie ich so herumstand, besonders, als Glorfindel mich entdeckte. Mit einem freundlichen Lächeln senkte er den Kopf zum Gruß.

 

Jetzt gehörte mir außerdem die Aufmerksamkeit der gesamten weiblichen Fangemeinde. Obwohl die Elbenfrauen genaugenommen überhaupt keinen Grund hatten, neidisch auf mich häßliches Entlein zu sein, sahen sie doch mit ausgesprochener Mißgunst zu mir herüber.

 

Ich gab mir einen Ruck und brachte die wenigen noch fehlenden Schritte hinter mich. Immerhin war es weit besser, dem edlen Fürsten gegenüberzutreten und unartikuliert meinen Dank zu stammeln, als stehen zu bleiben und von hier aus das gleiche zu tun.

 

Noch bevor ich meinen Weg vollendet hatte, drehte der zweite Elb sich um.

 

„Galvorn?“ Vor Überraschung blieb ich erneut wie angewurzelt stehen und glotze ihn mit großen Augen an. Zum Glück dachte ich nach der ersten Schrecksekunde wenigstens daran, meinen weit geöffneten Mund wieder zu schließen.

 

Was hatte denn ein blutscheuer Heiler, der seit fast einem Jahrtausend kein Schwert mehr geführt hatte, auf einem Waffenübungsplatz verloren?

 

Natürlich... natürlich, redete ich mir ein, will er nur mit seinem alten Lehrer sprechen. Da war doch gar nichts Ungewöhnliches dabei. Ich schüttelte über meine eigene Kurzsichtigkeit den Kopf. Schließlich war ich selbst auch deswegen hier. Also, um mit Glorfindel zu sprechen, meine ich. Und wie ich ganz richtig erkannt hatte, war das hier ein Übungsplatz. Es würde kein Blut fließen. Kein Grund zur Beunruhigung also.

 

Außer diesen weiblichen Wesen vielleicht, die sich über mein Dazwischenplatzen wieder eingekriegt hatten und nun ganz offen... ja wen? Wen himmelten sie so unverhohlen an? Gereizt runzelte ich die Stirn.

 

War ich etwa eifersüchtig?

 

Natürlich war ich das! Was denkt ihr denn? Saßen da so ein paar bildhübsche Grazien und machten möglicherweise meinem Galvorn schöne Augen!

 

Mein Stirnrunzeln vertiefte sich und der Unmut drängte in einem stoßartigen Schnauben durch meine Nase.

 

„Ja?“ Glorfindels Aufforderung erinnerte mich an den Grund meines Störens. Wieder trafen mich einige giftige Blicke aus bezaubernden Augen und perfekte zartrosige Lippen wurden abfällig gekräuselt. Ich räusperte mich verlegen, doch dann verleitete mich mein verletztes Selbstwertgefühl zu einem mutigen Schritt.

 

Nicht übermäßig laut, doch deutlich genug, um von den reizenden Ohren der Schönen vernommen zu werden, erwiderte ich:

„Habt vielen Dank für Euer großzügiges Geschenk, edler Glorfindel!“ Ich legte so viel Wärme in meine Stimme, wie mir irgend möglich war, strahlte den tapferen Helden unverblümt an und klimperte völlig übertrieben mit den Wimpern.

 

Für die holden Damen hinter ihm nicht sichtbar, verzog Glorfindel die Lippen zu einem schelmischen Grinsen. Er hatte begriffen und gab mir mit einem aufmunternden Zwinkern zu verstehen, daß er durchaus gewillt war, dieses fiese kleine Spielchen zu spielen.

 

Wortlos forderte er mich auf, ein paar Schritte mit ihm zu gehen und ich war dreist genug, mich bei ihm einzuhaken.

„Allein der Gedanke, daß er aus der selben Zucht wie Asfaloth stammt...“, flötete ich.

Galvorn schnappte hörbar nach Luft.

 

„Ein königliches Roß und Eurer Schönheit würdig.“ Glorfindel gelang es, jede Ironie aus seiner Stimme zu verbannen. Er legte seine freie Hand auf meine, die seinen Arm hielt und drückte sie leicht. Langsam entfernten wir uns von den anderen und ich mußte mich dazu zwingen, mich nicht nach ihnen umzusehen.

 

Wir bogen um eine Ginsterhecke. Mein Begleiter lenkte herum und blieb mir gegenüber stehen. Er lachte leise. Ein glockenklares Lachen. Seine Augen funkelten vergnügt.

 

„Wir sind außerhalb der Hörweite“, verkündete er.

„Ich...“ Beschämt zog ich meinen Arm zurück und fummelte nervös am unteren Saum meiner Bluse. „Ich bin euch wirklich dankbar. Für Brasfaloth. Ich meine...“, stammelte ich, „es tut mir leid. Das war... kindisch. Danke, daß Ihr mich nicht bloßgestellt habt.“

 

„Es gab mir Gelegenheit, mich zu entfernen, da meine Anwesenheit ohnehin unerwünscht war.“ Glorfindel machte eine wegwerfende Handbewegung.

 

„Wie...?“ Was meinte er damit: unerwünscht?

 

„Nun, die Damen sind ganz offensichtlich nicht meinetwegen gekommen.“

 

Hä? Eine lange Zeit starrte ich Glorfindel einfach nur an. Leider kann ich nicht behaupten, daß meine Gesichtszüge unterdessen einen besonders intelligenten Ausdruck gezeigt hätten. In einem sich stets wiederholenden Echo widerhallten seine Worte in meinem Kopf.

 

Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

 

„Du... äh... Ihr meint Galvorn? Diese Xanthippen sind wegen... wegen...“ Vor Empörung brachte ich den Satz nicht zuende und starrte nur noch nachdrücklicher den gelassen lächelnden Balrogtöter an, den nicht einmal mein Vergleich mit einer griechischen, ihm völlig unbekannten Göttin, in seinem Gleichmut stören konnte.

 

Er lächelte. Und nickte.

 

„Ooo-h!“ Entrüstet machte ich auf den Fersen kehrt. Das durfte doch einfach nicht wahr sein! Diese Furien! Ich würde ihnen die Augen auskratzen!

 

Ich war noch keine fünf Schritte weit gekommen, da kam Galvorn mir entgegen. Und weil ich gerade so schön in Schwung war, lief ich ein ganzes Stück an ihm vorbei, bevor ich die Kehrtwendung schaffte.

 

Der dunkelhaarige Elb zeigte eine ungewöhnlich entschlossene Miene. Ohne mich anzusehen setzte er seinen Weg fort. In Händen hielt er – ein Schwert!

 

Nein jetzt, oder?! Meine Eifersucht verflüssigte sich und schmolz dahin wie heißes Metall. Wie ein bettelndes Schoßhündchen lief ich ihm hinterher, meine Hände flehend nach der bedrohlich blitzenden Waffe ausgestreckt.

 

„Galvorn? Tu das nicht. Bitte! Bii-tte-e! Da ist nichts zwischen Glorfindel und mir. Ehrlich! Du hast das völlig mißverstanden! Gib mir das Schwert! Komm schon! Ich möchte nicht, daß du das tust. Bitte!“ So und ähnlich flehte ich, immerwährend bestrebt, ihm die Waffe zu entwinden.

 

Doch Galvorn hielt sie fest, hörte sich mein Gebrabbel an und schien mir doch nicht zuzuhören. Seine Augen waren fest auf den blonden Vanya gerichtet und er wich nicht eine handbreit von seinem Weg ab.

 

Endlich – ich mußte etwas ganz besonders meine Gefühle zu ihm Bloßstellendes gesagt haben – blieb er stehen und lächelte mich beruhigend an. Ich spürte, wie ich unter seinem Blick errötete und obwohl ich mich nicht genau erinnern konnte, mit welchen Worten ich ihn zu dieser Reaktion verleitet hatte, fühlte ich mich nackt und unbehaglich; ein dummes unmündiges Kind in Gegenwart eines weisen, unsterblichen Wesens, mit der Erfahrung von dreitausend Jahren!

 

Und seine Augen! Einmal mehr ertrank ich in ihrem tiefen Smaragdgrün! Meine Knie wurden weich, und hätte ich nicht Galvorns Arm umklammert, der das Schwert trug, ich weiß nicht, ob ich nicht hier und jetzt machtlos zu Boden gesunken wäre.

 

Meine nächste Reaktion war, langsam vor ihm zurückzuweichen. Vor seinem Blick. Seiner Weisheit. Seiner Ausstrahlung. Wie hatte ich so vermessen sein können... Angst griff nach meinem Herzen; da faßten seine Hände sanft aber bestimmt nach meinen und er zog mich zurück an den Platz, wo ich eben noch gestanden.

 

Er lächelte noch immer und eigentlich hätte dies mir ein Trost sein sollen nach den vergangenen unerträglichen Stunden des Schweigens.

 

Vorerst schwieg er freilich auch jetzt. Sah mich nur unverwandt an. Beinahe glaubte ich zu spüren, wie er durch meine Augen hindurch in mein Herz blicken konnte. Als würde sein Geist sich vorsichtig danach ausstrecken. Fragend. Zögernd. Und wischte doch entschlossen die Angst hinfort, wie ein warmer Sonnenstrahl den Nebel. Dann, plötzlich, zog er sich zurück. Die entstandene Leere war so körperlich schmerzhaft, daß ich leise gequält aufstöhnte und mich sehnsüchtig in seinen festen Griff lehnte. Alles in mir zitterte.

 

„Es besteht kein Grund zur Beunruhigung, Elli. Fürst Glorfindel hält es nur für ratsam, daß ich mich nach langer Zeit wieder im Gebrauch des Schwertes übe.“ Seine Stimme klang leise und warm. Sein Lächeln ließ seine Augen noch intensiver strahlen.

 

Ich nickte mechanisch. Im Augenblick war ich zu nichts anderem fähig.

 

„Ich habe nicht vor, mich mit ihm zu duellieren, ich will nur meine Erinnerungen auffrischen“, versicherte er, ohne eine Andeutung von Sarkasmus.

 

Wieder ein Nicken und der Versuch etwas zu sagen. Aus Furcht, daß meine Stimme versagen könnte, beließ ich es dabei.

 

Geschäftiges Flüstern und amüsiertes, vornehm halb-unterdrücktes Gelächter zogen meine Aufmerksamkeit auf sich. Nur wenige Meter entfernt hatten sich Galvorns Verehrerinnen eingefunden und zerrissen sich gerade ihre schönen Mäuler über mich dummen Trampel. Beschämt wandte ich den Blick ab und mußte sogleich feststellen, daß sie keineswegs die einzigen Beobachter waren.

 

Von allen Seiten sammelten sich Neugierige, um das zu erwartende Schauspiel zu betrachten. Nun, ja, und um sich vorher noch ein bißchen über mein unmögliches Betragen zu belustigen, versteht sich. Das gab es sozusagen als besondere Zugabe obendrein.

 

Ich weiß, ich wiederhole mich, aber: Wie überaus peinlich!

 

Ohne Galvorn noch einmal anzusehen riß ich mich los und flüchtete zwischen Elbendamen und Kriegern hindurch, hinter einen Holunderbusch – am liebsten wäre ich gleich darunter gekrabbelt, aber das hätte wohl nur für weitere Heiterkeit gesorgt. Manchmal wäre es echt praktisch, wenn man sich einfach unsichtbar machen könnte! Ganz verschwinden mochte ich nämlich trotz allem nicht. Selbstironisch bekannte ich, wenigstens eines mit all den Elben gemein zu haben: Meine Neugierde. Und so schlich ich mich zur anderen Seite des Busches, von wo aus ich mir eine gute Aussicht über den Übungskampf versprach.

 

Galvorn und Glorfindel traten sich bedächtig gegenüber. Sie störten sich überhaupt nicht an den vielen Zuschauern und konzentrierten sich völlig auf ihr Training. Galvorn ließ sein Schwert einige Male prüfend durch die Luft wirbeln – das war der Moment, in dem ich mich entspannte und interessiert noch etwas weiter nach vorne rückte, um besser sehen zu können. Fasziniert harrte ich des Kommenden.

 

Ich erwartete nicht, Galvorn mit seiner Schwertkunst glänzen zu sehen. Nicht nach tausend Jahren der Enthaltsamkeit und nicht gegen den besten Krieger Mittelerdes. Doch war ich voll freudiger Erwartung, eine neue Seite meines geliebten Elben kennen zu lernen. Beim sportlichen Kräftemessen erfährt man immerhin so einiges über jemandes Charakter, und sei es nur, ob er fair oder nicht und ein guter Verlierer ist. Und selbstredend war ich außerordentlich gespannt darauf, wie Galvorn sich anstellen würde. Ich spürte, wie das Adrenalin meine Nerven aufpeitschte.

 

>Ein sehr geschickter Kämpfer<, hatte Radagast gesagt.

Unruhig trat ich auf der Stelle.

 

Jetzt ging es los! Eine grüßende Geste mit den Schwertern, dann hob Glorfindel auffordernd die Klinge. Erst ein paar vorsichtige Angriffe und Paraden von beiden Seiten, wie um die Erinnerung an einmal gelernte Aktionen aufzufrischen. Hell zerschnitt der Klang von Stahl auf Stahl die Luft. Dann das gleiche nochmal und etwas flinker. Und dann...

 

Ja, dann erkannte ich ziemlich schnell, wie Glorfindels Andeutung, die Elbendamen seien Galvorns wegen gekommen, zu verstehen war. Und ich lernte, daß auch Elben nicht ausschließlich die Wahrheit sprechen... Auch wenn ich Glorfindel im Nachhinein zu gute halten muß, daß er nur um meinetwillen so frech geflunkert hatte.

 

Der Schlagabtausch wurde wie gesagt rasanter. Die Gegner standen dabei keineswegs stur am gleichen Fleck, sondern bewegten sich geschmeidig wie Katzen umeinander. Schlag folgte auf Schlag. Parade auf Angriff. Konter auf Riposte (um mal ein bißchen mit Fachbegriffen anzugeben, wenn ich schon mit sonst nichts glänzen kann). Langsam fand ich Gefallen an der Sache, obwohl mir der Gedanke, daß Galvorn in den Krieg ziehen könnte, überhaupt nicht gefiel. Erst recht nicht, wenn ich mir die schlimme Zeit vor Augen führte, die den freien Völkern Mittelerdes noch bevorstehen würde: Der Kampf um Bruchtal, der Angriff auf Dol Guldur, Lothlórien in Flammen. Und was weiß ich, wo noch überall blutige Gefechte stattfinden würden. In Gondor. Natürlich. Aber dort würde ich mich zu diesem Zeitpunkt wohl kaum aufhalten. Und Galvorn hoffentlich auch nicht.

 

Gerade wunderte ich mich darüber, wie schnell Galvorn sich in die Bewegungsabläufe zurückfand. Gut, es war selbst für mich erkennbar, wie Glorfindel rücksichtsvoll auf seine Reaktion wartete, wenn die mal nicht ganz so prompt und sicher kam. Aber alles in allem sah das wirklich sehr beeindruckend aus. Nicht, daß ich viel vom Schwertkampf verstanden hätte, denn trotz meiner eigenen Unterrichtslektionen bei Lindor und später auch Radagast, war ich nicht über das Anfängerstadium hinausgekommen. Was ich von Galvorn nun zu sehen bekam, gab mir einen kleinen Eindruck, wie fähig er tatsächlich einmal gewesen sein mußte. Immerhin lag eine Zeitspanne zwischen damals und jetzt, die wir Menschen gefühlsmäßig gar nicht ermessen können.

 

Ich selbst würde vielleicht in 10 Jahren ein Können erlangen, das dem augenblicklichen Wiedereinfinden Galvorns entsprach, schätzte ich. Wenn ich fleißig übte und geschickt war. Nur um dem werten Leser ein wenig zu verdeutlichen, daß Galvorn sich keinesfalls wie ein Stümper benahm.

 

Ich war also wie gesagt äußerst beeindruckt und hatte längst alle anderen Elben Bruchtals vergessen. Sogar Glorfindel nahm ich nur noch wahr, weil bei Konzentration auf Galvorn allein, das Gefecht zu einem bloßen Schattenkampf verkommen wäre.

 

 

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