„Er ist
ein ruhiger und ausgeglichener Charakter“, ließ er sich nicht beirren, „Er
neigt weder zu Gewalttätigkeit, noch zu Aufschneiderei.“
Klang
irgendwie nach einem Langeweiler. Ich gähnte demonstrativ und wedelte dabei mit
der Hand vor meinem Mund.
„Eigentlich
sollte er der Traum einer jeden Elbenfrau sein...“
Eigentlich?
„Es gibt
da etwas, wofür die Frauen Mittelerdes kein Verständnis aufbringen.“
Er
räusperte sich unbehaglich und ich blickte ihn neugierig an.
„Er kann
kein Blut sehen...“, nuschelte er kaum hörbar.
„Ah.
Und?“ Der Groschen wollte bei mir nicht fallen.
„Er ist
ein Mann!“ Radagast klang beinahe verzweifelt und rang die Hände gen Himmel.
„Und?“
Ich verstand noch immer nicht. „Soll vorkommen.“
Jetzt war
es an Radagast dämlich dreinzuschauen.
„Er ist
ein Heiler“, startete er einen letzten Erklärungsversuch.
„Es gibt
doch genügend Krankheiten. Muß ja nicht überall Blut spritzen!“
Er
seufzte kläglich. „Nun, die Anzahl der Krankheiten unter Elben sind beschränkt...“
„Daran
hab ich nicht gedacht.“ Konnten Elben überhaupt krank werden? Wo war mein
Nachschlagewerk? Das brauchbare von den beiden. „Und dennoch ist er Thranduils
persönlicher Heiler? Das versteh ich nicht.“
„Galvorn
versteht sich ausgezeichnet auf das Mischen von Salben und Gegengiften“,
erklärte Radagast. „Auch besitzt er außerordentliche heilende Kräfte.“
„Na, dann
ist doch alles in bester Ordnung!“ Zufrieden zündete ich mir eine zweite
Zigarette an.
„Und
außerdem...“
„Ja?“
„Er... er
achtet auf die jungen Elben am Hofe.“
„Du
meinst, er ist ein Kindermädchen?“ lachte ich amüsiert wegen des beschämten
Gesichtsausdrucks und der Art, wie Radagast damit herumdruckste. Er nickte nur.
Schluckte, und sah aus wie jemand, der gerade seine Mission verloren gab.
„Wo ist
das Problem?“
Unendlich
langsam hob der Istar den Kopf, senkte gleichzeitig die Hand, die die Pfeife
zum Mund geführt hatte und sah mich mit großen, überraschten Augen an.
„Ja,
stört dich das denn gar nicht?“
„Nein.
Wieso sollte es.“
Ungefähr
fünf Sekunden herrschte erstaunte Stille, dann gab mein Gast ein solch
dröhnendes Gelächter von sich, daß ich mich unwillkürlich umblickte, ob die
Nachbarn nicht schon zusammenliefen. Er schlug sich mit der freien Hand aufs
Knie und verschluckte sich einigemale, woraufhin sich ein rauhes Husten in das
Glucksen mischte.
„Ich
glaube, jetzt ahne ich, weshalb Eru dich für ihn bestimmt hat“, prustete er,
klopfte mir anerkennend auf die Schulter und strahlte mich an wie der helle
Morgen.
Ich seufzte.
Wieder einmal. „Die Chancen für die Richtigkeit dieser Theorie stehen bei...“,
ein hilfloses Schulterzucken, „eins zu einer Million. Oder so. Jedenfalls
gibt’s ’ne Menge Frauen hier, die das nicht stört.“
Radagast
hörte meinen Einwand nicht einmal. Er hing gerade seinen eigenen Gedanken nach
und brabbelte und quiekte dabei vergnügt vor sich hin. So, genau so mußte ich
aussehen, wenn ich Selbstgespräche führte! Gequält wandte ich mich ab.
Etwas
anderes fiel mir ein und ich runzelte leicht die Stirn. „Er wird nicht
besonders begeistert sein, wenn er mich sieht.“ Ich rümpfte die Nase.
„Wieso
nicht?“ Radagast fiel das Reden noch immer schwer und sein Brustkorb hüpfte
verdächtig unter dem braunen Wollmantel. Bei dem geringsten Anlaß würde es mit
seiner Beherrschung wieder zu Ende sein.
„Naja,
ich mag in meiner Welt als ganz passabel durchgehen, aber die Elben sollen doch
von solch großer Schönheit sein.“ Ich spürte, wie der Neid in mir hochstieg und
schob dieses Gefühl mit Gewalt zur Seite.
„Er ist
bereit, den Willen Erus anzuerkennen.“
Wie
überaus schmeichelhaft!
„Ich weiß
nicht, ob ich unter diesen Umständen mitkommen will.“
Fragend
hob der Istar eine Augenbraue und zog abwesend an seiner Pfeife.
„Nun“,
ich schnippte die zweite Kippe ganz gegen meine Gewohnheit in den kleinen,
penibel gerichteten Vorgarten, „es klingt für mich nach >Es gibt nichts
Besseres für einen Loser wie mich, also nehm ich sie halt.<“
Ich
spürte, wie sich mein Herz bei diesen Worten schmerzhaft zusammenkrampfte. Du
verlierst den Verstand! schalt ich mich selbst und konzentrierte mich aufs Neue
auf den Gedanken, dies alles nur zu träumen. Selbst die Vorstellung, es mit
einem Psychopaten zu tun zu haben war mir im Augenblick lieber, als der Zweifel
an meiner eigenen geistigen Gesundheit.
„Und
außerdem kann ich hier nicht so einfach weg!“ Ich atmete tief durch.
„Hm,
kannst du nicht? Was hält dich davon ab? Deine Arbeit, die du haßt? Deine
Interessen, die fast ausnahmslos im Bereich Mittelerde liegen oder die du dort
zumindest weit besser verwirklichen könntest? Oder deine Freunde? Du hast nicht
viele Freunde. Jedenfalls keine, die dich vermissen würden.“
Ich
schnappte nach Luft. Danke vielmals! Aber leider hatte er recht. „Könnte ich
dort Bogenschießen lernen? Und reiten? Ich meine richtig, nicht so stümperhaft
wie bisher. Und Schwertkampf?“ Und Elbisch natürlich. Aber das verstand sich
von selbst.
Er
nickte.
„Was ist
mit meinen Eltern?“
„Sie
werden es verstehen.“
Aber sicher
doch! Habt ihr schon einmal versucht euren Eltern zu erklären, daß ein Zauberer
aus einer anderen Welt gekommen ist um euch mitzunehmen, weil der Erschaffer
dieser anderen Welt beschlossen hat, daß ihr eines seiner Geschöpfe heiraten
sollt?
Mit zittrigen
Fingern steckte ich mir eine weitere Zigarette an.
„Du
solltest nicht so viel rauchen.“
„Sagt
gerade der richtige!“
„In
Mittelerde gibt es keine dieser seltsamen Stengel und das Pfeiferauchen ist bei
den Damen verpönt.“
„Na
prima! Ich bin nämlich keine Dame!“ Ich stampfte zur Bestärkung äußerst
undamenhaft mit dem Fuß auf den Boden, was ein wenig an der Wirkung verlor, da
ich noch immer keine Schuhe trug.
Seufzend
lehnte ich mich zurück und starrte in den Himmel. „Tut mir leid.“
Radagast
grummelte väterlich. Sein Blick wanderte gleich dem meinen zum blauen Firmament
und gemeinsam bewunderten wir die weißen Wölkchen, die von einem kaum spürbaren
Lufthauch langsam weiter getragen wurden.
„Er ist
nicht herzlos.“
„Hm?“
„Galvorn.“
Ich
wandte den Kopf meinem Gesprächspartner zu und runzelte die Stirn. Was meinte
er?
„Wenn er
den Willen Erus anerkennt.“
„Bitte
sprich so, daß ich dich verstehen kann.“
„Er
glaubt an Erus Güte und daran, daß Er nur das beste für ihn damit bezweckt. Und
für dich natürlich auch.“
Sinnend
drehte ich den gelblichen Filter in meiner Hand. Darauf wagte ich nichts zu
erwidern.
„Ich muß
darüber nachdenken.“
Radagast
schüttelte schon wieder den Kopf.
„Ich soll
mich jetzt gleich entscheiden?“
Ein
zustimmendes Knurren.
„Das
kannst du nicht von mir verlangen!“
„Tue ich
nicht.“ Diese stoische Ruhe war wirklich nervenzerreißend! „Die Mächte haben es
so entschieden.“
„Weil es
besser ist, daß ich nicht zuviel darüber nachdenke?“ Ui, ich und ein
Geistesblitz. Das war selten!
„So ungefähr.
Jetzt bist du in deinem Herzen bereit, meinen Worten Glauben zu schenken, auch
wenn du es dir noch nicht eingestehen willst. Wenn du zu lange darüber
nachgrübelst, kommen die Zweifel wieder und je angestrengter du nachdenkst,
desto stärker werden sie sein und du wirst sie dessentwegen, was du einen
gesunden Menschenverstand nennst, in Wirklichkeit aber nur dein ignoranter
Sturkopf ist, so fest in dir verankern, daß es mir schwer würde, sie wieder zu
zerstreuen. Hätten wir mehr Zeit, so würde ich mich auf dieses Kräftemessen
einlassen. Doch die haben wir nicht. Entscheide dich jetzt!“
Mein
graues Haar fiel mir wieder ein und ich strich schmollend ein paar Strähnchen
hinters Ohr. Weshalb zierte ich mich eigentlich so? Mir konnte doch nichts
passieren, wenn ich auf das Unmögliche einging. Je schneller ich diesem Opa
beweisen würde, daß er nicht ganz richtig tickte, desto schneller wäre ich ihn
wieder los. Hoffte ich zumindest.
„Also
gut. Dann wollen wir mal.“ Schwungvoll erhob ich mich. „Rechts oder links
lang?“
„Laß uns
zunächst ins Haus gehen. Wir müssen noch einiges regeln, bevor wir aufbrechen.“
Die Genugtuung war ihm deutlich anzuhören. Irgendwie verunsicherte mich das.
Zurück im
Eßraum zog Radagast etwas aus seinem Beutel, der mir zuvor gar nicht
aufgefallen war.
„Zieh das
hier an“, forderte er mich auf und hielt mir ein schlichtes, graues Gewand hin,
„und leg alles ab, was von dieser Welt ist. Deinen Schmuck, das Haargummi...“
„Auch
meine Unterwäsche?“ Ich verzog widerstrebend den Mund, als ich den dünnen
Lappen näher untersuchte und biß mir auf die Lippen. Ich hätte einfach nicht
fragen sollen...
„Auch
die.“
Das hatte
ich befürchtet.
„Meine
Brille? Ich seh kaum was ohne meine Brille!“
„Auch
die“, erklang die ruhige Antwort.
„Ich seh
wirklich kaum was ohne. Grade mal noch 20 Prozent oder so...“ Meine Worte wurde
leiser und erstarben schließlich ganz. Was soll’s. Ich zuckte die Achseln.
„Hoffentlich
soll ich mit dem Fummel hier nicht in der Gegend rumlaufen!“
„Wir
werden von hier auf dem direkten Weg nach Mittelerde reisen. Weißt du-“
„-über
die vierte Dimension, ich weiß.“
„Schreib
deiner Mutter eine Nachricht. Soviel Zeit haben wir noch.“
Ich trat
zum Schreibtisch und zog einen Zettel hervor. Ohne lange nachzudenken schmierte
ich in meiner schwer leserlichen Handschrift darauf:
„Hallo Mami, bin mal kurz in Mittelerde. Melde mich
später. Elli.“
In der
festen Überzeugung, daß meine Mutter diese Zeilen niemals lesen würde, legte
ich sie mit dem Kugelschreiber beschwert auf den Tisch.
Dann schloß
ich die Zwischentür, um mich wie verlangt umzukleiden. Als ich wieder
hervortrat, begutachtete Radagast mich vom Kopf bis zu den Füßen. Ich kam mir
angemessen dämlich vor und blickte zur Decke, während der Istar einmal um mich
herum ging und schließlich meinen linken Arm ergriff.
„Das
auch.“
„Meine
Uhr? Wie soll ich denn ohne meine Uhr wissen, wie spät es ist? Ich kann die
Zeit nicht anhand der Sterne oder des Sonnenstands ermitteln.“
„Dann
wirst du es lernen.“ Radagast blieb eisern.
Murrend
löste ich das Metallarmband und legte es zu den übrigen Sachen, die
zurückbleiben sollten. „Bis gleich.“ Ich tätschelte die Uhr übertrieben
fürsorglich und blickte Radagast erwartungsvoll an.
Ich war
wirklich gespannt, was er jetzt tun würde. Irgend so einen Hokuspokus mit dem
Zauberstab vielleicht, mit viel Rauch und einem Knall oder so. Und wie er mir
danach erklären wollte, warum wir immer noch im Durchgang zu meinem
Arbeitszimmer standen, interessierte mich wirklich.
Nur am
Rande bemerkte ich, daß dieser Zauberer gar keinen Zauberstab dabei hatte und
verbot mir selbst, weiter darüber nachzudenken.
„Schließe
die Augen!“ forderte er mich auf.
„Ähm, du
kommst jetzt aber nicht auf irgendwelche dummen Gedanken, oder?“
„Nicht
doch. Schließe die Augen und sei still. Ich muß mich konzentrieren.“
Immer
noch in der festen Überzeugung, daß sich gar nichts verändert haben würde, wenn
ich die Augen später wieder öffnete, schloß ich sie.
Nichts
geschah. Es erklang kein Beschwörungsspruch, der Boden wackelte nicht unter meinen
Füßen und es roch auch nicht nach Schwefel. Es passierte einfach gar nichts.
Da spürte
ich plötzlich, wie die Luft um mich herum eisig kalt wurde und Wind an meinem
Gewand zerrte. Ich riß die Augen auf und blickte unmittelbar in eine häßliche,
sabbernde Fratze.
Ich
schreie nicht oft. Eigentlich nie. Jetzt schrie ich und zwar aus Leibeskräften!
Die häßliche Fratze schrie ebenfalls. Vermutlich weil ich so plötzlich aus dem
Nichts aufgetaucht war. Diese Schrecksekunde rettete mir wahrscheinlich das Leben.
Etwas
Dünnes, Langes, das ich nicht gleich genauer ausmachen konnte, schoß dicht an
meinen Augen vorbei und bohrte sich in die Stirn der widerlichen Kreatur. Blut
spritzte nach allen Seiten. Das Biest sackte zu Boden. Mir wurde schwarz vor
den Augen. Dann schwanden mir die Sinne.
~*~