Hamfast der Abenteurer

 

 

 

Mehrere Tage lang folgten sie einem nicht als solches erkennbarem Weg nach Süden. Durch dichten Wald und über schmale Lichtungen mit bunten Bumenwiesen, vorbei an kleinen Bächen und sumpfigem Gelände, bergan und -ab, ohne daß die Elben sich ein einziges Mal über die einzuhaltende Richtung im unklaren waren.

 

Auf Hamfasts Erkundigung, ob sie ihren Reisegefährten nicht Nachricht geben müßten, hatte Mornedhel nur milde gelächelt. Hamfast wußte um die Eigenarten der Elben und hakte nicht weiter nach. Vermutlich war bereits dafür gesorgt.

 

Eines Mittags saßen die Drei bei einem herzhaften Fleischeintopf, den Hamfast bereitet hatte. Wie bereits auf seinen früheren Reisen, so hatten auch seine neuen Gefährten recht bald erkannt, daß sie das Kochen am besten ihm überließen. Vor allem aber war ihnen recht schnell klar geworden, daß sie ihn bei dieser Beschäftigung nicht stören sollten. Das mochte Hamfast gar nicht. Noch weniger aber gefiel es ihm, wenn ihm während des Essens jemand buchstäblich in die Suppe fiel - wie diese Eule vor zwei Tagen.

 

Auf lautlosen Schwingen war sie aus der tiefschwarzen Nacht aufgetaucht. Wohl im Jagdeifer hatte der Raubvogel die drei Reisenden gar nicht bemerkt oder einfach nicht beachtet. Im Herabstoßen auf ein Beutetier streifte sie Hamfasts Hut. Dessen breite Krempe rutschte dem kleinen Mann daraufhin mit Schwung gegen den erhobenen Löffel, dieser entfiel im Schreck der Hand, landete mit lautem Scheppern im blechernen Napf, und der heiße Inhalt schwappte über den Rand auf Hamfasts Hose. Mit einer Geschwindigkeit und Kraft, die ihm keiner der beiden Elben zugetraut hatte, war Hamfast aufgesprungen, hatte die Eule noch bevor sie sich mit ihrer Beute wieder in die Lüfte erheben konnte am Kragen gepackt und das erschrockene Tier ärgerlich schimpfend durchgeschüttelt. Danach hatte er sie mit der mürrischen Bemerkung, daß sich ihr Fleisch nicht zum Verzehr eigne, wieder frei gelassen. Der Raubvogel suchte schleunigst das Weite - die nur leicht benommene Maus ebenso. Hamfast aber setzte sich zurück auf seinen Platz, hob den umgekippten Napf auf und schöpfte aus dem reichlich gefüllten Topf nach, um sich in aller Seelenruhe wieder seiner Mahlzeit zu widmen.

 

„Diese Orkbande hatte den Überfall geplant“, begann Hamfast unvermittelt, nachdem er seine Schale mit dem Finger blitzblank geputzt hatte. „Ich frage mich, worauf sie es abgesehen hatten.“

 

„Gold, Edelsteine, Waffen...“ Celebrimbor war dem kleinen Mann seiner vorzüglichen Kochkunst wegen milde gestimmt und bereit, ein paar wenige Fragen zu beantworten. „Zwerge reisen selten ohne irgend etwas Wertvolles. Ihr ganzes Leben ist bestimmt von edlen Metallen und Reichtum.“

 

Hamfast starrte auf seine leere Schale und danach in den sauber ausgekratzen Kessel. Bedauernd stellte er sein Geschirr auf den Boden. „Aber was wollen die Orks damit anfangen? Mit Gold und Edelsteinen, meine ich. Ich glaube nicht, daß sie sich an deren Schönheit erfreuen wollen, oder es auch nur könnten. Was haben sie also davon?“

 

Die Elben tauschten einen schnellen Blick. „Waffen können sie gebrauchen“, antwortete Celebrimbor lahm.

 

„Sicher...“ Hamfast klang mit einem Mal müde. „Also all das Morden wegen ein paar Waffen?“ Traurig zog er die kleine Rassel aus der Hosentasche. Er hielt das Spielzeug fast ständig, wenn seine Hände nicht anderweitig beschäftigt waren, schüttelte es leise und fuhr mit den Fingern die Verzierungen nach. Das Metall war so blank gearbeitet, daß sich der Schein des Feuers darin spiegelte. Hamfasts Blick verlor sich in dem Flackern, welches ihm die schreckliche Szene jener Nacht vorgaukelte.

 

„Orks morden für weniger als dies“, versuchte Mornedhel ihn zu trösten. „Und doch waren es vielleicht nicht einfach irgendwelche Waffen.“

 

„Wie meint Ihr das?“ Hamfast riß sich aus seinen trüben Gedanken und sah den Elben erwartungsvoll an.

 

Doch Mornedhel war nicht bereit, seine Neugierde zu stillen. „Es ist nur eine Vermutung. Wir reden ein andermal darüber. Jetzt müssen wir weiter.“

 

„Oh, es läßt sich auch sehr gut über der Arbeit oder beim Gehen reden“, versichterte Hamfast eifrig, während er bereits das Geschirr zusammenräumte, den Topf vom Feuer nahm und mit beiden Händen Erde auf die Flammen warf, um sie zu verlöschen.

 

Aber beide Elben hüllten sich in Schweigen. Da nützten auch die wiederholten Nachfragen und Aufforderungen zum Sprechen nichts. Schließlich gab Hamfast seine Bemühungen auf. Mürrisch stopfte er den Topf in seinen Rucksack, warf ihn sich über die Schulter und stapfte los, ohne sich noch einmal nach den Reisegefährten umzusehen.

 

Hamfasts Unmut über die Einsilbigkeit der Erstgeborenen dauerte nicht lange an. Sie hatten gerade eben die Lichtung überquert und sich durch einen dichten Buschstreifen voller Dornen gewunden, da eröffnete sich ihnen ein gar eigenartiges Bild.

 

Ruckartig zog Hamfast seinen Fuß zurück, mit dem er beinahe in ein sorgfältig aufgehacktes Blumenbeet getreten wäre.

 

„Wie...? Was...?!“ Staunend schaute er sich um. „Gärten! Beete! Seht nur wie alles grünt und blüht! Nie zuvor sah ich eine solche Farbenpracht! Und alles so sorgfältig hergerichtet! Wer mag hier wohnen? Ich sehe nirgendwo ein Haus. Nur Blumen so weit das Auge reicht!“

 

Schmunzelnd trat Mornedhel neben den kleinen, begeisterten Mann. „Die Ents wohnen hier. Genauer gesagt, die Entfrauen. Ihre Männer ziehen die dunklen Wälder vor.“

 

„Ents? Was sind Ents?“

 

„Das werdet Ihr bald erfahren. Kommt, doch gebt acht, daß Ihr nicht die Blumen zertretet. Euer Pony laßt besser hier zurück. Keine Angst, es ist nicht in Gefahr. Die Ents bewachen ihre Grenzen gut und kein Ork überschreitet sie ungestraft.“

 

Hamfast nickte stumm. Er nahm Bôr zur Erleichterung Sattel und Zaumzeug ab und streichelte ihm beruhigend den Hals. Dann folgte er wie im Traum den Elben durch das Blütenmeer. Er erblickte kleine unscheinbare Pflänzchen und hohe Stauden, ihm bekannte und unbekannte Gewächse und roch eine Fülle von unterschiedlichsten Düften, die seine Sinne gefangen nahmen.

 

Auf einer sanften Anhöhe stand eine starke, borkige Eiche. Sie genoß sichtlich die wärmenden Strahlen der Sonne, denn sie streckte ihr die Zweige wie offene Arme entgegen. Gleichzeitig schützte sie durch ihr dichtes Blätterdach die hitzeempflindlichen Nachtröschen, welche zu ihren Füßen wuchsen. Sie haben ihren Namen daher, daß sie ihre Blüten in der ersten Vollmondnacht des Frühjahres öffnen. Kleine, zierliche Pflanzen, die in allen Schattierungen von Hellrosa bis Dunkelrot erblühen.

 

Hamfast bemerkte, daß sie gerade soweit wuchsen, wie der Schatten des Baumes reichte. Soeben wollte er seine Verwunderung darüber zum Ausdrück bringen - denn mit dem Lauf der Sonne würde sich der Schatten doch verändern - als die beiden Elben sich in höflichem Gruß vor der Eiche verneigten.

 

„Ist das auch ein sprechender Baum?“ platzte Hamfast aufgeregt heraus und schwenkte mehr aus Gewohnheit als in irgend einer besonderen Absicht seinen unförmigen Hut grüßend durch die Luft.

 

„Ein Baum? Ich bin kein Baum! Ich bin ein Ent“, raschelte es in den Blättern, wie sanftes Rauschen des Windes.

 

Die Eiche drehte sich einmal um die eigene Achse, wohlbedacht darauf, die Rosen zu ihren Füßen nicht zu zertreten oder den schützenden Schatten zu verlagern. Sie beugte sich ein wenig zu Hamfast herab, und dieser sah sich unvermittelt einem großen grasgrünen Augenpaar gegenüber.

 

„Genaugenommen eine Entfrau. Hram, hum“, murmelte sie nachdenklich. „Doch was seid Ihr?“

 

Hamfast blinzelte erstaunt, als sei er nicht sicher, ob er wache oder träume, und vergaß, die Frage zu beantworten. „Eine Entfrau!“ stammelte er stattdessen und setzte seinen Hut auf den Kopf, um ihn erneut abnehmen und schwenken zu können, diesmal von einer tiefen Verbeugung begleitet. „Hamfast Gerstenbräu, zu Euren Diensten!“

 

„Hu, hm.“ Die Entfrau neigte ihren Kopf nachdenklich zur Seite, und da dieser mit dem Stamm eine Einheit bildete, so bog er sich mit, und es schien zuerst, als müßte die borkige Rinde bei dieser Bewegung platzen. Doch sie war geschmeidiger als sie aussah und folgte der Biegung wie eine schuppige Haut.

 

„Wir sind hier, um etwas von Euch einzufordern.“ Mornedhel war neben Hamfast getreten.

 

Die Entfrau ließ von ihrer neugierigen Musterung des Hobbits ab und nickte verstehend. Dabei knarzte ihr Körper auf eine so merkwürdige Weise, daß es fast nach Worten klang. Doch alles was Hamfast verstand, war „Humm“ und „Barumm“.

 

„Ihr sucht nach dem Kind. Es ist nicht hier.“ Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und legte zwei ihrer Äste über Kreuz vor den Stamm - etwa so, als hätte sie die Arme vor der Brust verschränkt.

 

„Die Bäume haben es Euch zugetragen. Ihr braucht es nicht zu leugnen. Und ich brauche Euch wohl auch nicht zu erklären-“

 

„Ihr werdet das Kind nicht bekommen“, unterbrach sie den Elben schroff. Hamfast zuckte bei diesen Worten erschrocken zusammen. Vielleicht war es besser, diese Entfrau nicht erzürnen, überlegte er, und malte sich aus, wie sie ihn mit einem einzigen Schlag ihrer mächtigen Zweige zertrümmern könnte. Unauffällig trat er einen Schritt zurück.

 

„Ah, so ist es also hier.“ Mornedhel sah dem baumartigen Wesen furchtlos in die Augen.

 

„Mein Herr!“ suchte Celembrimbor seine Aufmerksamkeit. „Seht!“

 

Vom Waldrand her bewegten sich an die zwanzig Gestalten, die das Aussehen unterschiedlichster Baumarten besaßen, auf den Hügel zu. Eine sah aus wie eine Tanne, eine andere ähnelte einer Buche, wieder eine andere hätte man für eine Lärche halten können. Eines hatten sie alle gemeinsam: wie waren groß und stark und ihre drohende Haltung verriet wenig Freundlichkeit für die Besucher.

 

„Ihr werdet das Kind nicht bekommen“, wiederholte die Entfrau mit Nachdruck.

 

„Was wollt Ihr mit ihm?“ Unbeeindruckt streifte Mornedhel mit leichter Hand ein herabgefallenes Eichenblatt von seinem Gewand. „Ein Zwergenkind ist nicht der rechte Umgang für euch“, spöttelte er.

 

„Har-ummm!“ schimpfte die Entfrau, doch ihr Einschüchterungsversuch prallte an dem Gleichmut des Elben ab wie Wasser an einem Felsen.

Mornedhel winkte Celebrimbor mit einer flüchtigen Geste, die Hand vom Schwertgriff zu nehmen.

 

„Was wollt Ihr mit ihm?“ lautete die Gegenfrage. „Ihr haßt die Zwerge von alters her.“

 

„Und doch kann es mein Wunsch nicht sein, sie hilflos ihrem Schicksal zu überlassen.“

 

„So, so. Kann es nicht? Kann es das nicht?“ Zweifelnd wiegte die Entfrau ihren Kopf.

 

„Nicht, wenn es unseren Gegner stärkt.“ Die übrigen Ents waren inzwischen herangekommen. Mornedhel blickte in die Runde. „Gegner, die auch die Euren sind.“

 

Die Entfrau ließ ein dumpfes Lachen hören. „Wir fürchten die Orks nicht!“ Ihre Verwandten nickten und knarrten und raschelten zustimmend mit den Zweigen, Blättern und Nadeln.

 

Hamfast stand da und blickte verständnislos um sich. „Reden wir noch von dem Kind?“ wagte er vorsichtig zu fragen.

 

„Das Kind. Ja. Hra rum!“ Die Entfrau gebot den Ihren mit einer Bewegung ihres Geästes Ruhe. „Das ist eine gute Frage, Hamfast Gerstenbräu. Warum seid Ihr hier, wo Ihr doch die Orks verfolgen solltet, die gestohlen haben, was Euch so wertvoll erscheint?“

 

Mornedhels Ruhe schien unerschütterlich. „Ihr ahnt es also. Oder wißt Ihr es?“

 

Hamfast sah sich um und gewahrte, daß die Entfrauen noch dichter aufgeschlossen hatten. Jedoch beachteten sie ihn, der ein wenig abseits stand, nicht. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt der Unterhaltung.

 

>Na, hoffentlich zertreten die mich nicht aus Versehen<, sagte Hamfast zu sich selbst. Ihm war etwas mulmig zumute zwischen all den mächtig großen Wesen - eben weil diese gar nicht zu wissen schienen, daß er da war. So beschloß er, aus dem Kreis heraus zu schleichen, was ihm nicht schwer fiel. denn er war klein und wendig und wirklich niemand beachtete ihn.

 

Hier atmete der Hobbit erst einmal tief durch, klopfte einige Nadeln und Blätter von seiner Jacke und schüttelte seinen Hut aus.

 

>Reine Vorsichtsmaßnahme!< verteidigte er seinen Mut, stülpte schwungvoll seine Kopfbedeckung auf und spitzte die Ohren. Zu seinem Bedauern mußte er jedoch feststellen, daß die Stimmen von der Entfrauen-Wand so sehr gedämpft wurden, daß sie nur bruchteilhaft zu ihm durchdrangen. Auf diese Weise war es nun gar nicht mehr möglich der Unterhaltung, die ihm bereits in ganzer Lautstärke immer unverständlicher geworden war, weiter zu folgen.

 

Hamfast zuckte die Achseln. Besonders aussichtsreich für ihr Vorhaben hatte der Disput zuletzt ohnehin nicht geklungen. Irgendwo in der Nähe mußte das Kind doch zu finden sein. Er erinnerte sich, daß ein Großteil der Entfrauen aus östlicher Richtung gekommen war. Er erinnerte sich außerdem, daß die Frauen vom östlichen Waldrand ein wenig später herangekommen waren als die übrigen.

 

Celebrimbor hatte die Befürchtung geäußert, daß die Ents dem Zwergenkind feindlich gesinnt sein könnten. Mornedhel schien an diesen Bedenken noch immer festzuhalten. Hamfast war ehrlich besorgt um das Kleine gewesen, bis er erfahren hatte, daß es nicht in die Hände der männlichen, sondern der weiblichen Wesen dieses eigenartigen Volkes geraten war.

 

Hamfast lächelte vor sich hin. Ja, dem Kind ging es gut. Und er wußte nun, wo er es zu suchen hatte. Mehrere Tage lang folgten sie einem nicht als solches erkennbarem Weg nach Süden. Durch dichten Wald und über schmale Lichtungen mit bunten Bumenwiesen, vorbei an kleinen Bächen und sumpfigem Gelände, bergan und -ab, ohne daß die Elben sich ein einziges Mal über die einzuhaltende Richtung im unklaren waren.

 

Auf Hamfasts Erkundigung, ob sie ihren Reisegefährten nicht Nachricht geben müßten, hatte Mornedhel nur milde gelächelt. Hamfast wußte um die Eigenarten der Elben und hakte nicht weiter nach. Vermutlich war bereits dafür gesorgt.

 

Eines Mittags saßen die Drei bei einem herzhaften Fleischeintopf, den Hamfast bereitet hatte. Wie bereits auf seinen früheren Reisen, so hatten auch seine neuen Gefährten recht bald erkannt, daß sie das Kochen am besten ihm überließen. Vor allem aber war ihnen recht schnell klar geworden, daß sie ihn bei dieser Beschäftigung nicht stören sollten. Das mochte Hamfast gar nicht. Noch weniger aber gefiel es ihm, wenn ihm während des Essens jemand buchstäblich in die Suppe fiel - wie diese Eule vor zwei Tagen.

 

Auf lautlosen Schwingen war sie aus der tiefschwarzen Nacht aufgetaucht. Wohl im Jagdeifer hatte der Raubvogel die drei Reisenden gar nicht bemerkt oder einfach nicht beachtet. Im Herabstoßen auf ein Beutetier streifte sie Hamfasts Hut. Dessen breite Krempe rutschte dem kleinen Mann daraufhin mit Schwung gegen den erhobenen Löffel, dieser entfiel im Schreck der Hand, landete mit lautem Scheppern im blechernen Napf, und der heiße Inhalt schwappte über den Rand auf Hamfasts Hose. Mit einer Geschwindigkeit und Kraft, die ihm keiner der beiden Elben zugetraut hatte, war Hamfast aufgesprungen, hatte die Eule noch bevor sie sich mit ihrer Beute wieder in die Lüfte erheben konnte am Kragen gepackt und das erschrockene Tier ärgerlich schimpfend durchgeschüttelt. Danach hatte er sie mit der mürrischen Bemerkung, daß sich ihr Fleisch nicht zum Verzehr eigne, wieder frei gelassen. Der Raubvogel suchte schleunigst das Weite - die nur leicht benommene Maus ebenso. Hamfast aber setzte sich zurück auf seinen Platz, hob den umgekippten Napf auf und schöpfte aus dem reichlich gefüllten Topf nach, um sich in aller Seelenruhe wieder seiner Mahlzeit zu widmen.

 

„Diese Orkbande hatte den Überfall geplant“, begann Hamfast unvermittelt, nachdem er seine Schale mit dem Finger blitzblank geputzt hatte. „Ich frage mich, worauf sie es abgesehen hatten.“

 

„Gold, Edelsteine, Waffen...“ Celebrimbor war dem kleinen Mann seiner vorzüglichen Kochkunst wegen milde gestimmt und bereit, ein paar wenige Fragen zu beantworten. „Zwerge reisen selten ohne irgend etwas Wertvolles. Ihr ganzes Leben ist bestimmt von edlen Metallen und Reichtum.“

 

Hamfast starrte auf seine leere Schale und danach in den sauber ausgekratzen Kessel. Bedauernd stellte er sein Geschirr auf den Boden. „Aber was wollen die Orks damit anfangen? Mit Gold und Edelsteinen, meine ich. Ich glaube nicht, daß sie sich an deren Schönheit erfreuen wollen, oder es auch nur könnten. Was haben sie also davon?“

 

Die Elben tauschten einen schnellen Blick. „Waffen können sie gebrauchen“, antwortete Celebrimbor lahm.

 

„Sicher...“ Hamfast klang mit einem Mal müde. „Also all das Morden wegen ein paar Waffen?“ Traurig zog er die kleine Rassel aus der Hosentasche. Er hielt das Spielzeug fast ständig, wenn seine Hände nicht anderweitig beschäftigt waren, schüttelte es leise und fuhr mit den Fingern die Verzierungen nach. Das Metall war so blank gearbeitet, daß sich der Schein des Feuers darin spiegelte. Hamfasts Blick verlor sich in dem Flackern, welches ihm die schreckliche Szene jener Nacht vorgaukelte.

 

„Orks morden für weniger als dies“, versuchte Mornedhel ihn zu trösten. „Und doch waren es vielleicht nicht einfach irgendwelche Waffen.“

 

„Wie meint Ihr das?“ Hamfast riß sich aus seinen trüben Gedanken und sah den Elben erwartungsvoll an.

 

Doch Mornedhel war nicht bereit, seine Neugierde zu stillen. „Es ist nur eine Vermutung. Wir reden ein andermal darüber. Jetzt müssen wir weiter.“

 

„Oh, es läßt sich auch sehr gut über der Arbeit oder beim Gehen reden“, versichterte Hamfast eifrig, während er bereits das Geschirr zusammenräumte, den Topf vom Feuer nahm und mit beiden Händen Erde auf die Flammen warf, um sie zu verlöschen.

 

Aber beide Elben hüllten sich in Schweigen. Da nützten auch die wiederholten Nachfragen und Aufforderungen zum Sprechen nichts. Schließlich gab Hamfast seine Bemühungen auf. Mürrisch stopfte er den Topf in seinen Rucksack, warf ihn sich über die Schulter und stapfte los, ohne sich noch einmal nach den Reisegefährten umzusehen.

 

Hamfasts Unmut über die Einsilbigkeit der Erstgeborenen dauerte nicht lange an. Sie hatten gerade eben die Lichtung überquert und sich durch einen dichten Buschstreifen voller Dornen gewunden, da eröffnete sich ihnen ein gar eigenartiges Bild.

 

Ruckartig zog Hamfast seinen Fuß zurück, mit dem er beinahe in ein sorgfältig aufgehacktes Blumenbeet getreten wäre.

 

„Wie...? Was...?!“ Staunend schaute er sich um. „Gärten! Beete! Seht nur wie alles grünt und blüht! Nie zuvor sah ich eine solche Farbenpracht! Und alles so sorgfältig hergerichtet! Wer mag hier wohnen? Ich sehe nirgendwo ein Haus. Nur Blumen so weit das Auge reicht!“

 

Schmunzelnd trat Mornedhel neben den kleinen, begeisterten Mann. „Die Ents wohnen hier. Genauer gesagt, die Entfrauen. Ihre Männer ziehen die dunklen Wälder vor.“

 

„Ents? Was sind Ents?“

 

„Das werdet Ihr bald erfahren. Kommt, doch gebt acht, daß Ihr nicht die Blumen zertretet. Euer Pony laßt besser hier zurück. Keine Angst, es ist nicht in Gefahr. Die Ents bewachen ihre Grenzen gut und kein Ork überschreitet sie ungestraft.“

 

Hamfast nickte stumm. Er nahm Bôr zur Erleichterung Sattel und Zaumzeug ab und streichelte ihm beruhigend den Hals. Dann folgte er wie im Traum den Elben durch das Blütenmeer. Er erblickte kleine unscheinbare Pflänzchen und hohe Stauden, ihm bekannte und unbekannte Gewächse und roch eine Fülle von unterschiedlichsten Düften, die seine Sinne gefangen nahmen.

 

Auf einer sanften Anhöhe stand eine starke, borkige Eiche. Sie genoß sichtlich die wärmenden Strahlen der Sonne, denn sie streckte ihr die Zweige wie offene Arme entgegen. Gleichzeitig schützte sie durch ihr dichtes Blätterdach die hitzeempflindlichen Nachtröschen, welche zu ihren Füßen wuchsen. Sie haben ihren Namen daher, daß sie ihre Blüten in der ersten Vollmondnacht des Frühjahres öffnen. Kleine, zierliche Pflanzen, die in allen Schattierungen von Hellrosa bis Dunkelrot erblühen.

 

Hamfast bemerkte, daß sie gerade soweit wuchsen, wie der Schatten des Baumes reichte. Soeben wollte er seine Verwunderung darüber zum Ausdrück bringen - denn mit dem Lauf der Sonne würde sich der Schatten doch verändern - als die beiden Elben sich in höflichem Gruß vor der Eiche verneigten.

 

„Ist das auch ein sprechender Baum?“ platzte Hamfast aufgeregt heraus und schwenkte mehr aus Gewohnheit als in irgend einer besonderen Absicht seinen unförmigen Hut grüßend durch die Luft.

 

„Ein Baum? Ich bin kein Baum! Ich bin ein Ent“, raschelte es in den Blättern, wie sanftes Rauschen des Windes.

 

Die Eiche drehte sich einmal um die eigene Achse, wohlbedacht darauf, die Rosen zu ihren Füßen nicht zu zertreten oder den schützenden Schatten zu verlagern. Sie beugte sich ein wenig zu Hamfast herab, und dieser sah sich unvermittelt einem großen grasgrünen Augenpaar gegenüber.

 

„Genaugenommen eine Entfrau. Hram, hum“, murmelte sie nachdenklich. „Doch was seid Ihr?“

 

Hamfast blinzelte erstaunt, als sei er nicht sicher, ob er wache oder träume, und vergaß, die Frage zu beantworten. „Eine Entfrau!“ stammelte er stattdessen und setzte seinen Hut auf den Kopf, um ihn erneut abnehmen und schwenken zu können, diesmal von einer tiefen Verbeugung begleitet. „Hamfast Gerstenbräu, zu Euren Diensten!“

 

„Hu, hm.“ Die Entfrau neigte ihren Kopf nachdenklich zur Seite, und da dieser mit dem Stamm eine Einheit bildete, so bog er sich mit, und es schien zuerst, als müßte die borkige Rinde bei dieser Bewegung platzen. Doch sie war geschmeidiger als sie aussah und folgte der Biegung wie eine schuppige Haut.

 

„Wir sind hier, um etwas von Euch einzufordern.“ Mornedhel war neben Hamfast getreten.

 

Die Entfrau ließ von ihrer neugierigen Musterung des Hobbits ab und nickte verstehend. Dabei knarzte ihr Körper auf eine so merkwürdige Weise, daß es fast nach Worten klang. Doch alles was Hamfast verstand, war „Humm“ und „Barumm“.

 

„Ihr sucht nach dem Kind. Es ist nicht hier.“ Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und legte zwei ihrer Äste über Kreuz vor den Stamm - etwa so, als hätte sie die Arme vor der Brust verschränkt.

 

„Die Bäume haben es Euch zugetragen. Ihr braucht es nicht zu leugnen. Und ich brauche Euch wohl auch nicht zu erklären-“

 

„Ihr werdet das Kind nicht bekommen“, unterbrach sie den Elben schroff. Hamfast zuckte bei diesen Worten erschrocken zusammen. Vielleicht war es besser, diese Entfrau nicht erzürnen, überlegte er, und malte sich aus, wie sie ihn mit einem einzigen Schlag ihrer mächtigen Zweige zertrümmern könnte. Unauffällig trat er einen Schritt zurück.

 

„Ah, so ist es also hier.“ Mornedhel sah dem baumartigen Wesen furchtlos in die Augen.

 

„Mein Herr!“ suchte Celembrimbor seine Aufmerksamkeit. „Seht!“

 

Vom Waldrand her bewegten sich an die zwanzig Gestalten, die das Aussehen unterschiedlichster Baumarten besaßen, auf den Hügel zu. Eine sah aus wie eine Tanne, eine andere ähnelte einer Buche, wieder eine andere hätte man für eine Lärche halten können. Eines hatten sie alle gemeinsam: wie waren groß und stark und ihre drohende Haltung verriet wenig Freundlichkeit für die Besucher.

 

„Ihr werdet das Kind nicht bekommen“, wiederholte die Entfrau mit Nachdruck.

 

„Was wollt Ihr mit ihm?“ Unbeeindruckt streifte Mornedhel mit leichter Hand ein herabgefallenes Eichenblatt von seinem Gewand. „Ein Zwergenkind ist nicht der rechte Umgang für euch“, spöttelte er.

 

„Har-ummm!“ schimpfte die Entfrau, doch ihr Einschüchterungsversuch prallte an dem Gleichmut des Elben ab wie Wasser an einem Felsen.

Mornedhel winkte Celebrimbor mit einer flüchtigen Geste, die Hand vom Schwertgriff zu nehmen.

 

„Was wollt Ihr mit ihm?“ lautete die Gegenfrage. „Ihr haßt die Zwerge von alters her.“

 

„Und doch kann es mein Wunsch nicht sein, sie hilflos ihrem Schicksal zu überlassen.“

 

„So, so. Kann es nicht? Kann es das nicht?“ Zweifelnd wiegte die Entfrau ihren Kopf.

 

„Nicht, wenn es unseren Gegner stärkt.“ Die übrigen Ents waren inzwischen herangekommen. Mornedhel blickte in die Runde. „Gegner, die auch die Euren sind.“

 

Die Entfrau ließ ein dumpfes Lachen hören. „Wir fürchten die Orks nicht!“ Ihre Verwandten nickten und knarrten und raschelten zustimmend mit den Zweigen, Blättern und Nadeln.

 

Hamfast stand da und blickte verständnislos um sich. „Reden wir noch von dem Kind?“ wagte er vorsichtig zu fragen.

 

„Das Kind. Ja. Hra rum!“ Die Entfrau gebot den Ihren mit einer Bewegung ihres Geästes Ruhe. „Das ist eine gute Frage, Hamfast Gerstenbräu. Warum seid Ihr hier, wo Ihr doch die Orks verfolgen solltet, die gestohlen haben, was Euch so wertvoll erscheint?“

 

Mornedhels Ruhe schien unerschütterlich. „Ihr ahnt es also. Oder wißt Ihr es?“

 

Hamfast sah sich um und gewahrte, daß die Entfrauen noch dichter aufgeschlossen hatten. Jedoch beachteten sie ihn, der ein wenig abseits stand, nicht. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt der Unterhaltung.

 

>Na, hoffentlich zertreten die mich nicht aus Versehen<, sagte Hamfast zu sich selbst. Ihm war etwas mulmig zumute zwischen all den mächtig großen Wesen - eben weil diese gar nicht zu wissen schienen, daß er da war. So beschloß er, aus dem Kreis heraus zu schleichen, was ihm nicht schwer fiel. denn er war klein und wendig und wirklich niemand beachtete ihn.

 

Hier atmete der Hobbit erst einmal tief durch, klopfte einige Nadeln und Blätter von seiner Jacke und schüttelte seinen Hut aus.

 

>Reine Vorsichtsmaßnahme!< verteidigte er seinen Mut, stülpte schwungvoll seine Kopfbedeckung auf und spitzte die Ohren. Zu seinem Bedauern mußte er jedoch feststellen, daß die Stimmen von der Entfrauen-Wand so sehr gedämpft wurden, daß sie nur bruchteilhaft zu ihm durchdrangen. Auf diese Weise war es nun gar nicht mehr möglich der Unterhaltung, die ihm bereits in ganzer Lautstärke immer unverständlicher geworden war, weiter zu folgen.

 

Hamfast zuckte die Achseln. Besonders aussichtsreich für ihr Vorhaben hatte der Disput zuletzt ohnehin nicht geklungen. Irgendwo in der Nähe mußte das Kind doch zu finden sein. Er erinnerte sich, daß ein Großteil der Entfrauen aus östlicher Richtung gekommen war. Er erinnerte sich außerdem, daß die Frauen vom östlichen Waldrand ein wenig später herangekommen waren als die übrigen.

 

Celebrimbor hatte die Befürchtung geäußert, daß die Ents dem Zwergenkind feindlich gesinnt sein könnten. Mornedhel schien an diesen Bedenken noch immer festzuhalten. Hamfast war ehrlich besorgt um das Kleine gewesen, bis er erfahren hatte, daß es nicht in die Hände der männlichen, sondern der weiblichen Wesen dieses eigenartigen Volkes geraten war.

 

Hamfast lächelte vor sich hin. Ja, dem Kind ging es gut. Und er wußte nun, wo er es zu suchen hatte.

 

 

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