„Zu
Hauptmann Gylthain?“ Statt einer Antwort erhielt der Herr der Riddermark nur ein
kläglich zustimmendes Stöhnen seines Besuchers. Ja, natürlich. Wohin auch
sonst! Das war schließlich zu erwarten gewesen. Warum wunderte er sich
eigentlich darüber?
Der alte
Ferothain fuhr sich mit der Hand durch den dichten Vollbart und schüttelte resigniert
den Kopf. „Ich wollte ihm seine Bitte nicht abschlagen, ohne zuvor mit Euch
gesprochen zu haben.“
„Ihr
befürchtet, daß die Disziplin der Truppe darunter leiden könnte?“ Théoden klang
amüsiert. „Oder tragt Ihr den beiden immer noch nach, daß sie Eure
wohlgeordnete Gardevorstellung an der Mitsommersonnenwende in ein
fürchterliches Spektakel verwandelt haben?“
König
Théoden kämpfte sichtlich mit der Fassung. Seine Mundwinkel zuckten, und bei
den letzten Worten hatte seine Stimme abgehackt und sehr beherrscht geklungen.
Sein Grinsen wurde breiter, als der alte Veteran und Ausbilder ihm einen
bitterbösen Blick zuwarf.
Sie
erinnerten sich beide noch sehr gut an die Begebenheit. Wie lange war das jetzt
her? Vier Jahre? Fünf? Die beiden waren damals noch halbe Kinder gewesen, und
der schelmische Fricstan brachte es immer wieder fertig, seinen älteren Freund
zu allen möglichen Albernheiten zu verführen.
„Ich bin
nicht nachtragend!“ verteidigte sich Ferothain und rückte wie zur Bekräftigung
seiner Worte sein Schwertgehänge zurecht.
Théoden
beugte sich, auf seinem Thron sitzend, nach vorne und drohte seinem Gegenüber
neckend mit dem Zeigefinger. „Nein, aber Ihr könnt es Euch selbst nicht
verzeihen, daß Ihr den Schabernack nicht durchschaut habt.“
„Ich hatte
die beiden im Verdacht, etwas zu planen.“ Ferothain zuckte die Schultern.
„Gylthain war zu hilfsbereit an diesem Tag. Besserte am Sitz meiner Uniform
herum. Redete mit süßsäuselnden Worten auf mich ein, was sonst nicht seine Art
ist. Natürlich war das auffällig. Und natürlich bin ich danach dreimal um mein
Pferd herumgegangen, um festzustellen, ob
alles in Ordnung war. Selbst den Steigbügel habe ich nach Huffett
untersucht.“
Théodens Oberkörper
bebte in einem lautlosen Lachanfall. „Ich habe erfahren, daß es Gylthain nach
jenem Streich nicht gelungen ist, seine Sonderschicht Stallausmisten an seine
Stubenkameraden abzutreten.“
Jetzt
verzog sich auch Ferothains Mund zu einem süffisanten Grinsen. „Nein, dafür
habe ich aber auch höchstpersönlich gesorgt. Wettverbot bis nach dem
Strafdienst!“ Er kicherte verhalten.
„Aber den
Distelzweig an der Sommerparade konntet Ihr ihnen nicht nachweisen.“
Ferothain
machte eine wegwerfende Handbewegung. „Natürlich waren es die beiden
Tunichtgute! Wer soll es denn sonst gewesen sein!“
Théoden
wiegte den Kopf. Noch immer lag das heitere Lächeln auf seinem Gesicht. Er
erinnerte sich gut an die Szene. Die ganze Abteilung war an jenem Sommerfest in
Parade über den Platz vor der Goldenen Halle in Edoras geritten. Irgend jemand
- und niemand zweifelte wirklich daran, wer es gewesen war - hatte dem Hengst
des alten Ferothain einen Distelzweig unter die Satteldecke geschmuggelt, der
das Pferd gerade in dem Moment zu malträtieren begann, als dieser vor dem im
Freien aufgestellten Thron Théodens durchparierte.
Der König
war aufgestanden und auf den Alten zugegangen, um ihm sein Lob auszusprechen,
als das Tier plötzlich mit allen Vieren in die Luft gegangen war. Théoden sah
den alten Ferothain noch vor sich, wie er mit entsetzter Miene,
vorangestreckten Armen und kopfüber auf ihn zugeflogen kam und erinnerte sich
an den gewaltigen Satz, den er selbst nach hinten gemacht hatte, um ihm
auszuweichen. Dabei hatte er die Ballustrade umgeworfen, hinter der die gesamte
Hofgemeinschaft Platz genommen hatte...
Théoden
wurde von einem leisen Kichern zurück in die Gegenwart gerufen. Ein Blick in
das Gesicht seines Gegenübers zeigte ihm, daß Ferothain soeben genau die
gleichen Bilder vor Augen gehabt hatte. Die beiden Männer grinsten sich jetzt
unverhohlen an. Sie hatten diese feinen Damen und Herren niemals zuvor und auch
nachher nie wieder so einstimmig aufspringen gesehen. Unglücklicherweise waren
sie dabei alle irgendwie an- und gegeneinandergestoßen, so daß sie sich
innerhalb kürzester Zeit in einem wirren Haufen am Boden gewälzt hatten.
„Haltet
Ihr es wirklich für eine gute Idee, Fricstans Gesuch, in der Éored von
Hauptmann Gylthain dienen zu dürfen, stattzugeben?“ forschte Ferothain als er
seine Fassung wieder zurückerlangt hatte.
„Gylthain
ist nicht mehr der junge Rekrut, der er damals war“, nickte Théoden. „Er hat
lernen müssen was es heißt, Verantwortung zu übernehmen.“
Doch
Ferothain war nicht überzeugt. „Ich weiß nicht recht... Ich glaube, daß
Fricstan eine härtere Hand gut gebrauchen könnte.“
Jetzt war
Théoden ehrlich überrascht. „Eine härtere Hand? Ihr macht mir Spaß, Ferothain!
Habt Ihr in letzter Zeit einmal einen Blick auf den Übungsplatz geworfen? Nein?
Das solltet Ihr tun, dann werdet Ihr feststellen, wie hart Hauptmann Gylthain
seine Männer rannimmt.“
Ferothain
seufzte, da ihm soeben die Argumente ausgegangen waren. „Nun gut. Dann soll es
so sein.“ Der Schalk kehrte in sein Gesicht zurück. „Aber gebt mir die
Genugtuung, die beiden noch ein wenig zappeln zu lassen. Bevor die Truppe zum
nächsten Kontrollritt aufbricht, werde ich es ihnen mitteilen.“
Théoden
schmunzelte und entließ ihn mit einem zustimmenden Kopfnicken.
Am
gleichen Abend war eine muntere Gesellschaft in der Goldenen Halle versammelt.
Der König gab ein Bankett zur Feier der Beförderung seines Großneffen. Seit
dieser waren bereits einige Wochen vergangen, und die Festlichkeiten somit
längst überfällig.
Gylthain prostete
seinem besten Freund mit einem Becher Met zu. Er war bereits nicht mehr ganz
nüchtern und befand sich damit in guter Gesellschaft. Fricstan hatte Mühe, den
Humpen zum Mund zu führen und vergoß ein wenig davon in seinen kurz gestutzten
Bart. „Auf dich, Hauptmann!“ prostete er zurück, mit deutlich schwerfälliger
Zunge.
„Und
einmal hat mir der verflixte Bursche eine Kröte in meine besten Ausgehstiefel
gesteckt!“ hörten sie gerade Ferothain den nächsten Schabernack des Ehrengastes
preisgeben. Der alte Ausbilder hatte deutlich zu tief in sein Trinkhorn
geschaut. Er begutachtete dessen Inhalt, bevor er es in einem langen Zug
leerte.
Fricstan
gluckste. „Paß auf, wenn er so weitermacht, hat er am Ende des Abends alle
deine Schandtaten aufgezählt, mein Freund!“
Gylthain
mußte ebenfalls lachen und ließ sich Met nachschenken. „Ehrlich gesagt sieht er
nicht so aus, als würde er noch lange durchhalten.“
„Aber das
Beste“, lallte Ferothain lautstark, so daß ihn wirklich jeder im Saal hören
konnte, „das Beste wißt ihr noch gar nicht! Erinnert ihr euch an den
Riesentumult am Fest der Sommersonnenwende vor vier Jahren? Als mein Hengst
mich abgeworfen hat und ihr alle“, er deutete mit ausgestrecktem Arm im
Halbkreis um sich, „ihr alle euch wenige Sekunden später auf dem Boden gewälzt
habt?“
Gylthain
und Fricstan ruckten auf. Ihr Rausch war augenblicklich verflogen.
„Nicht
wahr, Théoden König“, sprach Ferothain nun den Herrscher direkt an, der ihn
offen und mit deutlicher Erheiterung anblickte. „Die Schuldigen konnten nie
gefunden werden. Nicht wahr. Das denkt ihr!“ Ferothain kicherte, dann richtete
er sich zu seiner vollen Größe auf und deutete plötzlich mit dem Zeigefinger
direkt auf die beiden armen Sünder. „Dort sitzen sie! Der Stolz der Éorlingas!“
Alle
Augenpaare richteten sich empört auf Gylthain und Fricstan. Die beiden
Überrumpelten starrten ihren Ausbilder mit großen Augen an. Ihre entsetzten
Mienen verrieten deutlich ihre Schuld und machten jeden Leugnungsversuch
zunichte.
„Jetzt
hilft nur noch eines“, flüsterte Fricstan seinem Spießgesellen zu.
„Flucht?“
schlug Gylthain vor und suchte mit gehetztem Blick einen freien Weg durch die
Menge.
„Nein“,
lachte der Jüngere. Er hob Gylthains gefüllten Becher auf und hielt ihn dem
Kameraden entgegen, während er seinen eigenen Krug mit der anderen Hand
ergriff. „Trink mein Freund! Jetzt ist sowieso schon alles egal!“
ENDE
© März 2018