„Das
kannst du doch nicht tun!“ Irmo ließ vor Schreck beinahe den Bierhumpen fallen.
Ein paar Tropfen des schäumigen Getränks trennten sich bei der plötzlichen
Abwärtsbewegung vom Rest des Inhalts und spritzen in seinen langen, gewellten Bart.
Este
lächelte glückselig und wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht, wie man eine
Fliege verscheucht. „Doch natürlich kann ich! Das ist ganz einfach!“
versicherte sie.
„Was ich
meine ist: Das willst du doch nicht tun!“
„Aber
natürlich mein Lieber. Diese häßlichen Dinger müssen alle verschwinden. Was
würden die anderen von mir denken, würde ich meine Arbeit nur halb verrichten?“
Der Herr
der Gesichte und Träume stellte seinen ehernen Humpen mit solcher Wucht auf den
schweren Eichentisch, daß mit lautem Knarzen sich eine tiefe Furche längs durch
die ganze Platte zog.
Este hob
mißbilligend beide Augenbrauen und schüttelte ergeben den Kopf. Ihr Gemahl
hatte wieder einmal entschieden zu viel von dem süffigen Gebräu der Zwerge
genossen.
Der
wortlos Gescholtene rang beide Hände. „Aber so versteh doch! Du darfst das
nicht tun!“ startete er in beinahe kläglichem Tonfall einen dritten Anlauf der
Erklärung.
Jetzt
betrachtete Este ihn mit offenem Erstaunen. „Aber warum denn nicht, mein
Lieber? Diese ganzen Narben von Peitschenhieben, Schlägen, glühenden Eisen und
Schlimmerem. Warum soll ich sie nicht zum Verschwinden bringen?“
Irmo
brummte unwirsch. „Diese kannst du meinetwegen alle fortwischen. Was
interessieren mich die Zeichen von Folter und Versklavung!“ Kopfschüttelnd
wegen soviel Unverständnis hob er den Humpen zu einem langen Zug an den Mund,
als müsse er seine Stimmbänder erst gehörig befeuchten, bevor er seiner
Gemahlin erklären konnte, was für einen Mann doch selbstverständlich war.
„Ich
spreche von den heldenhaften Narben.“
Die Valie
verzog ihre perfekte Nase zu einem lieblichen Kräuseln. „Heldenhafte Narben?“
Ihre klangvolle Stimme hüpfte auf den letzten beiden Silben in erheiterte
Höhen. Sie war sich sicher, daß ihr Gefährte sie veralbern wollte und
betrachtete ihn amüsiert von der Seite.
„Naja,
solche, die sie sich im Kampf erworben haben, meine ich natürlich! Ehrenvoll
erworben im Gefecht - im Krieg - im Kampf um ihr eigenes und das Leben ihrer Freunde!“
Der mächtige Vala hatte sich Stück für Stück erhoben und in eine Begeisterung
geredet, die seine ihm Angetraute nicht nachvollziehen konnte. Schweigend
betrachtete sie ihn und versuchte zu ergründen, ob er nicht vielleicht doch
scherzte.
Irmo seufzte.
„Was würdest du tun, wenn jemand deinen Rosengarten zerstören würde?“ versuchte
er sein Anliegen auf andere Weise verständlich zu machen.
„Was
haben meine Rosen mit den Narben der Gefährten zu tun?“ blaffte Este
unzufrieden.
„Schlechtes
Beispiel...“ gestand Irmo ein, dann leuchteten seine Augen in plötzlichem
Erkennen. „Stell dir vor, du würdest deinen Gärtner beauftragen...“ Er brach
ab, als Este ihren Kopf stolz in den Nacken schob. „Also gut, also gut!“ lenkte
er ein und erhob abwehrend die Hände. „Nehmen wir an, du hättest einen Gärtner
und würdest dich dieser wundervollen Aufgabe nicht selbst widmen.“ Er wartete
einen Moment, bis sich ein zufriedenes Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete
und atmete erleichtert durch, bevor er weitersprach. „Und dieser Gärtner würde,
anstatt die welken und kranken Triebe abzuschneiden und deine Rosen aufrecht zu
binden, einfach die gesammten Pflanzen ausreißen!“
Este zog
die Luft scharf ein. Ihre Augen weiteten sich im Entsetzen der reinen
Vorstellung solch einer Freveltat.
Irmo
lächelte triumphierend. „Siehst du, das ist ungefähr das Gefühl, daß einen Mann
überkommt, wenn man ihm seine ruhmreich erworbenen Narben nimmt.“
Estes
Gesicht war nachdenklich geworden. „Wie unterscheide ich die einen von den
anderen?“ forschte sie dann nach. Der Gedanke an die Zerstörung ihres
Rosengartens hatte sie zutiefst erschüttert. Sie schwankte und mußte sich
setzen.
Irmo
machte eine beruhigende Handbewegung und lächelte zufrieden.
„Das ist
gar kein Problem. Ich werde sie dir für jeden der Gefährten genau beschreiben“,
versprach er.
Lautlos
erhob sich eine silbrig leuchtende Gestalt aus dem kleinen Teich, der sich in
der Höhle am Rand der kleinen Quelle gebildet hatte. Die Mitglieder der
Gemeinschaft schliefen tief und fest, nicht zuletzt, weil sie Irmo um seine
schönsten Traumgesichte für sie gebeten hatte. Lautlos machte sie sich daran,
die vielfältigen Wunden zu behandeln und verglich jede alte Narbe sorgfältig
mit seinen Beschreibungen, bevor sie sich davon abwandte oder sie zum
Verschwinden brachte.
ENDE
(Inspiriert zu dieser Geschichte
wurde ich durch „Von Zwergenbier und Schlachtennarben“ Originaltitel „Of Dwarvish Ale and Battle Scars” von
Aratlithiel)
© April 2018