Leere Seiten

 

 

 

Ich starrte auf den blinkenden Cursor. Seit vier Wochen schon. Oder waren es sechs? Und es tat sich nichts. Rein gar nichts. Die ersten eineinhalb Seiten hatten sich fast wie von allein geschrieben. Nach einem Bild, das sich in meinem Kopf festgesetzt hatte. Sich dort entwickelt hatte. Langsam und so deutlich, bis es beinahe zu atmen begann. Bis sich die Farben bewegten und die Figuren plastisch hervorhoben.

 

Eine Szene. Eine kurze Szene nur. Und nun? Ich hatte keine Ahnung wie es weitergehen sollte. Worüber ich eigentlich schreiben, wovon ich erzählen wollte.

 

Hamfast erschien in der Tür. Er hatte nicht angeklopft. Er klopfte nie an. Wozu auch? Er war hier ebenso zuhause wie ich selbst. Er war ein Teil von mir.

 

Ohne ein Wort zu sagen setzte er sich auf das niedrige Regal neben meinem runden Couchtisch, gleich neben mir. Er schnupperte an den Häppchen, die ich zubereitet hatte, als könnten sie mir helfen, meine Phantasie zu beflügeln. Der Rotwein fand seine Zustimmung, und er bediente sich ungeniert an meinem Glas.

 

So saß er da, mein Weinglas in der Hand, ließ die kurzen Beinchen vom Regal herunterbaumeln und betrachte mich schweigend. Vorwurfsvoll.

 

„Was?“ raunzte ich ihn an.

 

„Ich habe nichts gesagt.“ Er hob beschwichtigend die Linke. Dann schob er sich mit ihr in einer fließenden Bewegung den Hut in den Nacken. Dieses übergroße Ding mit den vielen Beulen und Flicken, das nur noch vom Schmutz zusammengehalten wurde. Stille breitete sich aus. Immernoch blinkte der Cursor. Wartete geduldig auf die nächste Eingabe, die nicht kommen wollte.

 

Hamfast griff in die Innenseite seiner Jacke.

 

„Hier drin ist Rauchen verboten!“ fauchte ich, noch ehe er die Pfeife ganz herausgezogen hatte. Die kurze Pfeife mit dem dicken Kopf. Genau wie ich sie beschrieben hatte. Interessiert betrachtete ich das Rauchwerkzeug. Trotzdem. Hier drin nicht!

 

Seufzend schob Hamfast die Pfeife zurück in die Tasche und stibizte sich ein Lachsbrötchen.

 

„Schreib was über den Fischfang im letzten Frühling. Du weißt schon: Ich hatte diesen riesigen Fisch an der Angel...“ Er streckte maßangebend die Arme aus. Dabei fiel ihm beinahe der Lachs vom Brötchen. Er rettete ihn im letzten Moment und strahlte mich an, als wäre der Fisch lebendig.

 

Ich winkte gelangweilt ab. „Nicht spektakulär genug. Wer will schon sowas lesen? >Hamfast saß den ganzen Nachmittag am Fluß, die Sonne schien, die Vögel zwitscherten...<“ Ich rollte die Augen.

 

„Und das Wasser plätscherte!“ Hamfast nickte eifrig. „Es gibt nichts Beruhigenderes als das sanfte Plätschern des Gebirgsbächleins, dort, wo es sich über den kleinen Felsvorsprung in den Fluß ergießt.“

 

„Eben.“ Ich stand auf, legte das Notebook auf den Boden, weil auf dem Tisch kein Platz mehr dafür war, und holte ein zweites Weinglas aus der Vitrine. „Beruhigend!“ Ich spuckte das Wort aus wie einen Kirschkern. „Be-ru-hi-gend!“ Das sollte als Erklärung reichen.

 

Doch Hamfast verstand ganz und gar nicht. Ich seuftzte.

 

„Die Leute wollen was Spannendes lesen. Oder was mit Herzschmerz. Am besten beides. Niemand liest eine Geschichte, um sich zu beruhigen.“

 

Ich nahm das Notebook, platzierte es wieder auf meinem Schoß und starrte auf den Bildschirm. Unbeirrt blinkte der Cursor.

 

„Wie wäre es mit meinem Ausflug letzte Woche nach Wasserach...“

 

Ich gähnte.

 

Hamfast kratzte sich hinter dem Ohr, wie er es immer tat, wenn er verlegen war, unentschlossen, oder einfach die Antwort nicht wußte.

 

Jede seiner Bewegungen war mir so vertraut. Ich kannte sie alle. Ich hatte oft genug davon berichtet.

 

Seine großen hellen Augen blickten mich an, als fragte er sich, warum ich ihn so ausgiebig musterte, und ob mir dabei endlich eine Geschichte einfallen würde.

 

„Konntest du nicht ein paar spektakulärere Abenteuer erleben?“ Wie vorwurfsvoll ich klang. Wäre es mir wirklich lieber, er hätte öfter sein Leben riskiert, nur damit ich etwas zu erzählen hatte?

 

„Ich meine, wer bist du denn? Hamfast der Abenteurer, oder etwa nicht?!“

 

Oh ja! Es war soviel einfacher, ihm die Schuld zu geben, an meinem Versagen.

 

Wieder breitete sich Stille aus. Verlegen senkte ich den Blick. Versteckte mich hinter meinem Bildschirm und dem anklagend blinkenden Cursor. Es war nicht richtig von mir, daß ich ihn so ausschimpfte. Er konnte nun wirklich nichts dafür, daß er ein friedliebender Hobbit war - und kein blutrünstiger Ork.

 

Hamfast stellte das leere Weinglas auf den Tisch und leckte sich schmatzend die Lippen. Der edle Tropfen war ganz nach seinem Geschmack. Mit einem scheuen, versöhnenden Lächeln griff ich nach der Flasche, um ihm nachzuschenken. Doch Hamfast winkte ab.

 

Er schlug sich unternehmungslustig auf die Oberschenkel und blickte mich schelmisch an.

 

„Da hilft wohl nichts. Dann muß ich eben wieder hinausreiten und etwas erleben. Etwas...“ Er blickte zur Zimmerdecke während er sich meinen Ausdruck ins Gedächtnis rief. „Etwas Spektakuläres.“

 

Alarmiert hob ich die Augenbrauen. „Was hast du vor?“

 

„Laß mich nur machen.“

 

Hamfast zwinkerte mir verschwörerisch zu, hüpfte vom Regal herunter und bevor ich noch etwas sagen konnte, war er so lautlos durch die Tür verschwunden, wie er gekommen war.

 

 

ENDE

 

 

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© Juni 2012