Nichts ist, wie es zu sein scheint

 

 

 

„Letzten Sommer hatte ich einen seltsamen Traum“, verkündete Rúmil im Plauderton und ließ einen Pfeil von der Sehne schnellen, der sich tief in die Stirn eines häßlichen kleinen Orks bohrte. Die kunstvollen Schnitzereien im edlen Holz seines Bogens glitzerten golden im Feuerschein.

 

„Aha! Einen >Sommernachtstraum<!“ blödelte Orophin, schickte selbst wie nebenbei sein Geschoß mit ebensolcher Treffsicherheit ins Ziel und legte in Sekundenschnelle einen weiteren, silbergrau gefiederten Pfeil auf.

 

„Soll ich dir davon erzählen?“ hakte der ältere Bruder drängend nach, da seine großartige Eröffnung bei dem Angesprochenen nicht auf den gewünschten Enthusiasmus stieß. Bei aller Redseligkeit ließ er weder seine Gegner aus den Augen, noch hielt er im tödlichen Gebrauch seiner Waffe inne.

 

Orophin winkte lachend ab und gönnte sich den Luxus, eine von Schmutz und Schweiß verklebte Haarsträhne, die sich aus seinem Zopf gelöst hatte und ihm quer über Auge und Nase hing, mit flinken Fingern hinters Ohr zu streifen. „Verschone mich mit deinen Träumen! Im letzten kamen blauhäutige Riesenechsen und neunköpfige Drachen vor. Ganz zu schweigen von den nach faulen Eiern stinkenden, melonengroßen Käfern!“

 

„Aber dieser war...“ Rúmil unterbrach sich selbst, um einem Ork, dem es gelungen war, seinem Pfeilhagel zu entkommen - nicht, weil der Elb ihn verfehlt hätte, sondern weil der Angreifer einfach zu viele waren - die geballte Faust ins Gesicht zu schlagen. Der Getroffene flog ein ziemliches Stück weit durch die Luft, krachte an den nächsten Baumstamm und blieb betäubt am Boden liegen. „Dieser war...“

 

Der Herr von Lothlórien hatte keine Zeit, das Gespräch der herumalbernden Brüder weiter zu verfolgen. Dabei hatte er selbst tatsächlich eine Schwäche für die seltsamen Träume Rúmils. Mit seiner lebhaften Phanthasie sorgte der lebenslustige Elb oft und gerne für die Unterhaltung einer ganzen Gesellschaft, oder die seiner Kameraden während eines langen Wachdienstes. Wenn das hier vorüber war, würde er ihn bitten, ihm von seinem Traum zu erzählen - gleichgültig ob dieser wirklich so geträumt oder gerade eben erst erdacht worden war.

 

Mit ernster Miene überblickte Celeborn das Schlachtfeld. Es sah nicht gut aus für die Lórienelben. Die ersten Mellyrn standen bereits in Flammen. Zähneknirschend schenkte er dem makaberen Spektakel einen kurzen Blick, bevor er mit einem gewaltigen Schwertstreich gleich zwei Gegner auf einmal fällte.

 

Lange war es her, daß Celeborn zur Waffe gegriffen hatte. Lange Zeit hatten sie unter dem Schutz des Elbenringes in Sicherheit und Frieden gelebt. Aber nicht zu lange, daß er verlernt hätte, mit dem Schwert umzugehen. Einst hatte er sich in den Künsten der Waffenführung geübt und sie alle meisterhaft beherrscht. Jetzt konnte er von seiner jahrtausendelangen Erfahrung zehren.

 

Der ruhige und für den unwissenden Betrachter oftmals etwas phlegmatisch wirkende Gemahl der Herrin Galadriel, war nicht wieder zu erkennen. Seine silbernen Haare waren zu drei langen Zöpfen geflochten, wie es die Art der elbischen Krieger war, und fielen ihm weit über den Rücken bis zum Gürtel hinab. Die reich bestickte Tunika war einer Rüstung gewichen, von so hervorragendem Material und kunstvoller Arbeit, wie es sie heutzutage in Mittelerde kaum ein zweites Mal gab. Vor vielen Jahrtausenden im verborgenen Königreich Doriath geschmiedet, hatte sie so manchen Kampf gesehen und ihrem Träger mehr als einmal das Leben gerettet. Sein Schwert, nicht minder wertvoll, trug am Knauf einen einzigen grünen Edelstein, so rein und klar geschliffen, daß das in ihm sich brechende Sonnenlicht die Geschöpfe des Dunklen Herrschers schmerzhaft in den Augen brannte. Mit kühnem Blick behielt er bei all dem Tumult, der auf dem Schlachtfeld herrschte, stets die Übersicht und immer durchschaute er die Absichten der Angreifer, noch ehe sie zur Ausführung kamen.

 

Gelegentlich wendete er den sorgenvollen Blick nach Westen, von wo ungezählte Scharen schwarzer Gestalten vom Nebelgebirge her gegen den Wald anstürmten. Doch so sehr es ihn auch innerlich zerriß... nicht einmal ein Elbenfürst wie Celeborn, konnte an zwei Enden seines Reiches gleichzeitig sein. Tief atmete er durch und besann sich darauf, daß er diesen Teil seiner Verantwortung unter der kundigen Führung Haldirs in guten Händen wußte.

 

Ja, der Goldene Wald wurde an zwei Fronten angegriffen. Bereits seit drei Tagen wogte die Schlacht, und ein Ende war nicht in Sicht. Zwar boten diese dunkelhäutigen Widerlinge nicht wirklich eine Herausforderung für die kampferfahrenen Erstgeborenen, aber es waren ihrer viele. Sehr viel mehr, als seine eigenen Leute. Und für jeden gefallenen Ork schienen drei neue geradewegs aus dem Boden heraus zu wachsen.

 

Energisch stieß er einem krummbeinigen Kobold sein Schwert zwischen die Rippen - die hervorragende Waffe fuhr mit Leichtigkeit durch die plumpe, schlecht sitzende Rüstung des Unholds und steckte dann so fest in dem rostigen Metall, daß Celeborn sie mit einem kräftigen Fußtritt wieder aus dem toten Körper befreien mußte.

 

Erneut änderten die Angreifer ihre Taktik, sofern sie denn überhaupt einem Plan folgten - Celeborn bezweifelte es. Mit zwei großen, raubtierartigen Sätzen sprang er auf eine kleine Anhöhe, um von seinen Kriegern besser gesehen zu werden, als er ihnen seine Anweisungen zubellte. Seine Befehle wurden unverzüglich umgesetzt. Celeborn brummte zufrieden und wandte sich der Gruppe Orks zu, die er in Ausübung seiner Pflicht einfach hatte stehen lassen. Sie standen nicht mehr lange...

 

Etwas abseits zu seiner Rechten kämpfte eine Handvoll Zwerge auf der Seite der Elben. Eigentlich waren sie nur zufällig in den Kampf geraten. Nein. Nicht geraten, korrigierte er sich. Sie waren den Erstgeborenen freiwillig zu Hilfe geeilt.

 

Celeborns Stirn legte sich in nachdenkliche Falten. Er liebte die Zwerge nicht. Und die Gründe dafür waren vielfältig. Vielfältig und jeder einzelne voller Leid und Schmerz.

 

Wann hatte er zuletzt den Zwergen vertraut? Wie oft dachte er mit Abscheu an die kleinen, stämmigen Gestalten? Wie lange hatte er nur um der Liebe zu seiner Gemahlin willen in einem Reich, das dem ihren angrenzte, gelebt, mit ihnen gehandelt und ihre Nähe erduldet? Wie zufrieden war er es gewesen, in Lórien endlich in Frieden vor der ständigen Erinnerung an dieses Volk zu leben?!

 

Und dann hatten beunruhigende Gerüchte erst, dann die Gewißheit über das große Unglück, das eine Schar der gierigen Erdwühler in Moria angerichtet hatte, all die alten Erinnerungen mit schmerzlicher Deutlichkeit geweckt.

 

In Moria! Nur einen Tagesmarsch entfernt von Lothlóren, hatten sie unnötigerweise einen Fluch aufgeschreckt, der Jahrhunderte lang in den Tiefen des Berges geschlafen hatte.

 

Wie ganz anders würde es jetzt um sie stehen, würden die Kobolde aus dem Nebelgebirge von diesem Wesen angeführt?!

 

Celeborn atmete tief durch und schickte ein stummes Dankgebet an Mithrandir, der sie mit seinem Leben vor diesem Grauen bewahrt hatte.

 

Nein, Celeborn liebte die Zwerge wirklich nicht.

 

Sein Blick fiel erneut auf das Grüppchen zu seiner Rechten. Sie verstanden zu kämpfen, das mußte er ihnen lassen. Und ein wenig widerwillig mußte er sich eingestehen, daß er es ihnen nicht hätte verübeln können, wären sie unbescholten ihrer Wege gegangen, statt sich für die Elben in Gefahr zu begeben. Ein selbstironisches Lächeln kräuselte die Lippen des Elbenfürsten als er bemerkte, daß er ihnen tatsächlich dankbar für diese aufopfernde Tat war. Nicht, daß sie der Hilfe dieser wenigen, im Vergleich zu seinen eigenen Leuten eher mittelmäßigen Kämpfer bedurft hätten. Aber es war dennoch eine nette Geste.

 

Wie er sie so beobachtete bemerkte er, daß einer der Zwerge sich in seinem Eifer zu weit zwischen die Angreifer gewagt hatte. Ein besonders abscheulicher, großer Ork tauchte in seinem Rücken auf. Der Zwerg aber war mit zwei anderen Kobolden beschäftigt und bemerkte es nicht. Erst ein Warnruf seiner Kameraden machte ihn auf die Gefahr aufmerksam, woraufhin er hektisch versuchte, seine anderen Gegner loszuwerden. Dabei geriet er ins Straucheln und bot gleich allen drei Angreifern auf einmal eine Blöße.

 

Die übrigen Zwerge waren zu weit von ihm entfernt und selbst stark bedrängt und konnten ihm nicht beistehen. Auch sonst war niemand in der Nähe, der ihn vor dem scheinbar sicheren Tod hätte bewahren können. Zwischen ihm und dem Elbenfürsten wuselte es von schwarzen Gestalten, und Celeborn hatte seinen letzten Pfeil längst verschossen. Seine ihm verbliebenen Bogenschützen hatte er soeben zur anderen Flanke geschickt, wo ein neuer Trupp Orks mit Brandfackeln sich im Laufschritt dem Wald näherte.

 

Es schien unmöglich, dem unglücklichen Zwerg rechtzeitig zu Hilfe zu kommen... Und wieso hätte Celeborn sich selbst für ihn in Lebensgefahr begeben sollen? Ausgerechnet für einen Zwerg!

 

 

Der junge Elb war der herabstürzenden Steinlawine nur zum größten Teil  entkommen. Sein Fuß hatte sich unter einem schweren Felsbrocken verklemmt, und obwohl er nicht ernsthaft verletzt zu sein schien, steckte er fest und ließ sich nicht bewegen. Verzweifelt mühte der Erstgeborene sich, ihn von der Last zu befreien. Hier, außerhalb des geschützten Reiches, lauerte die Gefahr an jeder Ecke, und nach seinem spektakulären Sturz, der ganz sicher die Aufmerksamkeit jedes Orks, jedes Wargs und jedes nur möglichen und wahrscheinlich hungrigen Untiers das auf Mittelerde umging, auf sich gezogen hatte, war er in dieser Lage jedem Gegner hilflos preisgegeben. Besonders, weil sein Bogen an der Felswand zerbrochen war, und sein Schwert ihm, als er bei seinem Abgang kopfüber an einer Wurzel gehangen hatte, aus der Scheide gerutscht war und nun irgendwo unter all den Trümmern begraben lag.

 

Er hätte noch danach greifen können. Zeit genug dazu hätte er gehabt. Es lag auch nicht an einer schlechten Reaktion - hatte er es doch in scheinbar schleichend langsamem Fall geradewegs an seiner Nase vorbeigleiten sehen und sich doch, wohlwissend um die Schwere des Verlustes, dazu entschieden, es nicht zu retten.

 

Statt dessen hatte er mit beiden Händen die Beute seines Raubzugs umklammert und sie eifrig vor der Zerstörung zu schützen gesucht. Immerhin... sie lag unversehrt neben ihm. Groß, beinahe so groß wie sein Kopf. Gräulich weiß mit schwarzen Flecken und einer rauhen Oberfläche. Das Ei eines großen Felsenadlers.

 

Celeborn hielt einen Moment in seinem Bemühungen sich zu befreien inne und lauschte. Nein, noch war sein Diebstahl unentdeckt. Energisch biß er die Zähne zusammen und zog die Luft scharf ein. Für gewöhnlich waren die Adler des Gebirges den Elben wohlgesinnt, in diesem Fall jedoch würde sich ihre Gunst unweigerlich ins Gegenteil kehren.

 

Erneut zerrte er an seinem Fuß. Es war zwecklos. Aufmerksam sah er sich um, ob sich nicht in erreichbarer Nähe ein Werkzeug finden ließe, das ihm als Hebel dienen könnte.

 

Während er dies tat, bedachte er sich selbst in Gedanken eifrig mit jedem der ihm bekannten Schimpfnamen in Elbisch und Zwergisch.

 

Ein Adlerjunges als Streicheltier! Was für ein unsinniger Gedanke! Hatte er seiner Angebeteten nicht einen jungen Fuchs stehlen können? Oder ein Hasenkind? Aber nein! Es war ihr Hochmut gewesen, mit dem sie seine Bitte, ihr ein Geschenk verehren zu dürfen, begegnet war. >Nichts, daß Ihr mir geben könntet, wäre es wert, von mir berührt zu werden!< hatte sie mit erhobenem Haupt verkündet, und ihn mit einer fliegenden Handbewegung wie einen Dienstboten aus ihrem Gemach gescheucht.

 

Irgend jemand - er war so aufgewühlt gewesen, daß er sich nicht mehr erinnern konnte wer, doch vermutlich sein guter Freund Daeron, Meister in Sachen unglücklicher Liebe - hatte ihm die Idee eingeredet, ihr ein Schoßtier zu besorgen. Eines, das so putzig war, daß es ihr stolzes Herz erweichen und das Verlangen in ihr wecken würde, es zu streicheln - womit sie selbst ihre lästerlichen Worte zunichte machen würde.

 

Der irrsinnige Einfall mit dem Adlerei, war jedoch ganz allein seinem eigenen, von Liebe vernebelten Gehirn entsprungen.

 

Nicht irgend eines. Nein. Ein königliches Tier hatte es sein sollen. Hoheitsvoll und erhaben. So majestätisch wie sie selbst. Außerdem hatte der Gedanke daran, wie wundervoll das goldbraune Gefieder zu ihren langen, glänzend goldenen Locken aussehen würde, ihn fasziniert.

 

Celeborn biß sich auf die Lippen. Was war er doch für ein Dummkopf! Ein liebestrunkener Tölpel!

 

Allmählich gingen ihm die Schimpfnamen aus, und so stotterte er eine Weile gedanklich vor sich hin, bevor er die imaginäre Liste von vorne aufzusagen begann.

 

Noch vor kurzem hatte er Daeron belächelt, weil er sich jenes engelgleiche, und für ihn unerreichbare Geschöpf seiner Verehrung, nicht aus dem Kopf schlug, still vor sich hinlitt und sich damit zufrieden gab, Lúthiens Spielmann zu sein.

 

Wie oft hatte er versucht, ihn von seiner Krankheit, wie er es nannte, zu heilen. Aber wie hatte er auch ahnen können, wie mächtig die Liebe einen Mann treffen, und wie unzerstörbar sich ihre Kette ihm ums Herz legen konnte!

 

Dabei hätte es schlimmer nicht kommen können. Nerwen verachtete ihn. Dunkelelben, nannte sie ihn und sein Volk. Sie hielt sich für etwas Besseres, weil sie das Licht der Zwei Bäume gesehen hatte.

 

Die Zwei Bäume... Celeborn schnaufte wütend aus. Und wenn schon. Die Noldor brüsteten sich damit, als ob dies ihr eigener Verdienst wäre. Dabei waren sie lediglich den Valar gefolgt wie eine Herde Schafe, und hatten im Reich der Mächtigen viele Jahrhunderte in Frieden gelebt, ohne die Gefahren, Entbehrungen und Ängste zu kennen, mit denen ihre Verwandten in Mittelerde Tag um Tag zu kämpfen hatten. Und jetzt waren sie zurückgekehrt und spielten sich wie ihre Herren auf.

 

Ein Seufzen entrang sich Celeborn Brust und ein Lächeln huschte über seine Lippen. Es war zwecklos. Egal wie sehr er auch bemühte, die guten Gründe aufzählte, die gegen die Regungen seines Herzens sprachen, oder sich über das Auftreten ihrer Sippe mokierte - es gelang ihm nicht, sie aus seinem Herzen zu verbannen. Eines Tages, eines Tages würde sie die Seine!

 

Ja. Nerwen war stolz! Aber gerade deshalb faszinierte sie ihn so sehr. Sie war nicht wie die anderen Frauen, bemüht freundlich zu sein und den anderen zu gefallen. Sie kannte ihren Wert, und sie war sich ihrer Klugheit bewußt. Und sie scheute sich nicht, andere damit vor den Kopf zu stoßen.

 

Dabei gab es nichts, was sie so sehr aus dem seelischen Gleichgewicht bringen konnte, wie wenn ihr Gesprächspartner mit den passenden Worten zurückschlug. Und das war etwas, worauf Celeborn sich nur zu gut verstand, denn die Diplomatie hatte sein Onkel ihn schon viel zu lange vergeblich zu lehren versucht. Er hätte sich selbst ohrfeigen können für all die verletzenden Erwiderungen, die ihm gar zu schnell über die Lippen gekommen waren. Kein Wunder, daß Nerwen ihn zurückwies!

 

Und dann hatte er ihr, in einem Anflug kindischer Schwärmerei, auch noch einen Namen gegeben - eine unerhörte Taktlosigkeit! Nur dem Verlobten einer Dame stand dies zu. Aber bevor er sich selbst zur Ordnung hatte rufen können, war er ihm über die Lippen gekommen. Galadriel. Es hatte sie so schockiert, daß sie ganze drei Herzschläge gebraucht hatte, die Vase vom Tisch zu greifen und nach ihm zu schleudern. Er hatte sich gerade noch rechtzeitig durch die Tür geflüchtet...

 

Ein hungriges Knurren riß Celeborn aus seinen Gedanken, in denen er so tief versunken war, daß er eine, für seine heikle Lage viel zu lange, Weile brauchte, um den großen grauen Wolf in dem Gewirr aus zerborstenen Felsstücken auszumachen. Es war dem Jäger gelungen, sich aus dem Rücken bis auf wenige Schritte an den Verunglückten heranzuschleichen, der sich bestimmt noch einige weitere verbale Ohrfeigen für diese Nachlässigkeit verpaßt hätte, hätte sein Drang zu überleben jetzt nicht seine gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch genommen.

 

Ein letztes Mal zerrte der junge Elb an seinem eingeklemmten Knöchel. Kräftiger diesmal und ohne Rücksicht auf mögliche Verletzungen. Er bewegte sich kein Stück.

 

Ein faustgroßer Stein. Ein paar kleinere daneben. Das war alles, was ihm zur Verteidigung zur Verfügung stand, und er mußte sich umständlich und ohne dabei das am Boden liegende Bein mitdrehen zu können, zu dem Angreifer umwenden. Ein guter Wurf war aus dieser Position kaum möglich. Der Wolf schien das zu bemerken und fletschte die Zähne. Celeborn hätte schwören können, daß er die Lefzen dabei höhnisch in die Höhe zog.

 

Die Lage des Verunglückten war hoffnungslos. Wer sollte ihm hier zu Hilfe kommen. Wer seine Schreie hören? Viel zu weit war er von den Grenzen des geschützten Königreiches entfernt. Er war allein. Rettung schien unmöglich. Unmöglich...

 

Der Wolf setzte bereits zum tödlichen Sprung an.

 

Da stürzte plötzlich wie aus dem Nichts eine kleine, stämmige Gestalt herbei und sprang todesmutig auf die wilde Bestie zu. Die schwere Streitaxt hoch erhoben, mit wehenden Bartzöpfen und dem markigen Kriegsschrei der Kinder Aules...

 

 

Der Herr Lothlóriens tauchte aus seinen vergessen geglaubten Erinnerungen auf, die innerhalb eines Herzschlages den Weg zurück in sein Bewußtsein gefunden hatten.

 

Die Lage des bedrängten Zwerges war unverändert.

 

Scheinbar.

 

Und doch war etwas anders als noch einen Atemzug zuvor.

 

Celeborns Augen flammten auf. Seine Gestalt streckte sich in plötzlicher Entschlossenheit und mit einigen gewaltigen Schwertstreichen bahnte er sich den Weg zu ihm.

 

Die Orks stoben nach beiden Seiten vor ihm auseinander. Wer nicht getroffen war, suchte panisch quiekend die Flucht vor dem zornigen Elbenfürsten.

 

Rettung für den unglücklichen Zwerg hatte unmöglich geschienen. Aber manchmal ist eben nichts so, wie es zu sein scheint.

 

 

ENDE

 

 

Unverkennbar inspiriert von M. Goodbodys wundervoller Geschichte „Oak and Willow“ und Marnies großartigem Essay „Der lange Bursche da neben Galadriel“.

 

Diese Geschichte ist Teil des Wettbewerbs „Brücken der Zeit“ von Avarantis, Nairalin und Altais. Danke für die wundervolle Idee und die viele Arbeit!

 

 

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© Oktober 2019