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„Wenn Du möchtest, übernehme ich dieses Mal.“ Galvorn trat vorsichtig näher und sah mich in etwa so an als erwarte er, ich müsse jeden Moment in Tränen aus- oder entmutigt zusammenbrechen. Seine smaragdgrünen Augen drückten echtes Mitgefühl aus und tröstend senkte sich seine Hand auf meine Schulter – nur eine federleichte Berührung – und doch erschien es mir, als könnte ich die ganze Wärme seines herzlichen Wesens darin spüren. Ich genoß den Moment der Nähe, so kurz er auch war und ein tiefer, sehnsüchtiger Seufzer löste sich aus meiner Brust. Der junge Elb – für ein unsterbliches Wesen war er das mit seinen dreitausend Jahren tatsächlich – mißinterpretierte meine Gefühlsregung und mühte sich sogleich, mir drängend zu versichern: „Es macht mir nichts aus. Wirklich nicht!“

 

Dabei flehten seine Augen, diese wunderschönen Augen, so inbrünstig, daß ich mir in einem Freudenjauchzer Luft machen mußte.

„Laß nur!“ strahlte ich ihn überglücklich an und konnte mich gerade noch rechzeitig bezwingen, meinen schmachtenden Blick von ihm ab und den Kindern zuzuwenden. „Die kleinen Racker haben es sich ehrlich verdient, daß ich nun zum dritten Mal in Folge zählen muß!

Außerdem“, fügte ich schmunzelnd hinzu, als die Burschen und Mädels bereits jubelnd in alle Himmelsrichtungen auseinanderstoben, um sich ein passendes Versteck zu suchen, „glaube ich es macht ihnen Spaß, mich blinde Kuh an der Nase herumzuführen.“

 

Galvorn lachte vergnügt über meine unmittelirdische Redewendung. Zu Beginn hatten meine Übertragungen ins Elbische zu einigen peinlichen Mißverständnissen geführt, aber dann hatte er sich erst daran gewöhnt, dann die Bedeutung immer schneller begriffen und nun kam es nicht selten vor, daß er selbst im schönsten Deutsch-Sindarin loslegte, besonders dann wenn es galt seinen Unmut durch ein paar herzhafte Schimpfworte zum Ausdruck zu bringen, die in dieser kurzen und kompakten Form in der blumigen Sprache der Elben nicht vorkamen. >Trottel< und >Depp< waren nun feste Bestandteile der düsterwäldschen Fremdwörterliste – trotzdem Celthor sich lange geweigert hatte, sie in sein Sammelsurium aufzunehmen.

 

Vorschriftsmäßig wandte ich mein Gesicht dem dickem Stamm der Eiche zu und begann lautstark zu zählen.

 

Eins, zwei...

 

Um mich herum herrschte absolute Stille. Ich hätte nicht sagen können, ob Galvorn noch neben mir stand oder sich ebenfalls ein Versteck suchte.

 

...elf, zwölf...

 

Nicht einmal die Vögel zwitscherten, obwohl die gefiederten Kerle doch gerade um diese Jahreszeit gerne ihre Lieder erschallen lassen.

 

...dreiundzwanzig, vierundzwanzig...

 

Von den Höhlen herüber näherte sich Stimmengewirr. Nicht besonders laut oder auffallend. Sicher einige Krieger auf dem Weg zum Übungsplatz. Dort herrschte zur Zeit ein reges Treiben, denn alle schienen die ersten Sonnenstrahlen nach den langen Regenwochen nutzen zu wollen.

 

...sechsunddreißig...

 

Naserümpfend hielt ich inne und war versucht, meine Position vorzeitig zu verlassen. Irgend etwas roch hier stark nach alten Strümpfen. Solchen, die recht lange an Schweißfüßen und in feuchten Lederschuhen gesteckt hatten. Dann korrigierte ich mich angewidert. Bevor Wolle so dermaßen penetrant stinken konnte, mußte sie unweigerlich völlig von Säure zerfressen auseinanderfallen!

 

Der Modergeruch kam näher und drohte meine Sinne zu benebeln. Taumelnd fuhr ich herum.

 

Erinnert ihr euch an meine Ankunft in Mittelerde? Ich sagte damals, ich würde selten Kreischen. Ich gehöre nun einmal nicht zu jenen hysterischen weiblichen Wesen, die bei jeder Kleinigkeit ihre Stimmbänder malträtieren. Manche Leute behaupten, ich sei einfach zu faul dazu. Andere halten mich für gefühlsarm, was natürlich völliger Blödsinn ist. Ein stummer Schrei kann ebenso aus der Tiefe der Seele hervorgehen und genauso eindringlich sein, auch wenn er für die Umwelt nicht so offensichtlich und deshalb weit erträglicher ist.

 

Auch dieses Mal blieb mir der Schreck in der Kehle stecken. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich das widerliche Geschöpf an, das auf allen Vieren kriechend und von zwei Wächtern flankiert auf MEINEN Baum zukam!

 

Schritt um Schritt wich ich zurück. Es gab keinen Zweifel an seiner Identität. Wie in einen Alptraum gefangen beobachtete ich wie diese Mißgestalt eines... Hobbits... Nein! Das konnte nicht sein. Völlig unmöglich! Bitter drängte die Magensäure meine Speiseröhre hinauf. Ich begann zu würgen. Die Übelkeit benebelte mir die Sinne und Entsetzen packte mich, als mir zum ersten Mal in vollem Maße bewußt wurde, zu welch bestialischer Entfremdung der Eine fähig war.

 

Diese Kreatur, dieses Monster, sollte einmal ein Hobbit gewesen sein? Ich dachte zurück an Bruchtal. An den herzensguten kleinen Kerl, den ich dort kennengelernt und in mein Herz geschlossen hatte. Die Größe stimmte, ja, aber... Dieses Wesen hier war fast bis auf die Knochen abgemagert. Dunkel violett schimmerten die Blutgefäße wie ein schauriges Spinnennetz durch die kränklich grüne Haut. Aus den Mundwinkeln troff ihm der Geifer und überzog die zerfetzte Kleidung mit einem übelriechenden schleimigen Film. Und die Augen! Ja, die Augen! Viel zu groß für den dürren Kopf lagen sie nicht mehr in ihren Höhlen, sondern quollen daraus hervor wie zwei häßliche, eitrige Beulen!

 

Oh, es ist etwas völlig anderes solch eine Bestie computeranimiert am Bildschirm zu betrachten oder der leibhaftigen Perversität gegenüber zu stehen!

 

Sagte ich >gegenüber<? und >zu stehen<?

Nein, dazu fehlte mir der Mut!

Im Rückwärtsgang floh ich stolpernd und mit gelähmten Gliedern vor diesem Grauen und konnte doch meinen entsetzten Blick nicht abwenden.

 

Wie ein nackter Affe hangelte sich das Geschöpf blitzschnell den Baum hinauf, der plötzlich seine beschauliche Schönheit verlor und zu einem Ort des Schreckens mutierte.

 

Als zwei Arme mich stützend umfaßten, drückte ich mich schluchzend an die starke Brust.

„Oh, das ist furchtbar!“ stammelte ich und schalt mich gleichzeitig ein Weichei für meinen emotionalen Ausbruch. Es half nichts. Bei all meiner Neugierde der vergangenen Wochen war ich nicht darauf gefaßt gewesen, und jetzt schämte ich mich zutiefst für mein egoistisches Gehabe. Ich begriff mit schmerzlicher Klarheit wie groß der Wunsch nach Erlösung aus diesem Elend sein mußte und wie edel die Gesinnung derjenigen, die sich darum bemühten, diesem kriechenden Wurm dazu zu verhelfen!

 

„Komm“, forderte Galvorn mich schlicht auf und lenkte meine Schritte behutsam zum Höhleneingang, als wüßte er ganz genau, welch innere Qualen ich gerade ausstand.

 

Noch einmal richtete ich meinen starren Blick zum Baum zurück. Ganz oben in den kahlen Wipfeln vermochte ich eine Bewegung auszumachen. Die beiden Krieger hielten mit stoischer Ruhe am Boden Wacht. Gefaßt wandte ich mich ab.

 

„Wo sind die Kinder?“ Zu mehr als einem Flüstern reichte es nicht mehr. Ich bemerkte kaum, wie Galvorn mir noch immer fest an sich gezogen Halt gab. Als ich es schließlich realisierte, schoß mir das Blut in die Wangen, aber so völlig außer mir, daß ich mich nun gegen die Umklammerung gewehrt hätte, war ich dann doch nicht...

 

„Ich habe sie in den Gemeinschaftssaal vorausgeschickt. Dachte mir es wäre nicht ratsam, das Spiel unter diesen Umständen fortzuführen.“

 

Ich nickte. Eine beruhigende Wärme ging von meinem Elben aus und ließ mich das Grauen schnell vergessen. Ungeniert kuschelte ich mich an ihn, der sich zu meiner Freude auch gar nicht dagegen wehrte, obwohl er längst bemerkt haben mußte, daß ich meine Fassung wiedererlangt hatte.

 

Viel zu schnell erreichten wir den Gemeinschaftssaal. Viel zu stürmisch umlagerten uns die Kinder und verlangten nach einem lustigen Spiel. Seufzend löste ich mich aus den Armen meines Angebeteten und die Hingabe, mit der er sich seinen Pflichten zuwandte, versetzte mir einen herben Stich ins Herz.

 

Wehmütig betrachtete ich das bunte Treiben und beteiligte mich nicht an den aufgeregten Planungen für die Gestaltung des restlichen Nachmittags. Mein Blick verschwamm wäßrig hinter zwei dicken Tränen, die ich mich nicht überwinden konnte, fortzuwischen. Schwerelos schwebten sie in meinen Augen, ohne Verlangen, sich von ihnen zu trennen.

 

Ich zuckte heftig zusammen, als ich eine leise Stimme neben meinem rechten Ohr vernahm. Ich hatte Celthor zuvor weder gesehen noch gehört. Er mußte still an einem Tisch gesessen und in einem der dicken Wälzer gelesen haben, die er so sehr liebte. Richtig. Gleich hier vorne lag das schwere Buch noch aufgeschlagen und daneben Pergamentrolle, Tintenfaß und Federkiel. Er hatte sich wohl Notizen zu dem Gelesenen gemacht. Keine Ahnung warum. Ich dachte immer Elben hätten das nicht nötig, weil sie ohnehin nichts vergessen. War wohl wieder so ein Irrtum...

 

„Laß dir das Herz nicht schwer werden, kleine Blume!“ tröstete er mich.

 

Kleine Blume... So hatte Radagast mich zuletzt genannt, kurz vor unserem Aufbruch in Bruchtal. Ich schniefte undamenhaft und suchte nach einem Taschentuch, das mir wie gewöhnlich mangelte.

 

Einen Moment lang spürte ich, wie mich Trostlosigkeit übermannen wollte. Ich meine... hey! Könnt ihr euch auch nur halbwegs vorstellen wie mir zumute war? Da hatte ich meine Heimat aufgegeben, meine Wohnung, meinen Toastapparat – um nur mal die wichtigsten Dinge zu nennen. Ich war hierher gekommen in ein Land, das mir völlig fremd war. Hatte lange Wartezeiten, kalte Bäder und endlose Pilzgerichte ertragen – von meiner schweren Krankheit ganz zu schweigen. Und jetzt sollte es mir nicht gelingen, den perfekten Mann, den Mann meiner Träume, der nur mal nebenbei erwähnt für mich vorgesehen war, zu erobern?!

 

Ich gebe zu, meine Bemühungen in dieser Hinsicht waren bislang ziemlich plump gewesen. Ich war einfach zu schüchtern und mein ohnehin geringes Selbstbewußtsein schrumpfte auf ein absolutes Minimum zusammen jedes Mal, wenn ich diesem Mann gegenüberstand und mir meiner eigenen Unzulänglichkeit bewußt wurde...

 

Ich fühlte mich leer, überflüssig und völlig fehl am Platze. Und dann kam dieser Bücherwurm und erklärte mir, ich solle mich nicht entmutigen lassen?! Was wußte der schon von meinen Sorgen! Ich schnaubte wütend und funkelte den armen Elben neben mir böse an.

Es war gemein.

Ich weiß.

Aber ich konnte nicht anders.

Ich mußte mir Luft machen und Celthor war nunmal der Einzige, der dafür gerade infrage kam.

 

„Ach, laß mich in Ruhe!“ schnauzte ich ihn an. Zum Glück verhinderte das ausgelassene Gegröle der Kinder, daß meine Worte außerhalb unser beider Umfeld gehört werden konnten. Denn als nächstes ließ ich eine Reihe von Unfreundlichkeiten auf den armen Elben niederprasseln, an die ich mich heute nicht mehr erinnern kann.

 

Celthor ertrug sie lächelnd und wartete geduldig, bis ich schnaufend vor Anstrengung nach neuen Unverschämtheiten rang. Oh, das hatte richtig gut getan! Mein Kopf war so klar und frei wie die Luft nach einem heftigen Gewitter. Herausfordernd funkelte ich den Elben an, als mir nicht gleich etwas Neues einfiel, das ich ihm an den Kopf werfen konnte.

 

Da sprang Anarion auf mich zu und zupfte aufgeregt an meinem Kleid herum.

„Wir wollen spielen!“ krähte er und zog mich ein Stück weiter in den Saal hinein.

„Ähm...“, stotterte ich irritiert, glotzte blöd und vergaß den Mund wieder zu schließen.

 

Celthor packte wortlos seine Utensilien zusammen. Ein feines Lächeln lag über seine Züge ausgebreitet, als könnte er spüren, wie wohl mir dieser Ausbruch getan hatte. Aufmunternd zwinkerte er mir zu, bevor er den Saal verließ, um sich ein anderes ruhiges Plätzchen für seine Studien zu suchen.

 

„Ähm...“, wiederholte ich und klappte den Unterkiefer hoch.

 

Zeit zum Nachdenken bekam ich keine, denn jetzt umlagerte mich die gesamte Rasselbande. Ich schielte zu Galvorn hinüber, der irgendwie leicht unverschämt grinste, so, als habe er die Kinder absichtlich auf mich gehetzt. Aus welchem Grund auch immer...

 

„Galvorn hat gesagt, du wüßtest ein schönes Spiel!“ quietschte Anarion übermütig.

So, hat er das?

Er nickte eifrig. Kein Gedankenlesen. Nein. Mein dümmlicher Blick sprach Bände.

 

Ich überlegte eine Weile und entschied schließlich, daß ich nun schon heimisch genug in diesen Landen war und es also wagen konnte, ein recht albernes deutsches Spiel einzuführen. Ribbel-Dibbel genannt. Das ist einer jener Späße, bei denen man jedes Mal einen schwarz-verkohlten Korkenklecks ins Gesicht bekommt, wenn man einen Fehler macht.

 

Eine Vorstellung die sofort für allgemeine Erheiterung und begeisterten Zuspruch sorgte – nicht nur bei den Kindern. Galvorn stürmte mit der Begeisterung eines kleinen Jungen aus der Tür, um einen passenden Stöpsel zu besorgen, weshalb ich beinahe vor Lachen zusammenbrach.

 

Am Abend saßen lauter ausgelassene kleine und zwei große Kinder mit vielen schwarzen Rußkringeln im Gesicht beim Abendbrot und sorgten für empörtes Kopfschütteln und unverständige Blicke unter den anderen Anwesenden. Sogar Celthor erklärte in seiner trocken-humorlosen Art, die immer dann, wenn er nicht tief genug ins Weinglas geschaut hatte den guten Kerl in ihm zum Schweigen brachte, daß er uns nicht kenne und sich einen anderen Platz suchen wolle. Aber bereits wenig später überwandt er seine Skrupel und setzte sich wieder zu uns.

 

„Wo wollen wir morgen mit den Kindern hin?“ fragte ich aus einer plötzlichen Eingebung heraus. „Wir können sie bei diesem herrlichen Wetter doch nicht hier in den Höhlen einsperren!“

Ich wußte, daß die Elben Gollum von nun an täglich auf die Lichtung lassen würden.

 

„Du kannst ja einmal Legolas danach fragen, wie er sich das gedacht hat!“ murrte Celthor, sichtlich unzufrieden mit dem neuen Arrangement, das sich natürlich längst herumgesprochen hatte.

 

„Legolas?“ staunte ich und sah von meinem Becher auf. - Nein, schon gut, heute hatte ich meinen Weinkonsum im Griff!

„Ach!“ Galvorn blinzelte verwundert. „Ist es also wieder soweit.“ Sein Blick suchte den Elbenprinzen.

„Was ist soweit?“

 

Mit einem zustimmenden Laut bestätigte Celthor Galvorns Bemerkung und ignorierte meine Nachfrage. Ungeduldig trippelte ich mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte.

 

„Es heißt, er will ihn nicht in den Verliesen lassen, weil er dort nur immer in seine düsteren Gedanken zurückfallen würde. Du erinnerst dich, Mithrandir ließ uns auf seine Heilung hoffen“, sinnierte Celthor in aller Ruhe, ohne mein Herumgezappel zu beachten.

 

Ich brummte mißmutig. Das wußte ich bereits. Den ersten Teil kannte ich aus den Büchern, der zweite war ein offenes Geheimnis im Waldelbenreich – so er diese Bezeichnung überhaupt verdiente, denn dazu müßte zumindest zu Beginn die Intention gestanden haben, Gandalfs Einschätzung geheim zu halten. Und das war nicht der Fall. So wenig ich hier von irgendwelchen Staatsgeschäften mitbekam, so schnell war mir recht bald klar geworden, daß es bei allen belangloseren Dingen so etwas wie Geheimniskrämerei unter den Elben nicht gab. Nicht daß sie ein klatschsüchtiges Völkchen wären, aber wenn sie etwas für sich behielten, dann mußte ein besonderer Grund dafür vorhanden sein. Ansonsten teilte man sein Wissen bereitwillig mit den anderen.

 

Auch wenn dies gelegentlich etwas länger auf sich warten ließ...

 

Als mein Brummen nichts ausrichtete und mein Herumhippeln ebensowenig, räusperte ich mich lautstark und schnappte Galvorn den Weinkrug vor der Nase weg. Das endlich half, seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.

„Was ist soweit?“ beharrte ich schmollend. „Könntest du dich bitte daran erinnern, daß ich nicht so weise und allwissend bin wie du?“

 

Galvorn lachte hell auf und rang mir den Krug ab. „Nichts, was für dich von Interesse wäre“, versicherte er mir, während er sich großzügig nachschenkte. „Unser Herrscher ist der Ansicht, daß sein Sohn das Alter erreicht hat, in dem er sich langsam auf seine spätere Verantwortung als König des Waldlandreiches vorbereiten sollte.“

 

„Und?“ drängte ich.

 

„Also läßt er ihn alle zehn Jahre für mehrere Monate die Regierungsgeschäfte übernehmen und sämtliche anfallenden Entscheidungen treffen.“

 

Alle zehn Jahre?! Oh ja, das elbische Zeitempfinden funktionierte eindeutig anders!

 

Soso. Es war also Legolas’ Entschluß, Gollum diesen Freiraum zu gewähren. Nachdenklich stopfte ich mein Pfeifchen. Ob ich versuchen sollte, ihm diese Idee wieder auszureden? Abgesehen davon, daß es unnötige Liebesmüh war, blockierte diese Kreatur unseren Lieblings-Spielplatz! Mußte er ihn aber auch ausgerechnet auf die große Wiese bringen? Konnte er ihn nicht gleich laufen lassen, wenn er ohnehin entkommen sollte? mokierte ich mich irrationaler Weise.

 

Dann erinnerte ich mich schmerzlich daran, daß die beiden Wächter bei Gollums Flucht getötet wurden und sicher noch einige andere Elben bei dem fingierten Überfall ihr Leben lassen mußten.

 

Oh nein! Entsetzt ruckte ich auf und starrte Galvorn an. Wo waren eigentlich er und die Kinder zu dieser Zeit? Wenn einem von ihnen nun irgend etwas geschah? Ich verschluckte mich ordentlich an meinem Pfeifenkraut, was mir ein schadenfrohes Grinsen meiner beiden Tischnachbarn bescherte.

 

Demonstrativ nahm ich gleich noch einmal einen tiefen Zug. Konnte man die Flucht nicht irgendwie verhindern? überlegte ich dabei.

 

Ich blies einige Rauchkringel in die Luft. Aber was, wenn gerade diese Fehlentscheidung und die Vorwürfe, die Legolas sich deshalb machen mußte, der Grund dafür waren, weshalb er sich zum Botenjungen nach Bruchtal degradierte, was wiederum seine Wahl zu einem der neun Gefährten überhaupt erst ermöglichte. Und was, wenn Gollum nicht entkam? Dann könnte er Frodo und Sam nicht führen und letztendlich den Ring nicht zerstören!

 

Ich stöhnte. Nein. Dies war eindeutig eines jener Ereignisse, bei denen ich die Vergangenheit nicht verändern durfte. Und dennoch! Es mußte doch einen Weg geben, das Blutvergießen dabei zu verhindern, oder? Gollum konnte doch auf eine andere Weise entkommen, nicht wahr? Aber natürlich! Immerhin blieb mir noch etwas Zeit einen entsprechenden Plan auszuhecken. Das wußte ich, obwohl ich den genauen Tag der Flucht nicht mehr kannte, denn ich erinnerte mich, daß es in einer Sommernacht geschehen war. Bis dahin würde mir schon etwas Passendes einfallen.

 

~*~

 

 

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